Die geschaedigten Taeter

Von Helene Maimann

Oesterreich und die Restitution

 

Die Restitutionsfrage ist jetzt endlich eine oeffentliche Debatte geworden. In welchem Klima findet diese Debatte statt, was denken die Leute darueber?

Seit 1945 war Oesterreich eifrig bemueht, sich von den Nazigreueln zu distanzieren, um auf Seiten der Demokratien akzeptiert zu werden.Die Republik kam bald zu dem Schluss, dass es billiger ist, sich von jeder Mitverantwortung oder gar Mitschuld vo n dem, was 1938 begonnen hatte und zum Teil bis heute wirksam ist, rein zu waschen und sich gegenseitig Persilscheine auszustellen. Das war der Grundkonsens der Republik.

Wenn einer unangenehme Fragen stellte, ist das fuer die Oesterreicher unverstaendlich gewesen: Was wollen die von uns? Die typische Reaktion auf den Vorwurf von Auslaenderfeindlichkeit und Antisemitismus lautet: „In Deutschland brennen sogar die Asylantenheime, und bei uns spielen die Auslaender in der 1. Liga mit!“ In diesem Klima, fuerchte ich, spielt sich auch die Restitutionsdebatte ab. Was wollen die schon wieder von uns?

Koennte man sagen: Die Rueckgabe des Geraubten war nach 1945 das einzige, was die grosse Mehrheit der Oesterreicher an der Shoah wirklich aufgeregt hat?

Ja, und dazu kann man noch sagen: Sie haben erfolgreich dargestellt, dass man beides zu gleicher Zeit sein kann: Opfer und Taeter. Helmut Zilk hat einmal von den „geschaedigten Taetern“ gesprochen. Es gibt einen Konsens, die Grundbasis einer oesterreichischen politischen Folklore: wir sind Opfe r. Das mangelnde Vermoegen, zu empfinden, dass man unrecht getan hat, zieht sich wie ein roter Faden im Umgang mit der Forderung der Opfer nach Rueckgabe. Deshalb sind sie empoert, wenn sie was zurueckgeben sollen, was geraubt worden ist.

Ein Schuldbewusstsein und eine Restitution, wie in Deutschland, hat es in Oesterreich nicht gegeben. Dort ist fast alles zurueckgegeben wo rden, und hier fast nichts. Oesterreich hat keine Wiedergutmachung geleistet, und es gab kein Schuldeingestaendnis – weder ein oeffentliches, noch ein individuelles. Wiedergutmachung und sonstwelche Unannehmlichkeiten waren eine Sache, die sich die Deutschen mit den Juden ausmachen sollten.

Warum ist fuer eine Restitution das Schuldeinbekenntnis so wichtig?

Das sieht man am Beispiel Deutschland: Das Zurueckgeben war nicht etwas, was vor allem den Opfern gutgetan hat, sondern den Taetern: Sie haben sich befreit. Und das fehlt in Oesterreich. Das ist im wesentlichen das, was ich das „Reinigen“ nenne.

Weil es das nicht gegeben hat, haben alle gutgemeinten Aktionen wie zum Beispiel der Nationalfonds nicht die Wirkung, die man sich erwartet hat. Und wenn jetzt – mehr als ein halbes Jahrhundert spaeter – alle Opfer, von denen vielleicht 20- bis 25.000 noch leben, etwas bekommen koennen, das ist alles nichts, ein Mumpitz, wenn es nicht vorher ein mea culpa gibt. Das ist die Voraussetzung einer Katharsis.

Eines der wesentlichen Elemente der katholischen Kirche ist die Beichte, bei der die Schuld erlassen wird. Indem man die Schuld anerkennt, befreit man sich davon . Und genau das wird hier mit mit grosser Akribie von jeder „guten Tat“ weggenommen, damit es eben zu keiner Reinigung kommt. Damit ist das Wiederholen programmiert. Oesterreich hat erfolgreich das Bewusstsein der Schuld uebersprungen. Es geht darum, dass die Taeter die Schuld einbekennen, nicht weil sie gezwungen sind oder weil sie glauben, gezwungen zu sein, sondern weil sie es wollen. Das ist hier nicht geschehen. Und damit ist fuer mich die Gewissheit da, dass es wiederkommen kann. Davon bin ich ueberzeugt.

