Wie funktioniert Restitution im Nachbarland Tschechien? Dem Prager Chemiker Jan Lang brachte die Wende Grund, Boden und Reichtum wieder. In ihrem Buch „Reifeprüfung Prag 1989“ berichtet NU-Autorin Barbara Tóth von 24 weiteren Schicksalen zwischen 1948, 1968 und 1989. Ein Vorabdruck.
Von Barbara Tóth
Jan Lang braucht gar nicht zu sagen, dass er ein glücklicher Mensch ist. Man sieht es ihm an. Sein rundes Gesicht strahlt und seine dunklen Augen, die hinter der Brille noch ein wenig größer wirken als sie sind, blitzen. Wenn Jan lacht, dann bebt sein massiger Körper, er schüttelt sich und schnauft, und dieses Schauspiel zeigt sich oft, denn Jan lacht gerne. Er hat dazu auch allen Grund. Jan gehört zu den wenigen tausend Tschechen, die von der Restitution profitiert haben. Bald nach der Wende im Jahr 1989 hat er einen Teil jenes Besitzes, der einst seiner Familie gehört hatte, zurückbekommen. Bei Jan war die Rechtslage eindeutig: Er stammt aus einer ehemals reichen jüdischen Advokatenfamilie. Sein Urgroßvater, ein stattlicher Gentleman der alten Schule, der seinen Glauben praktizierte, aber weltlichen Dingen ganz und gar nicht abgeneigt war, floh vor den Nazis im Jahr 1938 in die Schweiz. Im Jahr 1945, nach Ende des Krieges, wanderte er dann in die USA aus. Er wollte nicht zurück in sein Heimatland, und so überschrieb er sein Eigentum, das aus Häusern in Prag und Wien, einem herrschaftlichen Gut mit Grund und Boden und angeschlossener Landwirtschaft unweit Prags bestand, seinen Kindern. Jans Großvater, Advokat wie sein Vater, bekam den Besitz in Tschechien, seine Großtante erbte das Haus in Wien. Im Jahr 1948, nach der Machtergreifung durch die Kommunisten, wurde die gesamte Familie enteignet. Die Langs waren eindeutig zu wohlhabend für kommunistische Standards. Ihre Reichtümer sollten der Allgemeinheit zugute kommen. Das Landgut wurde verstaatlicht und als genossenschaftlicher Betrieb weitergeführt, die Häuser in der Stadt zu Staatsbesitz. Nur Jans Großvater blieb, seine Geschwister verließen die Tschechische Republik, die nun Tschechoslowakische Sozialistische Republik hieß. Seine Großtante lebt heute in Chile, ein anderer Bruder verstarb in den USA: Was aus dem Haus in Wien wurde, weiß Jan nicht. Er hatte genug Mühe, seinen Besitz in Tschechien wieder zurückzugewinnen. Auch wenn seine Familiengeschichte keine Fragen offen ließ, musste alles erst einmal bewiesen werden. Alte Akten mussten ausgegraben, Urkunden beglaubigt, unwirsche Beamte überwunden werden. Es hat schon seinen Grund, dass der tschechische Schriftsteller Franz Kafka seinen Helden K. im Roman „Der Prozess“ ausgerechnet in den Kampf gegen die gesichtslose Bürokratie schickt. Die tschechische Beamtenschaft vereint den selbstbewussten k. u. k. Herrschaftsanspruch von einst mit österreichischem Gängeltum und tschechischer Wurstigkeit, in Summe keine besonders produktive Mischung. Sein Großvater erlebte die Restitution nicht mehr, er verstarb 1978. Sein Vater, Chemiker wie Jan, sah Gut und Ländereien noch rückerstattet. Aber auch er konnte den wieder erworbenen Reichtum nicht wirklich genießen. Er starb Anfang des Jahres 1999. Jan ist somit der Letzte seiner Familie. Er erbt, was seine Vorfahren einst aufgebaut und dann verloren haben. Jans Geschichte erzählt somit auch die Geschichte dreier Generationen im Tschechien des 20. und 21. Jahrhunderts, die jede auf ihre Art eine tragische ist – jene von Jan vielleicht ausgenommen. Drei Jahreszahlen dienen