Die nicht immer heile Welt der Familie Meijer

Mit „Melnitz“ legt der Schweizer Autor Charles Lewinsky nun einen über 700 Seiten langen Familienroman vor. Einen jüdischen Familienroman, der viele Facetten Schweizer Judentums zwischen dem Ende des 18. und der Mitte des 20. Jahrhunderts detailreich und äußerst liebevoll beleuchtet.
Von Alexia Weiss

„Melnitz“ ist also eine Familiensaga, die Lewinsky 1781 in Endingen beginnen lässt. Im Mittelpunkt stehen zunächst zwei Frauen im heiratsfähigen Alter – Mimi und Chanele. Und natürlich deren Vater, der Viehhändler Salomon Meijer. Als der entfernte Verwandte Janki auftaucht, beginnen die Turbulenzen. Und es stehen zwei Hochzeiten an … Es wird noch einige Male geheiratet werden in der Familie Meijer. Doch Lewinsky verliert bei all den rührenden Ereignissen rund um Geburt, Liebe und Tod nie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Juden in der Schweiz aus den Augen. Das Ende des 19. Jahrhunderts eingeführte Schächtverbot kostet den Fleischhauer Pinchas den Beruf. Die judenfeindliche Atmosphäre wird seinen Neffen François dazu verleiten, sich taufen zu lassen. Ob sich das als der richtige Weg erweisen wird? François’ Schwager Zalman engagiert sich bei den Sozialisten. Sein Enkel Hillel wird sich auf die Seite der Zionisten schlagen. Den Müttern der Familie Meijer machen die Weltkriege zu schaffen. Denn diese machen selbst vor einer Schweizer Familie nicht Halt, wenn die einen eigentlich noch immer Franzosen sind und andere meinen, sich in Deutschland niederlassen zu müssen. Und auch sonst erweist sich die Schweiz hier nicht als die Insel der Seligen. Von den Nazis blieb der Alpenstaat zwar verschont. Doch auch die Schweizer Juden sahen sich vor allem in den 1940er Jahren einer massiven antisemitischen Stimmung ausgesetzt. Nicht wenige Begebenheiten in diesem Roman rühren zu Tränen. Und andere wiederum lassen den Leser schmunzeln, wenn nicht sogar lachen. Was seine Motivation gewesen sei, diesen Roman zu schreiben, wollte NU von Lewinsky wissen. „Es gibt so etwas wie eine ‚Fremdheit der Nähe‘. In vielen Gesprächen ist mir klar geworden, dass die spezifische Erfahrung eines jüdischen Schweizers oder Schweizer Juden für Außenstehende so exotisch ist wie das Lebensgefühl eines Chinesen oder Eskimos. Als ich versuchte, diesen Blick auf die Welt literarisch zu verarbeiten, wurde mir klar, dass das nur möglich ist, wenn man den historischen Aspekt einbezieht. Und so wurde aus einer Gegenwartsgeschichte eine Familiensaga über mehrere Generationen.“ Zur Person: Der 1946 in Zürich geborene Charles Lewinsky studierte Germanistik und Theaterwissenschaft, arbeitete zunächst an diversen Bühnen als Dramaturg und Regisseur und danach als Redakteur beim Fernsehen. Seit 1980 ist er freier Autor. Neben TV-Sendungen schrieb er einige Bücher, darunter „Hitler auf dem Rütli“, die fiktive Geschichte des Anschlusses der Schweiz an das Dritte Reich. Der Roman „Johannistag“ wurde mit dem Preis der Schillerstiftung ausgezeichnet. Lewinsky ist auch Theaterautor. Mit „Freunde, das Leben ist lebenswert“ wurde 2005 das neue stadtTheater in Wien eröffnet. Das Stück zeigt den erniedrigenden und vernichtenden Umgang des NS-Regimes mit jüdischen Künstlern. Im März wurde am stadtTheater die Musikrevue „Heimat, sweet Heimat“ – ein Stück über Emigranten in New York – uraufgeführt.

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