Ohne große Debatte rückte Österreich durch Sebastian Kurz von der israelkritischen Doktrin Bruno Kreiskys ab und wurde bis heute zu einem engen politischen Freund Israels. Was persönliche Sympathien, Reisen und Begegnungen damit zu tun haben diskutieren Martin Engelberg und Rainer Nowak.
Rainer Nowak: Die österreichische Israel-Politik hat sich innerhalb kürzester Zeit radikal verändert: Nach der Kreisky-Doktrin mit deutlicher Palästinenser-Sympathie vollzog Sebastian Kurz, zuerst als Außenminister und dann als Bundeskanzler, eine volle Drehung. Heute ist Österreich einer der stärksten politischen Verteidiger Israels und seiner Regierung in Europa. Interessanterweise hat darüber keiner debattiert, es ist einfach passiert. Die einzigen, die das kritisch thematisieren sind die alten SPÖ-Mitstreiter der Generation Kreisky und jener danach. Sonst wagt kaum einer etwas dazu zu sagen.
Martin Engelberg: Eine leise Diskussion gibt es schon. Im außenpolitischen Ausschuss hinterfragen die Sozialdemokraten etwa die Gegenstimme in der UNO bei den einseitigen Gaza-Resolutionen: Wieso stehen wir so an der Seite Israels? In einem in dieser Form einzigartigen Vorgehen haben sozialdemokratische, den Neos und den Grünen nahestehende, noch dazu aktive Diplomaten in einem Falter-Gastkommentar die österreichische Linie und damit den eigenen Minister kritisiert.
Rainer Nowak: Habe ich gelesen. Das Echo war überschaubar.
Martin Engelberg: Stimmt, das blieb ohne Reaktion. Aber ich stimme jedenfalls zu, die von Sebastian Kurz ausgelöste 180-Grad-Wende war erstaunlich.
Rainer Nowak: Was ich daran kritisiere, ist die fehlende Debatte. Auch Bruno Kreisky hat sich und seine Außenpolitik nie erklären müssen, aber das passt schon zum negativen Klischee eines Landes, das inhaltlichen Debatten aus dem Weg geht.
Martin Engelberg: Das ist in vielen Ländern so. Von 183 Abgeordneten befassen sich gerade einmal fünf mit Außenpolitik. Wer soll so eine breite Debatte führen?
Rainer Nowak: Es gibt ein paar Journalisten, Intellektuelle, Künstler, Wissenschaftler, die alle gerne debattieren.
Martin Engelberg: Vielleicht war es vielen einfach auch zu heikel, oder positiver gedacht: Vielleicht entsprach es auch der neuen politischen Identität Österreichs, die sich ja seit der Waldheim-Affäre so grundlegend gewandelt hat. Insbesondere was die Aufarbeitung der Nazizeit betrifft, und die jetzt viel positivere Einstellung gegenüber der jüdischen Gemeinschaft und eben auch zu Israel.
Rainer Nowak: Reden wir über den Grund des Kurswechsels von Sebastian Kurz: Zynisch gesagt hat eine türkis-blaue Regierung eben alles tun müssen, um sich ausgerechnet in Israel beliebt zu machen. Und dann wäre da noch die jugendliche Begeisterungsfähigkeit von Kurz für den Staat Israel, der wirtschaftlich und militärisch vital inmitten von Feinden liegt, und natürlich für den Teflon-Premier Bibi Netanjahu. Die Begeisterung für den Staat teilt Kurz übrigens mit Karl Nehammer, der seinen Israel-Erweckungsmoment bei einer Reise vor seinem Kanzler-Job hatte.
Martin Engelberg: Das zynische Argument ist schon zeitlich falsch. Sebastian Kurz hat schon als Staatssekretär sein Engagement für die jüdische Gemeinde und Israel begonnen. Es war Kurz, der den jährlichen Rosch-Hashana-Empfang fortsetzte, nachdem Josef Pröll, der diese Tradition eingeführt hatte, zurückgetreten war. Er war der Einzige in der Regierung, der sich dazu bereit erklärte und den Empfang jedes Jahr organisierte. Als Außenminister hat er dann den Wandel im Umgang mit Israel gestartet. Zu diesem Zeitpunkt war von einer Koalition mit der FPÖ noch keine Rede. Das lässt sich sachlich entkräften.
Rainer Nowak: Sachlich? Was war nun der sachliche Grund, warum Kurz den Wandel vollzog?
