Körperliche Beschwerden haben den Bewegungsradius von Eric Pleskow, der am 24. April seinen 95. Geburtstag feiert, zwar eingeschränkt. Aber dank seines wachen Geistes kann man mit ihm überallhin unterwegs sein: in die Vergangenheit, in die Gegenwart – und in die Zukunft.
„Der 95er ist mir nicht wurscht! Das klingt wirklich alt. Auf jeden Fall wesentlich älter, als ich mich fühle!“ Mit diesen Worten kommentiert Eric Pleskow, Ehrenpräsident der Viennale und einst mächtiger Präsident großer Hollywood-Studios wie United Artists und Orion, seinen Geburtstag am 24. April 2019. Dass er seinen Ehrentag nicht in Wien begehen kann, hat – wie er es ausdrückt – mit der „im buchstäblichen Sinne schmerzlichen Erkenntnis“ zu tun, dass das Alter nicht, oder nicht nur, mit einer Zunahme an Erfahrung und hoffentlich auch an Weisheit einhergehe, sondern auch mit diversen körperlichen Beschwerden, die seinen Bewegungsradius und damit auch seine Reisetätigkeit eingeschränkt haben. Aus diesem Satz blitzt das hervor, was Eric Pleskow immer auszeichnete: sein Humor. Obwohl er heute im Rollstuhl in seiner Wohnung in Stamford in Connecticut sitzt und keine größeren Ausfahrten unternimmt, als die zum Haus seiner zehn Minuten entfernt wohnenden Tochter Michelle, kann man dank seines immer noch sehr wachen Geistes mit ihm überallhin unterwegs sein. In die Vergangenheit, in die Gegenwart – und in die Zukunft. Denn immerhin hat er seiner Tochter, mir und vielen anderen Freunden versprochen, mindestens 100 Jahre alt zu werden. Und er hat, wie er immer wieder betont, auch vor, sich an dieses Versprechen zu halten. Zehn der insgesamt vierzehn Oscars in der Kategorie „bester Film“, die Eric während seiner Ära bei United Artists und Orion gewinnen konnte, stehen übrigens bei seiner Tochter – und vier in seiner Wohnung in Connecticut.
Keine solchen Interviews
Es ist 42 Jahre her, seit ich Eric Pleskow in London zum ersten Mal getroffen habe – und zwar im Februar 1977 bei einer Convention des Hollywood-Studios United Artists. „We are No.1“ stand auf den T-Shirts der Mitarbeiter, die sich damals im luxuriösen Ambiente eines Londoner Nobelhotels mit internationalen Journalisten trafen, um die neuesten Hits des Filmprogramms vorzustellen und die neuesten Marketing-Strategien zu besprechen. „We are No.1“ – eine dezentere Formulierung wäre falsche Bescheidenheit gewesen, denn United Artists hatte es damals, unter der Präsidentschaft Eric Pleskows, tatsächlich geschafft, zum Marktführer der US-Filmindustrie zu werden. Mit eingeladen waren die Stars der Filme, darunter Sylvester Stallone und Roger Moore – damals ganz frisch als Nachfolger von Sean Connery in der James-Bond-Rolle.
Am ersten Abend gab es ein Galadiner im Ballsaal. Ich kam zu spät, alle Tische waren bereits voll. Bis auf einen – ein Tisch für zwölf Personen war nahezu leer. Nur drei Herren mittleren Alters saßen da und erhoben keinerlei Einwände, als ich mich dazusetzte.
Zwei der Herren sprachen freundlich mit mir, der dritte hielt sich zurück. Auf Englisch fragte ich sie, ob sie den Präsidenten von United Artists kennen würden, der ja angeblich Österreicher sei. Diese Frage erregte gleichermaßen Verwunderung wie Erheiterung – Reaktionen, mit denen ich damals nichts anfangen konnte. Sie versprachen, ein Interview mit Mr. Pleskow zu vermitteln – eine schwierige Aufgabe, wie sie meinten, weil Mr. Pleskow alles andere als ein einfacher oder gar angenehmer Mensch sei.
