Johann Skocek hat ein beeindruckendes Buch über das beeindruckende Leben des Norbert Lopper geschrieben. Eine Buchbesprechung und Lebensbetrachtung.
VON WOLFGANG WEISGRAM
Dass, wenn einer über Fußball redet, er flugs vom Hundertsten ins Tausendste kommt, weiß man. Das ist ja nicht der geringste Reiz dieses Sports. Bei Norbert Lopper ist das quasi umgekehrt: Was immer mit ihm zu bereden wäre, es schwenkt letztendlich stets ein in einen Orbit um den Fußball. Und das ist nicht der geringste Reiz des Buches, das Johann Skocek über den im heurigen Sommer 95 Gewordenen geschrieben hat. Eine Art Geburtstagsgeschenk ist das Buch also. Eines allerdings nicht an, sondern von Norbert Lopper.
Zwischen schönem Spiel und blutigem Ernst Lopper
Lopper kam im Jahr 1919 in der Wiener Brigittenau auf eine von schrecklichen Nachkriegswirren geschurigelte und zunehmend zerrüttete Welt. Er wuchs auf, als eines von fünf Kindern, hinterm Augarten, wo er wie selbstverständlich auch – und allmählich vor allem – ins Ballestern hineinwuchs. Erst wild und naturwüchsig im und außerhalb des Augartens; später beim lokalen FC Sparta, dessen Vereinslokal, die feine Gastwirtschaft Hacker, gleich ums Eck des Lopper’schen Wohnhauses lag. Noch später holte ihn die große Hakoah zu sich in den südöstlichen Teil der sogenannten Mazzesinsel, in den Prater, „dort hab ich bis 38 in der Jugend und in der Reserve gespielt“.
Loppers Herz gehörte da freilich schon einer anderen: der Austria, die bis 1926 als FC Amateure unterwegs gewesen ist. „Das Erste, was ich gesehen hab, war ein Match Austria Amateure gegen Vienna am Cricketer-Platz. Als Bua bin ich auf der Erd gesessen. Ich war vier oder fünf. Ich hab noch heute die schwarz-blau gestreiften Dressen in Erinnerung.“
Die Hakoah und die Austria waren im Fußball sowas wie die zwei Flügel, mit denen die Wiener Juden sich nicht nur sportlich hochschwangen. Die Allroundverein Hakoah, einst der größte jüdische Sportverein der Welt, hatte eine forciert jüdische Agenda, ihm ging es um das Unter-Beweis- Stellen jüdischer Kraft – die auf Hebräisch eben Hakoah heißt. Die Austria dagegen saß lieber im Kaffeehaus, wo das liberale Bürgertum sich zum tänzerischen, ja scheiberlnden Techteln und Mechteln mit dem Zeitgeist traf, zu dem damals auch der Fußball angefangen hat zu gehören. Jüdisch war an ihnen – vom legendären Austria- Präsidenten Michel Schwarz bis zu den Meisl-Brüdern Hugo und Willy – die Zugehörigkeit zur Israelitischen Kultusgemeinde. Wären sie Wiener Christen gewesen, hätte man sie Taufscheinkatholiken genannt.
