Von Martin Engelberg
Das Zelebrieren des noch so kleinen Unterschieds gehört zu den lustvollsten Beschäftigungen der Menschen. Bei uns Juden ist das jedenfalls so. Nicht zufällig schuf dafür niemand anderer als Sigmund Freud einen eigenen Begriff: „Narzissmus der kleinen Differenzen“. Dieser beschreibt die Neigung der Menschen, ihre Missgunst und Aggression gegen andere zu richten, indem sie ihre Gemeinschaft als irgendwie anders definieren.
Natürlich lassen sich mit den Büchern über den Unterschied zwischen Wald- und Weinviertlern, oder Deutschen und Österreichern ganze Bibliotheken füllen. Aber was ist das schon in Vergleich zu den Unterschieden zwischen Ashkenazim und Sefardim, unter den Ashkenazim zwischen polnischen, ungarischen und rumänischen Juden, unter den polnischen Juden zwischen Galizianern und Warschauer Juden, ganz zu schweigen von der unüberbrückbaren Differenz zwischen Chassidim und Misnagdim.
Da ist es nur selbstverständlich, dass bei den letzten Wahlen in der Wiener Kultusgemeinde nicht weniger als elf Parteien antraten, um die Gunst von zwischen 105 und 950 Wählern zu erringen. Freilich war es undenkbar, dass sich mehrere Gruppierungen mit praktisch völlig identischem Programm zu einer Partei zusammengetan hätten. Freud nannte diesen Hang der Menschen in seiner Abhandlung Das Unbehagen in der Kultur (1930) „eine bequeme und relativ harmlose Befriedigung der Aggressionsneigung“. Auch in Israel wird diese Tradition hochgehalten. Bei den vergangenen Wahlen zur Knesset bewarben sich nicht weniger als 34 Parteien um insgesamt 120 Sitze. Mehrere Mitte- Links-Parteien, insbesondere die von Shelly Yachimovich geführte Arbeiterpartei, sowie die liberalen Gruppierungen von Tzipi Livni und jene von Yair Lapid, haben insgesamt 40 Mandate erreicht.
Sie stehen in mehrfacher Hinsicht für sehr ähnliche Positionen, konnten sich jedoch nicht auf ein gemeinsames Antreten einigen. Dabei hätten sie die Partei des Premierministers Netanyahu, die nur 31 Mandate errang, weit hinter sich gelassen, das Amt des Premierministers für sich in Anspruch nehmen und einen politischen Richtungswechsel herbeiführen können.
Das oftmals gehässige Zelebrieren von Differenzen zwischen uns Juden nutzt unseren Feinden. In der Zeit der britischen Mandatsherrschaft im damaligen Palästina gab es einen beliebten Witz darüber: Ein britischer Sergeant meldet seinem Vorgesetzten: „Ein Dutzend Juden verhaftet! Fünf Revisionisten, vier Misrachisten, zwei Kommunisten und ein allgemeiner Zionist.“ Der Offizier: „Wo sind sie?“ Sergeant: „Sie stehen draußen.“ Der Offizier: „Was?? Ohne Bewachung?“ Sergeant: „Nicht nötig! Die passen schon aufeinander auf!“