Am nächsten Tag fand das Interview statt. Der „schwierige Mr. Pleskow“ war, wie sich herausstellte, der wortkarge dritte Mann am Tisch des Galadiners. Er sprach ein fließendes, akzentfreies und leicht wienerisch angehauchtes Deutsch und betonte mehrmals, dass er normalerweise keine solchen Interviews gebe, aber die beiden anderen Herren vom gemeinsamen Tisch am Vorabend hätten ihn dazu überredet.
Kurze Zeit später traf ich ihn wieder, und zwar im Mai 1977, bei den Filmfestspielen in Cannes. Für gewöhnlich mietete er jedes Jahr das gleiche Zimmer – Nummer 321 – im Carlton-Hotel. Tagsüber verbarrikadierte er sich darin, um sich dem Starrummel auf der Croisette zu entziehen.
Bis auf einen Tag. Da saß er unten auf der Terrasse. Ich war damals zum ersten Mal bei einem Festival und wollte noch einmal ein Interview mit dem großen „Hollywood-Mogul“ machen. Auf Wunsch der Zeit im Bild-Redaktion zum Thema „Starlets, die mittels Striptease versuchen, von Produzenten für den Film entdeckt zu werden“.
In Eric Pleskows Miene zeigte sich – nach anfänglich überraschter Höflichkeit – eiskalte Ablehnung. Nicht wegen der nackten Starlets, über die hätte er wahrscheinlich ohne Probleme geredet, sondern wegen der Worte „österreichisches Fernsehen“.
Er würde für österreichische Institutionen nicht zur Verfügung stehen! Das Interview fand schließlich doch statt, und erst Jahre später konnte ich die genaueren Ursachen und die Tragweite von Erics Vorbehalten gegenüber Österreich ermessen. Und je mehr ich in den vielen Gesprächen mit ihm über seine persönlichen Erfahrungen mit der österreichischen Geschichte erfuhr, desto größer wurde mein Wunsch, ihn mit Österreich zu versöhnen und ihm zu beweisen, dass es hier auch andere Menschen gibt als jene, unter denen er bis zu seiner Flucht im Jahr 1939 gelitten hatte.
Limousinen und Lämmer
In den 42 Jahren, die wir uns nun kennen, hat sich die Freundschaft immer mehr vertieft. Eric erzählte mir, wie er 1939 buchstäblich in letzter Minute als knapp 15-Jähriger sich und seine Eltern retten konnte. Er erzählte mir von seinem Bruder Herbert, der nach langer, schwerer Krankheit 1939 gestorben war. Und wäre er nicht gestorben, dann wären Eric und seine Eltern sicher in einem KZ umgekommen, denn sie hätten ohne den kranken Herbert, dem man die anstrengende Flucht nicht zumuten konnte, Wien nie verlassen. Er erzählte mir auch, was es für ihn bedeutet, dass es in Wien – im jüdischen Teil des Zentralfriedhofs – nur noch die Gräber seiner Familie gibt.
An meinen ersten Besuch bei Eric in New York, im Jahr 1980, erinnern wir uns beide noch so gut, als wäre es gestern gewesen. Er wollte mich zum Essen einladen, und ich sollte ihn von seinem Bürogebäude in der 5th Avenue abholen. Den Weg zum Restaurant (dem damals total angesagten Club 21) wollten wir zu Fuß gehen. Ich bemerkte eine silbergraue Limousine, die im Schritttempo hinter uns herfuhr.