1938 haben die Nazis die feine Unterscheidung zwischen Juden und Israeliten – so hat das ballesterische Wien die beiden Vereine bespitznannt – mit ihrer Raub- und Mordlust eingestampft. „Ich hab die ganze Zeit gewusst, ich kann nicht länger bleiben.“ Lopper floh zu Verwandten nach Brüssel, die Familie kam bald nach, man wiegte sich in trügerischer Sicherheit. Norbert kickte binnen kurzem wieder, gleich bei zwei Teams, das fettete das Haushaltbudget auf. 1940 heiratet er, aber ein Familienleben war dem Paar nicht vergönnt. 1942 werden die Eheleute voneinander getrennt. Auf der Rampe von Auschwitz. Er überlebt mit unwahrscheinlichem Glück. Sie nicht. Johann Skocek legt weite Erzähl- Schlingen um das Leben des Norbert Lopper. Immer wieder kommt er, reflektierend, auch auf sich und seine Zugänge zurück, als würde ihm bei Schreiben zuweilen ein wenig schwummerig vor der gewaltigen Aufgabe dieser Biografie. Und vor der Herausforderung, beim Spagat zwischen dem schönen Spiel und dem so blutigen Ernst nicht schreiberisch zerrissen zu werden. „Was rechtfertigt“, fragte sich also Johann Skocek, „das Interesse an der Schilderung eines weiteren Lebens, das durch die Hölle von Auschwitz gegangen ist?“
Weil Skocek, wie er vielfach ja schon unter Beweis gestellt hat, ein herausragender Schreiber ist, gibt er sich und dem Leser keine bündige Antwort darauf. Sondern eine ganze Erzählung. „Loppers Lebensbericht ist die Geschichte eines geglückten, mit vielen Anekdoten und Begegnungen angereicherten Lebens, das mit dem Zwangsaufenthalt in Auschwitz bloß eine Zäsur erfuhr.“ Skocek selbst nennt das Buch eine „Reise durch ein großes, von tiefen Wunden und dem Mut und der Kraft zu ihrer Heilung gezeichnetes Leben“.
Austria auf dem Weg ins moderne Fußballleben
Befreit in Mauthausen, zurückgekehrt nach Brüssel, wegen einer durch SSFolter zertrümmerten Bandscheibe unfähig zu kicken, sich den Lebensunterhalt als Spielevermittler verdienend, kommt Lopper 1953 nach Wien zurück. Hier übernimmt er erst den Anhängerklub der Wiener Austria, von dort aus das Sekretariat, also die Geschäftsführung. Unter ihm dienen so hochrangige Präsidenten wie der legendäre Joschi Walter. Mit seinen weit in die Welt hinaus reichenden Kontakten hebelt er die Austria ins moderne Fußballleben, holt nach dem Brasilianer Jacaré etwa auch die beiden Uruguayaner Martinez und Morales, verschafft dem vazierenden Verein mit dem Horrstadion eine Heimstatt und bastelt ihm schließlich – Herbert Prohaska lotste er zu den Violetten – eine kleine Wundermannschaft, die 1978 bis ins Europacupfinale vorstößt.
Für die Alten ist Norbert Lopper klarerweise immer noch ein lebendiger Begriff. In den Köpfen der Jungen fängt er aber allmählich doch an zu verblassen. Seit vielen Jahren wird Johann Skocek nicht müde, sich den Mund trocken zu reden über die Notwendigkeit, dem österreichischen Sport endlich ein halbwegs ernstzunehmendes Gedächtnis zu verschaffen. Mit Verve und fallweise sogar an der Kante des eigenen Auskommens wuselt, werkelt, wurschtelt er unermüdlich und inmitten von blasiertem Desinteresse und eigennütziger Hackelwerferei an der Idee und Konzeption eines längst schon überfälligen österreichischen Sportmuseums.
Warum das wozu wichtig wäre, zeigt Johann Skocek mit diesem Buch sehr anschaulich. Die Erzählung über das pralle Leben des „Mr. Austria“ – des Juden, der sich als leidenschaftlicher Israelit so bedingungslos in den Wiederaufbau des ballesterischen Wien geworfen hat – eignet sich hervorragend auch dazu, nicht nur das zuletzt so lautstark aufgetretene Nazigesindel unter den Austriafans aus dem Horrstadion – dem einstigen Cseké-Srce- Platz – zu watschen.
Sondern auch. Und dieses „sondern auch“ mag Antwort genug sein auf die Rechtfertigungsfrage, die Autor sich selber gestellt hat.
Johann Skocek
Mister Austria.
Das Leben des Klubsekretärs Norbert Lopper –
Fussballer, KZ-Häftling, Weltbürger
Falter Verlag, Wien 2014
224 Seiten, EUR 24,90