Martin Engelberg: Bei Kurz war es eine genuine Sympathie für das jüdische Volk, dessen Schicksal der immer wiederkehrenden Verfolgung und der Fähigkeit zu überleben. Sich immer wieder aufzurichten, neu anzufangen und dabei entscheidend zu den großen Entwicklungen der Menschheit auf allen Gebieten beizutragen. Und gegenüber Israel, einem Land, das als westlicher Staat einer gewaltigen Bedrohung ausgesetzt ist und sich daraus immer wieder neu erfinden muss und zugleich mit einer unerhörten Kampagne der Delegitimierung, Dämonisierung und einer Doppelmoral konfrontiert ist. Er traf schon seit Beginn seiner Karriere Schoa-Überlebende und war immer wieder überrascht, wie freundlich und vorbehaltslos sie auf ihn zugingen, während manche der Generation danach ihm gegenüber so kritisch begegneten. Und ja, er war auch von Netanjahu beeindruckt, weil er ihn als echten Leader wahrnahm. Das war auch eine persönliche Nähe. Kurz hat nun auch eine substanzielle Firmenbeteiligung in Israel und fährt regelmäßig dorthin.
Rainer Nowak: Das setzte sich wie angerissen bei Nehammer fort. Er war als ÖVP-Generalsekretär Teil einer Reisegesellschaft, die 2017 nach Jerusalem und Tel Aviv fuhr und sich dort sehr intensiv mit Israel beschäftigte. Ich habe ihn damals sehr nachdenklich und von Israel überzeugt erlebt.
Martin Engelberg: Stimmt, Nehammer setzt den Israel-Kurs von Sebastian Kurz genauso fort. Interessanterweise verändert diese Linie auch unsere Nachbarschaftspolitik, etwa die engere Abstimmung mit Tschechien, das traditionell an der Seite Israels steht. Das Verhältnis zu Tschechien ist unter Nehammer noch besser geworden.
Rainer Nowak: Sachlich ist das wieder nicht leicht zu erklären, sondern eigentlich emotional. Warum die Tschechen so israeltreu sind, die Iren hingegen fast hasserfüllt.
Martin Engelberg: Gefühle spielen eben eine Rolle. Die protestantischen Tschechen waren schon vor der Staatsgründung Israels für den neuen Staat. Der tschechische Staatsgründer Tomáš Masaryk besuchte den Yishuv, die jüdische Gemeinschaft im Heiligen Land schon 1927. Er dürfte wohl aufgrund seiner eigenen Geschichte Sympathien für die nationalstaatlichen Ambitionen der Juden gehabt haben. Und sein Sohn Jan Masaryk unterstützte Israel im Unabhängigkeitskrieg 1948 auch mit massiven Waffenlieferungen, ohne die Israel wahrscheinlich den vereinten Angriff der arabischen Staaten nicht überlebt hätte. Die Iren wiederrum haben wegen ihrer Nordirland-Geschichte und Großbritannien, das als Unterdrücker wahrgenommen wird, eine unglaubliche Solidarität mit den Palästinensern. Sie identifizieren Israel mit den Briten und sich selber mit den Palästinensern. Es gab auch eine enge Kooperation zwischen der irischen Terrororganisation IRA und jener der Palästinenser, der PLO. Sie unterstützten einander gegenseitig bei den Terroranschlägen und palästinensische Terroristen sind heute noch an die trennenden Mauern in Belfast auf der katholischen-irischen Seite gemalt.
Rainer Nowak: Die Underdog-Solidarität ist bis heute einer der stärksten Gründe für die Sympathie, etwa auch der Linken an den US-Unis. Das unterscheidet sie aber zu Ländern wie …
Martin Engelberg: … Frankreich oder Belgien, die so starke muslimische Gemeinden haben, auf welche die Politik glaubt, Rücksicht nehmen zu müssen. Große Ablehnung erfährt Israel aber derzeit auch in Spanien, das vor allem unter linken Regierungen wie zurzeit massiv gegen Israel auftritt. Daher ist es nicht völlig überraschend, dass Spanien gemeinsam mit Irland und Norwegen Palästina als Staat formell anerkannt hat. Osteuropa ist da anders, mehrere Staaten halten einen proisraelischen Kurs.
Rainer Nowak: Was wird bleiben, also vor allem auch in Österreich, könnte ich nun fragen. Wenn Nehammer und Schallenberg Geschichte sein sollten, kehrt mit Andreas Babler eventuell die Kreisky-Doktrin zurück. Wieder ohne Debatte.
Martin Engelberg: Nun, ich denke, einige Pflöcke unserer Haltung gegenüber Israel sind eingeschlagen und können nicht mehr so leicht geändert werden. Aber ja, viel hängt auch von der kommenden Regierung ab. Wir dürfen nicht vergessen, dass die derzeitige Israel-Linie im Regierungsprogramm steht und dieses wird dann neu verhandelt. Mit den Grünen war es sogar möglich, einen Passus reinzunehmen, mit dem sich die österreichische Regierung dazu bekannte, hinkünftig keine einseitig gegen Israel gerichteten Resolutionen in internationalen Organisationen mehr zu unterstützen. Wie wichtig dieses Bekenntnis war, bewies sich insbesondere seit dem 7. Oktober und war die Grundlage für Österreichs Ablehnung von mehreren einseitigen UNO-Resolutionen.