Nach einiger Zeit wurde ich nervös und fragte Eric, ob es ihm nicht auch auffalle, dass uns der Wagen dauernd verfolge. Eric ungerührt: „Ja, das is’ mein Chauffeur und Bodyguard. Die bei der Orion san so deppert und glauben, wenn mir was passiert, fallen die Aktien.“
Wie sich herausstellte, waren die bei der Orion doch nicht so „deppert“, denn als Eric zehn Jahre später schwer erkrankte und längere Zeit die Firma nicht führen konnte, fielen die Aktien tatsächlich. Die Orion Pictures Corporation ging schließlich zugrunde, obwohl Eric mit dem ihm eigenen Instinkt noch Filmstoffe wie Der mit dem Wolf tanzt oder Das Schweigen der Lämmer finden und produzieren konnte. Die Filme erhielten mehrere Oscars, Das Schweigen der Lämmer sogar in allen Hauptkategorien: bester Film, beste Regie, bester Hauptdarsteller. Alle Oscars für einen Film in den wichtigen Kategorien – das hatte vor Eric Pleskow nur einer geschafft: Eric Pleskow – mit Filmen wie Einer flog über das Kuckucksnest und Amadeus. Hätte er nicht 1939 vor den Nazis flüchten müssen, so stellt Eric heute ebenso kokett wie wehmütig fest, wäre er nicht zu einem wesentlichen Player in Hollywood und damit zu einem wesentlichen Teil der internationalen Filmgeschichte geworden, sondern er wäre in Wien wahrscheinlich als Arzt tätig gewesen – und längst in Pension.
Lieber zu Lebzeiten
Inzwischen ist Eric mit Österreich mehr als versöhnt. Er liest täglich im Internet österreichische Zeitungen und sorgt sich über die österreichische Politik, ist nach wie vor und vor allem gerne Ehrenpräsident der Viennale und hat, wie er sagt, „in Wien mehr Freunde als den USA“. Seit Februar 2007 ist Eric Pleskow sogar Ehrenbürger der Stadt Wien. Auf der Gedenktafel im Wiener Rathaus kommt sein Name nach dem von Billy Wilder. Von seinem ersten Wienbesuch mit Billy Wilder erzählt Eric heute noch oft und gerne. Gemeinsam stellten sie 1960 den Film Manche mögen’s heiß vor. Auf das gewünschte Hotel einigten sie sich schnell: das Imperial. Für Wilder sollte es die Suite sein, in der einst Adolf Hitler abgestiegen war, während sich Eric mit der von Hermann Göring „begnügte“. Die Absicht hinter diesem makabren Spaß: Dass sie beide nun in diesem Hotel übernachten konnten, machte sie sicher, dass der Nazi-Spuk vorbei war.
Bei seiner Dankesrede für die Ehrenbürgerschaft gab Eric einmal mehr eine Kostprobe seines hintergründigen Humors: Er hätte gehört, so meinte er, dass ihm als Ehrenbürger ein Ehrengrab zustünde, aber auf dieses Geschenk der Stadt Wien wolle er gerne verzichten. Er hätte stattdessen einen anderen Vorschlag. Statt eines Grabes hätte er lieber ein Zimmer mit Aussicht auf Wien – und dies schon zu Lebzeiten. Der 95. Geburtstag wäre für dieses Geschenk zwar ein schöner Anlass, aber inzwischen hat sich Eric Pleskow damit abgefunden, dass er nur mehr in Gedanken nach Wien reisen kann. Dafür freut er sich umso mehr über Besucher aus der einstigen Heimat. Vor allem dann, wenn sie eine Mohntorte mitbringen – für ihn die „schmackhafteste und verträglichste Form von ‚Opium für das Volk‘“.
Dass in Wien ein neuer Vorführsaal über dem Metro-Kino entstand, der Pleskows Namen trägt, freut ihn. Umso mehr, als der Saal zu seinen Lebzeiten eröffnet werden konnte. Und nicht in memoriam, also danach.