dabei als Chiffre: 1948, das Jahr der kommunistischen Machtergreifung, die einherging mit Enteignung, Verstaatlichung, Vertreibung und Inhaftierung. Dann das Jahr 1968, in Westeuropa Symbol für gesellschaftlichen Aufbruch und Modernität, sexuelle Befreiung und Emanzipation. In Tschechien steht diese Jahreszahl für den Prager Frühling – und für seine blutige Niederschlagung. Die Invasion der „befreundeten“ Armee des Warschauer Paktes zerstörte die Hoffnungen einer ganzen Generation, die von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz, von einem Sonderweg Tschechiens im Ostblock geträumt hatte. Und schließlich das Jahr 1989, das Jahr der sanften Revolution, oder schlicht „Listopad“, das Jahr des „Novembers“, wie die Wende in Tschechien ohne Attribute und Jahreszahl genannt wird. Jan ist ein Kind dieses Jahres, ein 89er, einer, dem die Wende Grund, Boden und moderaten Reichtum brachte. Für die 48er kam 1989 vielfach zu spät. Sie waren bereits in Pension, hatten ihr aktives Leben verlebt, viele von ihnen hatte der Kommunismus mental zerstört, abgestumpft. Die neuen, bunten und schreienden Zeiten schmerzten sie, sie fanden sich nicht zurecht. Manche der 48er verbissen sich gegen Lebensende noch einmal in den Kampf um Wiedergutmachung, um Rückerstattung ihres einstigen Hab und Guts. Es war ein Stellvertreterkampf um historische Gerechtigkeit. Die Aussicht, ihr einstiges Elternhaus, den Grundbesitz, die Felder und Anwesen ihrer Jugend wiederzubekommen, hielten sie am Leben. Nicht selten verstarben Greise, die sich zuvor noch von Amt zu Amt, von Beamten zu Beamten geschleppt hatten, wenig später, sobald ihr letzter Lebenssinn erfüllt war. Die 48er sind, vor allem in den Augen Jans, eine tragische Generation. In der Jugend kommunistifiziert, im Alter brutal verwestlicht – und dazwischen ein Leben unter Hammer und Sichel, das mit einem Mal niemand mehr so recht schätzen wollte. Einfacher hatten es die 68er. Sie waren 1989, als die Wende kam, in ihren besten Jahren. Pech hatte, wer korrumpiert war. Er musste seine Sessel räumen – meistens waren es die Chefsessel – und erst einmal verschwinden. Nicht wenige der entlassenen Firmenchefs, der so genannten „roten Barone“, tauchten wenig später wieder auf. Mit neuen Visitenkarten, aber der alten Gesinnung. Für jene aber, die ihre Regimekritik mit einem Leben in der Grauzone bezahlt haben, die, obwohl gebildet und intellektuell, Bauarbeiter wurden oder Bierfässer ausführten wie der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel, für jene begann ein kurzes, goldenes Zeitalter. Sie durften aus der Versenkung auftauchen und die neuen Machtpositionen übernehmen, vor allem in der Meinungs- und Medienindustrie. Jan, der noch nicht verheiratet ist, lebt heute ganz gut. Mit einer Plattenbau-Wohnung 3+1 in der Stadt und einem derzeit als Hopfenfarm verpachteten Gut am Land. Mit einem Skoda Octavia zum Ausfahren und einem alten Fiat für holpriges Gelände. Mit einem sicheren Job als Spektroskopie-Spezialist auf der Uni, der ihm monatlich einen weit über dem Durchschnitt liegendes Bruttogehalt von 25.000 Kronen einbringt und einem Zusatzeinkommen aus seinen Ländereien von 10.000 Kronen. Andere Familien verdienen nicht einmal das. „Geld ist dazu da, um nicht viel darüber zu reden“, sagt Jan und wohl aus diesem Grund pflegt er eine Lebenseinstellung, für die ihn die unglücklichen 48er sowie die ganz und gar nicht unbeschwerten 68er vielleicht manchmal beneiden dürften.