Schuldbewusstsein ist die Voraussetzung von Gewissen?

Gewissen ist eine juedische Erfindung – das hat schon der Goebbels gesagt. Es ist die Voraussetzung, um zu Frieden zu kommen. Dabei waere es fuer Oesterreich so leicht gewesen, zu Frieden zu kommen. Oesterreich hat sehr viele Jahre davon gelebt, seine Geschichte aus dem Blickwinkel des Leopold Figl am Balkon zu sehen: „Oesterreich ist frei!“ Die Oesterreicher waren nicht frei, aber sie haben das nicht gesehen. Nicht, solange sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit gezeigt haben, dass sie keine Verantwortung uebernehmen fuer das, was passiert ist. Auch jetzt nicht. Ueber Restitution wird verhandelt, weil einfach der Druck der Amerikaner zu gross geworden ist, um die Sache noch weiter auf die lange Bank zu schieben.

Wenn man von der Frage der Restitution absieht – wie wuerden Sie das Verhaeltnis zwischen Oesterreich und den Juden nach 1945 kennzeichnen?

Als Verhaeltnis, das von den Oesterreichern her in einem hohen Ausmass von Gleichgueltigkeit gepraegt war. Von den Antisemiten wurden die Juden akzeptiert wie ein Ausschlag. Den anderen waren wir mehr oder weniger egal. Was an juedischen Institutionen gefoerdert wurde – die juedischen Schulen, das juedische Museum, das Elternheim – das kam alles erst in den letzten zehn, fuenfzehn Jahren. Dabei lag das Versaeumnis auch bei den Juden: Sie haben versaeumt, Forderungen zu stellen. Sie haben kein Zeichen verlangt, dass Oesterreich eine juedische Gemeinde haben will. Die juedische Gemeinde hat nach 1945 eine Schattenexistenz gefuehrt. Aus der Emigration sind nur wenige hundert zurueckgeko mmen, vereinzelte nur aus den KZs. Die anderen kamen aus Osteuropa, hatten irgendwie ueberlebt. Und die mentale, die psychische Verfassung der Leute war sehr schlecht. Eine der wesentlichen Maximen der juedischen Ethik und Religion ist die Frage nach Schuld.

Wenn Gott es zulaesst, dass diese Vernichtung passiert, wo ist da unsere Schuld? Manche Juden fragten: Wo war G ott? Oder: Wo war unsere Schuld?

Welche Auswirkungen hatte das auf die Identitaet der Juden?

Es gab Anpoebeleien, Alltagsantisemitismus – und die Juden haben sich nicht gewehrt dagegen. Ein grosser Teil der Leute, die hierhergekommen sind, sassen jahrelang auf ihren Koffern, weil sie gedacht haben, sie werden weiterziehen, und sind dann haengengeblieben.

Auch ihre Kinder. Man ist hierhergekommen, um zu gehen. Das ist aber nicht so einfach gewesen. Und viele haben es zu etwas gebracht, und Oesterreich hat davon profitiert, dass sie hier geblieben sind.

Aber viele haben nie das Gefuehl gehabt, dass sie hier als Juden willkommen sind. Das alles hat dazu beigetragen, dass es sehr lange dauerte, bis sich hier eine stabile Gemeinde entwickeln konnte.

Und erst seit Waldheim gibt es so etwas wie ein kollektives Selbstbewusstsein. Kurt Waldheim hat den oesterreichischen Juden als Gruppe zu ihrer Identitaet verholfen. Individuell konnten sich schon vorher viele als oesterreichische Juden fuehlen, aber als Gruppe erst nach Waldheim.

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