Befragt nach der #MeToo-Debatte, zeigt sich Eric Pleskow empört. Vorfälle wie jene rund um Harvey Weinstein hätte er bei United Artists und Orion niemals geduldet. Eher, so erinnert er sich amüsiert, wäre er „Opfer“ diverser Annäherungen gewesen. Er erzählt von einer heute noch sehr berühmten und vielbeschäftigten Schauspielerin, die zu ihm ins Hotelzimmer kam, um ihn von sich als geeignete Hauptdarstellerin in einem seiner nächsten Filme zu überzeugen. Um dies zu unterstreichen, riss sie ruckartig zuerst die eigene Bluse auf und danach sein Hemd. Zu weiteren Handgreiflichkeiten kam es auf Erics ausdrücklichen Wunsch nicht mehr. Mit dem Hotel-Nähzeug musste er daraufhin die abgerissenen Hemdknöpfe selbst wieder annähen. „Nach diesem Vorfall“, so meint er schmunzelnd, „konnte ich ja nicht meine Frau darum bitten.“
Zu schaffen machte Pleskow auch Ava Gardner, die er 1954 gemeinsam mit Humphrey Bogart auf einer Promotion-Tour für Die barfüßige Gräfin nach Berlin begleitete. Alle hatten sich bereits zu einer Pressekonferenz eingefunden, nur Ava Gardner erschien nicht. Nach längerer Wartezeit wurde Humphrey Bogart grantig und drohte zu gehen. Der damals 30-jährige Pleskow klopfte also an die Tür des Hotelzimmers, in das sich die Diva mit einem neuen Liebhaber zurückgezogen hatte. Sie öffnete nackt und hakte sich bei ihm ein, als er den Grund für die Störung nannte. Sie war bereit, ihn trotz ihres „saloppen Aufzugs“ zur Pressekonferenz zu begleiten. Der Skandal wäre perfekt gewesen, hätte Eric Pleskow sie nicht daran gehindert.
Nach diesen geistigen Ausflügen in die eigene Vergangenheit als „Hollywood-Mogul“ kommen in Eric Pleskow wieder Wien-Erinnerungen hoch. Vor allem an den im Jänner 2017 verstorbenen Freund Ari Rath, den einstigen Herausgeber und Chefredakteur der Jerusalem Post. Mit ihm hatte Eric – wenn auch damals unbemerkt – seine Kindheit in Wien verbracht. Beide waren in unmittelbarer Nachbarschaft in der Porzellangasse aufgewachsen. Schon die erste Begegnung in Wien machte sie zu Verbündeten, zu „Porzellangassen-Buben“, wie sie ihre engsten Freunde danach nannten. Die Parallelen in ihren Lebensgeschichten schweißten sie zusammen: die Erfahrungen mit antisemitischen Übergriffen im Vorkriegs-Wien, die Flucht vor den Nazis und berufliche Erfolge in einer neuen Heimat. Davon erzählen sie in der 2011 entstandenen Dokumentation Die Porzellangassenbuben. Den späten Bund fürs Leben hatten die beiden mit einer gemeinsamen Reise nach Jerusalem besiegelt. Für Eric Pleskow war es das erste Wiedersehen mit Israel seit dem Jahr 1950. Nun gibt es nur mehr einen Porzellangassen-Buben.
Dass die Betonung dabei auf dem „Buben“ liegt, kann jeder bestätigen, der das wache Blitzen in den Augen von Eric Pleskow sieht. Die 80 Jahre, die seit seiner Flucht aus Wien vergangen sind, sind in der persönlichen Begegnung mit dem 95-Jährigen wie weggewischt.
Über Eric Pleskow …
Woody Allen
„Es war schwer, ihn mit einem Filmgag zum Lachen zu bringen, weil er selbst ein Meister der raschen Pointe ist. Wenn es gelang, dann war das ein Gütesiegel.“
Kevin Costner
„Eric Pleskow ist wahrscheinlich der einzige wirkliche Gentleman in diesem Business. Ich weiß nichts von seiner Herkunft und seinen Vorfahren. Ich weiß nur, dass er für mich ein wichtiger Mensch war. Er hat mich ermutigt und mir vertraut.“
Anthony Hopkins
„Er ist zu mir gekommen und hat mir die Rolle des Hannibal Lecter angeboten. Das war der Beginn meiner neuen Karriere. Was soll ich darüber hinaus noch sagen …“
Martin Scorsese
„Er war einer der letzten in Hollywood, der wusste, dass Film Kunst und keine Ware ist.“
Sylvester Stallone
„Eric Pleskow war das, was man „a tough guy“ nennt! Er wollte mir mein Rocky-Drehbuch abkaufen und hat mir nicht zugetraut, dass ich mit meiner halbseitigen Gesichtslähmung selbst die Hauptrolle spielen kann. Aber ich habe mich gegen seinen Widerstand durchgeboxt, und vielleicht verdanke ich ihm gerade deshalb meine Zähigkeit, meinen Ehrgeiz und meinen Erfolg.“