Vor kurzem forderte mich ein deutscher Bekannter auf, eine Petition an die Unesco, die Bildungs-, Wissenschafts- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen zu unterschreiben. Im Oktober 2016 hatte deren Exekutivrat eine von mehreren arabischen Ländern eingebrachte Resolution beschlossen, in welcher der Jerusalemer Tempelberg als „Al-Aksa Moschee/ Al-Haram Al-Scharif“ bezeichnet wurde. Damit, so die Kritik, würde die Unesco implizit die historischen und religiösen Verbindungen des Judentums zu diesem Ort bestreiten. Auch dass „Israel“ stets mit der Beifügung „die Besatzungsmacht“ genannt wird, stößt den Unterstützern der Petition sauer auf.
Liest man den Text im Detail, so fällt auf, dass der Platz, auf dem sich die Klagemauer befindet, unter Anführungszeichen gestellt wird („Western Wall Plaza“), was wohl so viel heißen soll, wie „die sogenannte Westmauer“. Auch hier wird versucht, die jüdischen Wurzeln zumindest in Zweifel zu ziehen.
Natürlich könnte man nun eilig und mit viel Feuer die Unesco als Gesamtheit attackieren, was jedoch der Komplexität der Sache nicht adäquat wäre.
Spricht man mit Experten aus der Diplomatie, so ergibt sich eine andere, für die meisten unter uns wohl fremde Sichtweise, die jedoch eine klare innere Logik hat. Sie weisen darauf hin, dass im April 2016 eine ganz ähnliche Resolution vorgelegen ist und es wichtig sei, sich die Unterschiede im Text und im Abstimmungsverhalten der einzelnen Länder anzuschauen, bevor man die Unesco pauschal verurteile. Leicht fällt das dem Laien nicht. Die Texte sind schwierig zu finden und enthalten wahre Worttiraden, die sich von Sitzung zu Sitzung kaum ändern. Warum sie wiederholt werden müssen, erschließt sich nicht.
Auch die beiden Texte vom Frühjahr und vom Herbst sind einander sehr ähnlich, aber es gibt doch Differenzen. So wurde zuletzt ein Passus eingefügt, in dem die „Bedeutung der Altstadt von Jerusalem und ihrer Mauern für die drei monotheistischen Religionen“ anerkannt wird. Auch, dass in der jüngsten Resolution von „Rachels Grab“ geschrieben wird, ist ein minimaler Fortschritt. In der Diplomatie, so sehen es die Experten, seien solche kleinen Veränderungen wertvoll, weil sie zeigen, dass es eine Entwicklung zum Positiven gebe.
Auch das Abstimmungsverhalten der Europäer ist interessant. Einerseits fanden die Vertreter der Europäischen Union wie so oft auch hier zu keiner gemeinsamen Position, aber andererseits hat es zuletzt doch Annäherungen gegeben. Im April hatten Frankreich, Slowenien, Spanien und Schweden noch der Resolution zugestimmt, im Oktober haben sie sich zumindest der Stimme enthalten. Gegen die Resolution hatten sich bei beiden Abstimmungen die EU-Länder Estland, Deutschland, Litauen, die Niederlande und Großbritannien ausgesprochen. Die israelische Zeitung Haaretz urteilt streng. Sie sieht in der Resolution eine diplomatische Niederlage von Premierminister Benjamin Netanjahu, der in den Monaten vor dem Oktober vollmundig gemeint habe, wichtige Länder wie Russland und China an seiner Seite zu haben. Die beiden Großmächte scheinen von ihrer Zuneigung zu „Bibi“ nichts gewusst zu haben und schlugen sich auf die Seite der Muslime, die – egal ob Schiiten oder Sunniten – in großer Einigkeit auf Israel hinschlugen.
Wer jetzt sagt, dass die kleinen Schritte der Diplomatie keine Option sind, muss sich fragen, was denn tatsächlich nützen könnte. Hilft es, auf die UN-Organisationen hinzuprügeln, ohne zwischen den Mitgliedsländern zu unterscheiden, die Israel fair behandeln, und solchen, die nichts anderes wünschen, als die Juden zu vertreiben. Wohl nicht. Vielmehr muss es Israel gelingen, die Beziehungen zu den großen Playern der Weltpolitik zu verbessern. Russland, China, die Europäische Union als Gesamtheit müssen neben den bisherigen Schwergewichten unter den Freunden USA–Deutschland–Großbritannien überzeugt werden. Dazu bedarf es auch klarer politischer Signale, wie die Einstellung des Baus von Siedlerwohnungen. Für die arabische Seite wird das allerdings zu wenig sein.
Die ehemalige israelische Außenministerin Zipi Livni hat in einem klugen Kommentar in der Welt von ihren eigenen Erfahrungen bei Friedensverhandlungen geschrieben. Es gebe, so sagt sie, zwei vollkommen unterschiedliche Narrative, was die historische Zugehörigkeit des Gebietes zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer betrifft. Es wird keine Harmonisierung dieser Sichtweisen möglich sein, das sei ihr bewusst geworden. Einer künftigen Friedensvereinbarung müsse daher die Präambel vorangehen, dass man sich unbeschadet der unterschiedlichen Narrative geeinigt habe.
Abgesehen von der sachlichen Betrachtung der Unesco-Resolution bleibt aber schon noch die emotionale Sicht. Und hier bin ich ganz auf der Seite jener, die zornig aufschreien, wenn in Resolutionen die jüdischen Wurzeln in Jerusalem vollkommen negiert werden. Ronald S. Lauder meinte in einem Kommentar in der Zeit, man brauche sich nur vorzustellen, welchen weltweiten Aufschrei es gäbe, wenn die Grabeskirche in Jerusalem als islamische Stätte bezeichnet würde.
Ein österreichischer Vertreter gehörte im Oktober übrigens nicht dem Exekutivrat der Unesco an. Zum Glück. Eine Enthaltung wäre wohl noch das Beste gewesen, was man von unserem Land mit seiner widersprüchlichen Haltung zu Israel hätte erwarten dürfen. Und Tante Jolesch wusste es genau: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.“
Chanukka Sameach,
Ihr Peter Menasse
Chefredakteur