Die Kulturindustrie frisst ihren Kritiker

Der Vordenker der Kritischen Theorie Theodor W. Adorno wäre heuer hundert Jahre alt geworden. Thomas Schmidinger analysiert für NU aktuelle Neuerscheinungen über den 1969 verstorbenen Soziologen, Philosophen, Musiktheoretiker und Komponisten.
Von Thomas Schmidinger

Zum hundertsten Geburtstag Theodor W. Adornos am 11. September dieses Jahres sind nach langen Jahren des Vergessens wieder Bücher, TV-Dokumentationen und eine Flut von Artikeln über den Vordenker der Kritischen Theorie erschienen. Viele dieser Texte wirken jedoch mehr wie eine pietätvolle Entsorgung Adornos bzw. seiner Kritik denn wie eine kritische Würdigung seines Werks. Adorno wird in den meisten Texten des Mainstreams nicht mehr als Antithese zu deutschen Zuständen gelesen, sondern als Vordenker des neuen Deutschlands, quasi als intellektuelles Aushängeschild und Beweis der Überwindung der Ideologeme des Nationalsozialismus in den Nachfolgestaaten des nationalsozialistischen Deutschen Reiches.

Tatsächlich kehrte Adorno, im Gegensatz zu vielen vom nationalsozialistischen Deutschland vertriebenen jüdischen WissenschafterInnen und Intellektuellen, 1949 nach Deutschland in das wieder errichtete Institut für Sozialforschung zurück. Dies bedeutete jedoch nicht seine Aussöhnung mit der Gesellschaft der Täter. Adorno sah in seiner Arbeit in Deutschland eine Möglichkeit, im Rahmen der „reeducation“ einen Beitrag zur Zivilisierung dieser deutschen Gesellschaft zu leisten. Er formulierte zeit seines Lebens scharfe und öffentlich wahrnehmbare Kritik an allen Tendenzen, die deutsche Vergangenheit zu verharmlosen oder ein Wiederaufleben antidemokratischer und antisemitischer Denkmuster zu akzeptieren.

Wie wenig Adorno dabei der deutschen Nachkriegspolitik vertraute, zeigt seine Frage an einen Studenten, der für kurze Zeit verhaftet gewesen war, ob er denn gefoltert worden wäre. In seiner Kritik an jedem noch so unbedenklich scheinenden Wiederaufflackern autoritärer oder antisemitischer Denkweisen schreckte er auch vor Kritik an und in der Linken nicht zurück. Sein vom starren Denken parteikommunistischer Schulen losgelöster Marxismus, der später auch die Erkenntnisse der Psychoanalyse inkludierte und als „Frankfurter Schule“ bezeichnet wurde, passte nicht in das binäre Denken kommunistischer Parteien und K-Gruppen, das aus der deutschen 68er-Bewegung hervorgegangen war.

Für die StudentInnen wurde Adorno, der sich zeit seines Lebens weigerte, sein autonomes Denken einer konkreten politischen Bewegung unterzuordnen, zunehmend zum Angriffspunkt. Adorno, der neben seiner Tätigkeit als Musiker, Musikkritiker und seinen philosophischen und sozialwissenschaftlichen Schriften über den Antisemitismus oder den autoritären Charakter heute vor allem auch als Kritiker der Kulturindustrie bekannt ist, wurde spätestens zu seinem  hundertsten Geburtstag selbst zu einem Produkt der Kulturindustrie. Wer die Artikel und Darstellungen zu Adorno in den letzten Monaten genauer analysiert hat, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es den meisten RezipientInnen heute nicht mehr um eine Beschäftigung mit Adornos Kritik und mit seinem Werk geht, sondern um eine kulturindustrielle Verwertung seiner Biographie. Sein Werk verschwindet hinter seiner Biographie. Vielfach wird versucht, seine Kritik dort, wo sie an die Substanz des falschen Bewusstseins geht, als verständliche Übertreibung eines durch seine Biographie etwas überempfindlichen Juden zu „erklären“. Das aber verhindert eine weitere, inhaltliche Auseinandersetzung. Adornos aktuelle kulturindustrielle Verwertung wird derart zum Beleg für die Richtigkeit seines wohl bestbekannten Diktums: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ (Minima Moralia, I, 18, Ges. Schriften Bd. 4, S. 19) Angesichts dieser Verwertung von Adornos Biographie sollten weniger die zu Adornos hundertstem Geburtstag erschienenen Biographien als vielmehr jene Bücher, die sich mit Adornos Werken beschäftigen, das Interesse der LeserInnen hervorrufen.

Das Theodor W. Adorno Archiv hat anlässlich des hundertsten Geburtstags seines Namensgebers nicht nur Band VIII der Frankfurter Adorno-Blätter aufgelegt, sondern diesen auch mit den sieben zuvor erschienenen Nummern in einem gemeinsamen Schuber auf den Markt gebracht. Die Blätter enthalten neben Beiträgen über Adornos Werk auch kleinere Texte Adornos, die erst nach der Herausgabe der Gesammelten Schriften bei Suhrkamp aufgefunden worden waren. Als besonderer Anreiz befindet sich in Band VII auch eine CD, die Kompositionen von Adorno und ihm nahe stehenden Komponisten der Zweiten Wiener Schule wie Alban Berg, Arnold Schönberg oder Anton Webern enthält. Für jene, die an Adornos Kritik der Kulturindustrie interessiert sind, bieten die beiden im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienenen Bände von Heinz Steinert interessanten Lesestoff: „Adorno in Wien. Über die (Un-)Möglichkeit von Kunst, Kultur und Befreiung“ sowie „Die Entdeckung der Kulturindustrie. Oder: Warum Professor Adorno Jazz-Musik nicht ausstehen konnte“. Im selben Verlag ist zu Adornos Hundertstem ein Sammelband unter dem Titel „Marginalien zu Adorno“ erschienen, der Beiträge von Jens Maaßen, Timo Skrandies, Arnd Hoffmann und Thomas Bedorf enthält.

Eine Beschäftigung mit Adorno wird jedoch auch in Zukunft nicht ohne die Lektüre seiner eigenen Schriften das Auslangen finden. Sie sind bei Suhrkamp erschienen.

 

Rolf Tiedemann im Auftrag des Theodor W. Adorno

Archivs (Hg.): „Frankfurter Adorno Blätter“

Band I bis VIII im Schuber

EUR 100,-

 

Heinz Steinert:

„Adorno in Wien. Über die (Un-)Möglichkeit von Kunst,

Kultur und Befreiung“

ISBN 3-89691-556-8

EUR 24,80

 

Heinz Steinert:

Die Entdeckung der Kulturindustrie. Oder: Warum Professor

Adorno Jazz-Musik nicht ausstehen konnte

ISBN 3-89691-557-6

EUR 24,80

 

Arnd Hoffmann / Thomas Bedorf / Timo Skrandies / Jens

Maaßen: Marginalien zu Adorno

ISBN 3-89691-553-3

EUR 24,80

Die mobile Version verlassen