Walter Arlen, 1920 in Wien als Walter Aptowitzer geboren, emigrierte in die USA, wo er als Musikkritiker der Los Angeles Times und Professor an der Loyola University Karriere machte. Ein Porträt.
Von Marianne Schulze
Bei seinem ersten Konzert – Beethovens „Neunter“ – ist Walter Arlen vor lauter (Pauken-)Schreck unter den Sitz gekrochen. Wie oft er die „Ode an die Freude“ in seinem reichen Musikerleben gehört hat, ist schwer zu sagen; dass diese nicht Grundthema seines Lebens wurde, soll im Folgenden skizziert werden:
Begonnen hat alles auf der Budel des familieneigenen Kaufhauses Dichter am Brunnenmarkt, wo er im Alter von fünf Jahren Schlager wie jenen über „die letzte blaue“ Straßenbahn zum Besten gegeben hat. Sein fürsorglicher Großvater, Leopold Dichter, nahm ihn zu Otto Erich Deutsch, dem Ersteller des gleichnamigen Schubert-Verzeichnisses, mit und dieser stellte sein absolutes Gehör fest und empfahl Klavierunterricht. Das Fräulein Friedländer schloss ihm die Tür zur großen Musikwelt auf und „machte aus mir einen Musiker“, wie er heute meint. Im Alter von zehn Jahren begann er zu komponieren und äußerte wenig später den Wunsch, Komponist zu werden, was mit einem „z`erst machst die Matura“ quittiert wurde.
Der Einmarsch der Nationalsozialisten beendete elterliche, großelterliche und sonstige Karrierepläne, denn innerhalb weniger Stunden war das Kaufhaus „arisiert“, nicht ohne dass der Familienschmuck aus der im selben Haus befindlichen Wohnung auf Geschäftspapier aufgelistet wurde, was Jahre später eine Entschädigungszahlung verhinderte, da er ja „Geschäftseigentum“ war.
Das Leben von Walter Arlen war fortan eine Tour de Force der Bittgesuche: bei der Gestapo, um seinen Vater aus Buchenwald zu befreien, und gleichzeitig beim Ariseur, dem Bankier Topolansky, der das Sperrkonto „verwaltete“.
Schlussendlich war er gezwungen, seine Mutter und seine Schwester Edith in Wien auf den Vater wartend zurückzulassen, da sein Visum für die Vereinigten Staaten ablief. In Chicago angekommen, arbeitete er in diversen Fabriksjobs, bis die emotionale Belastung durch die Trennung von seiner Familie – die in der Zwischenzeit in London drei Mal ausgebombt wurde – zu viel wurde und er einen Nervenzusammenbruch erlitt. „Ich hab Glück gehabt“, sagt er, ein russischer Psychotherapeut nahm sich seiner an und nach einiger Zeit begann er sogar wieder zu komponieren, studierte beim Orgelkomponisten Leo Sowerby und reichte einige Lieder bei einem Wettbewerb an einem Chicagoer Konservatorium ein – und gewann prompt den ersten Preis: Kompositionsstunden bei Roy Harris. Dieser äußert den Wunsch, Arlen zum Assistenten zu machen. Nachdem die Familie aus London nachgezogen ist, wird er 1947 Harris` „companion“ oder „Mädchen für alles“. In Nashville, Tennessee, belegt er einen Bachelor-Lehrgang in Komposition, den er im Eiltempo absolviert.
Der Wunsch „auf eigenen Beinen zu stehen“ stößt bei Harris auf wenig Gegenliebe und so trennen sich die Wege in Kalifornien, wo Arlen an der University of California, Los Angeles (UCLA) in Komposition inskribiert und mit Master-Titel abschließt. Er studiert Musikkritik beim Rezensenten der Los Angeles Times, Albert Goldberg, der ihn nach einigen Kritiken zu seinem Assistenten machen möchte. Walter Arlen ziert sich jedoch wegen mangelnder Englischkenntnisse.
Schlussendlich gehen die beiden zusammen zu Konzerten und jeder verfasst eine Kritik. Wenig später geht Goldberg auf Urlaub und überlässt ihm mit den Worten „You do the Stravinsky“ die Uraufführung der „Cantata“ 1952. Es folgen 28 Jahre bei der Los Angeles Times. „It was a glorious time – und ich war mittendrin“, sinniert er. Igor Strawinsky, Aaron Copland, Jascha Heifetz oder Virgil Thomson: – „Sie wünschen wir spielen“. Die gloriose Zeit hatte jedoch etwas unterbezahlt begonnen und so hat Arlen viele Jahre zusätzlich unterrichtet.
Seine Verbindung mit dem Wiener Steingutfabrikanten Conrad Lester führt ihn schließlich an die Loyola University, wo er in mühsamer Kleinarbeit eine ganze Musikabteilung aufbaut. Die Nonne, die ihm aus Geldmangel zur Seite gestellt wird, „hat von Musik keine Ahnung“ und so ersucht ein leicht verzweifelter Walter Arlen, sie zwecks Bildung nach Europa zu schicken. Allein, sie kommt mit einem vernichtenden Urteil über Europa und ohne die erhoffte musikalische Horizonterweiterung zurück. Da hat er mit den „Frauen, die a bisserl a Geld haben und katholisch sind“ mehr Glück – deren Unterstützung ermöglicht die Anschaffung des ersten Klaviers.
1986 legt er eine „Pause“ ein und schreibt – gleich einer „Explosion“ – nach fast 30 Jahren Unterbrechung dreizehn Kompositionen, u. a. Lieder und Klavierstücke, bevor er 1990 emeritiert.
Im Jahr 2000 bemüht er sich zum wiederholten Mal um die Noten seines Budelschlagers „Die letzte Blaue“ und wird schließlich in der Albertina fündig. Er schreibt eine Komposition mit gleich lautendem Titel – auf Grund einer Augenerkrankung wird es eine der letzten Kompositionen Walter Arlens.
Dieses Porträt basiert auf einem Tonbandinterview für den Orpheus Trust, Verein zur Erforschung und Veröffentlichung vertriebener und vergessener Kunst, Wien (http://www.orpheustrust.at ).
Die Autorin Marianne Schulze ist derzeit Fulbright-Stipendiatin am Center for Civil and Human Rights, Notre Dame University Law School, Indiana.