Eine Neuerscheinung des Czernin Verlags zeichnet die Geschichte eines Transports nach, der noch kurz vor Zusammenbrechen des NS-Regimes Raubgut nach Deutschland bringen sollte. Nicht nur Nazis, auch die US-Armee machte sich hier die Hände schmutzig.
Von Katja Sindemann
Das Buch ist atemberaubend in seiner nüchtern vorgetragenen Diktion. Im März 1945 startete an der österreichisch-ungarischen Grenze ein Güterzug mit 46 Waggons, von denen 24 mit Raubgut gefüllt waren. Der Großteil war ungarischen Juden per Dekret April 1944 von einem Sonderkommando unter Adolf Eichmann gestohlen worden. Als die Rote Armee näher rückte, beschloss das Nazitreue Pfeilkreuzler-Regime, die Besitztümer zur „sicheren Unterbringung“ nach Deutschland zu transportieren. Der Zug war beladen mit Kisten voll Gold, Silber, Juwelen, Schmuck, Münzen, Bargeld, Geschirr, Gemälden, Teppichen, Porzellan, Pelzen, Sakralgegenständen, Uhren, Briefmarken etc. Trotz einer Reihe von Pannen erreichte der Zug schließlich Hopfgarten in Tirol. Dort wurde ein Teil der Kisten von einem Pfeilkreuzler abgezweigt. Der „Goldzug“ fuhr weiter nach Bad Gastein, wo er zunächst im Tauerntunnel versteckt wurde. Der antifaschistische Zugbegleiter László Avar übergab die Waggons schließlich am 16. Mai in Werfen der US-Armee. Der Zuginhalt wurde in einer Kaserne in Salzburg gelagert. Bald schmückten amerikanische Offiziere ihre Büros und Häuser mit Schätzen aus dem Goldzug. Ende 1945 wollte Gideon Rafael von der Jewish Agency das Lager besichtigen. Die US-Army verweigerte ihm den Zutritt. Der Wert des Zuginhalts wurde damals von amerikanischen Behörden auf 150 Millionen geschätzt, jüdische Organisationen bewerten ihn heute mit 350 Millionen Dollar. Offiziere, die sich gegen die unberechtigten Zugriffe verwehrten, wurden von ihren Posten abgezogen. Als im Frühjahr 1946 die Jewish Agency das Lager besuchte, waren von den 24 Waggons nur mehr 16 vorhanden. Die Amerikaner beschlossen dann, die Fracht dem Internationalen Flüchtlingskomitee zu übergeben. Inzwischen erhob die Oesterreichische Nationalbank Anspruch auf entzogenes Gold, darunter 13,5 Kilo aus dem ungarischen Zug. 1947 übergab der amerikanische General Keyes dem österreichischen Bundeskanzler Leopold Figl Gold im Wert von 4,7 Millionen Dollar. In der Folge verschwanden weitere Gemälde, Teppiche, Pelze, Sakralgegenstände. Der Rest der Fracht wurde in Frankfurt bzw. New York versteigert. Der Erlös blieb mit 2,2 Millionen weit unter dem Wert der gestohlenen Gegenstände. 1998 setzte Bill Clinton die „Presidential Commission on Holocaust Assets“ ein, die u.a. den Verbleib der Schätze des „Goldzugs“ klären sollte. Der Endbericht umfasste gerade einmal vier Seiten und war wenig erhellend. Daraufhin reichten 33 ungarische Holocaust-Überlebende Klage ein. 2005 kam es zum Vergleich: Die US-Regierung zahlte 25 Millionen Dollar für Sozialhilfeprojekte zugunsten ungarisch-jüdischer NS-Opfer. Das Buch erschüttert mit seinem unprätentiösen Bericht, und zeigt eindrücklich, wie viele Hände sich an dem geraubten Gut bereichert haben. An manchen Stellen schimmert die grausige Realität durch: Die Kisten enthielten tausende Eheringe mit braunen Flecken – sie waren vermutlich mit den Fingern abgetrennt worden. Unter den Goldzähnen fanden sich zahlreiche natürliche Zähne, die mit Gewalt entfernt worden waren.
WEB-TIPPS:
www.pcha.gov/goldtrainfinaltoconvert.html
Sabine Stehrer: „Der Goldzug“, Czernin Verlag, Wien 2006, 180 Seiten, 21,80 Euro, ISBN 3-7076-0064-5