Aribert Heim ist nach Alois Brunner die Nummer zwei auf den internationalen Fahndungslisten von NS-Kriegsverbrechern. Einiges spricht dafür, dass er im Gegensatz zu Brunner sogar noch lebt. Dafür, dass er auch gefasst wird, nicht unbedingt. Nun wird wieder intensiv nach ihm gesucht.
Von Rainer Nowak
Hallo?“ „Frau Wallisch?“ „Ja, was wollen Sie?“ „Sind Sie jene Erna Wallisch, die als mutmaßliche Kriegsverbrecherin gesucht wird?“ „Ich habe nie etwas getan. Lasst mich endlich in Ruhe.“ Wenn die Jagd auf NSKriegsverbrecher nur immer so leicht wäre wie im Fall der einstigen Wärterin des Konzentrationslagers Majdanek. Ihr Name steht (noch) im Telefonbuch. Dass sie dennoch nicht wie vom Wiesenthal Center gefordert verhaftet und an Polen ausgeliefert wird, liegt laut Justizministerium an der dünnen Beweislage.
In den 70er Jahren wurde bereits ein Verfahren wegen Mordes aus Mangel an Beweisen eingestellt, das in ihrem Fall wesentlich leichter zu beweisende Delikt Beihilfe ist verjährt. Die polnische Staatsanwaltschaft wurde nun aufgefordert, neues Beweismaterial vorzulegen. Zuletzt hieß es sogar, es gebe noch lebende Zeugen von Walischs Taten, zumindest wurden entsprechende Personen und Zitate im eben veröffentlichten Buch „Hunting Evil“ des britischen Schriftstellers Guy Walters abgedruckt. Wallisch selbst bleibt übrigens auch am Telefon bei ihrer Version, wonach sie „kaum Kontakt“ mit Inhaftierten gehabt habe. Sie habe auch natürlich nichts gesehen. Gaskammern? Massen-Erschießungen? Den täglichen Mord und Totschlag? Nichts mitbekommen.
Einem anderen könnte man seine Mitschuld rasch und problemlos beweisen, nur finden kann man ihn eben nicht so leicht: Aribert Heim, heute, so noch am Leben, 93 Jahre alt, entwischt seinen Jägern und Fahndern seit Ende des NS-Regims immer wieder. Nun wird auf Initiative des Wiesenthal Centers und spät, aber doch auch auf Betreiben der öster reichischen Behörden wieder nach ihm gesucht.
Heim bleibt aber auch lange unbehelligt und kann „friedlich“ — wie das dann zynisch heißt — leben. Immer wieder helfen ihm auch bürokratische Fehler, ein dichtes Netz an alten gleich gesinnten Freunden und Bekannten sowie ein beträchtliches Vermögen. Seit den frühen 70er Jahren vermeldeten Medien, dass Heim, dem israelische Zeitungen den Beinamen Dr. Tod gegeben hatten, knapp vor der Verhaftung stehe. Oder dass es zumindest eine heiße Spur gebe … Bisher aber alles ohne Erfolg.
Ernst Klee nennt in „Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer“ die Verbrechen, die Heim vergleichsweise lückenlos nachgewiesen werden können: Der 1914 im steirischen Radkersburg geborene überzeugte Nationalsozialist war ab 1940 Lagerarzt in Sachsenhausen, ab Juni 1941 in Buchenwald und ab Oktober 1941 in Mauthausen. Bereits 1938 hatte er sich zur SS gemeldet. Klee wörtlich: „Heim war ein Arzt, der an Sadismus nahezu alle KZ-Ärzte übertrifft.“ Er lässt sich aus Langeweile Opfer zum Unterhalten kommen, die er quält und schließlich „niederspritzt“. Tausende soll er eigenhändig auf diese Weise umgebracht haben — mittels Herz- Injektionen. Er verwendete häufig Benzin.
Wie in Akten des Mauthausen- Archivs auch nachzulesen ist, experimentierte Heim, indem er lebenden Opfern Herz, Leber oder Milz herausschnitt. 1946 wurde von US-Ermittlern der Wiener Josef Kohl befragt, er schilderte: „Dr. Heim hatte die Angewohnheit, den Häftlingen in den Mund zu schauen, um festzustellen, ob ihr Gebiss tadellos instand war. War dies der Fall, so hat er diesen Häftling umgebracht durch Injektion, den Kopf abgeschnitten, im Krematorium stundenlang kochen lassen, bis der nackte Schädel von jedem Fleisch entblößt war, und diesen Schädel für sich und seine Freunde präpariert als Schreibtisch-Schmuck.“
Nach der Befreiung gerät Heim in Kriegsgefangenschaft in Deutschland, wird bald wieder entlassen und durchläuft mangels koordinierter Suche sogar ein Entnazifizierungsverfahren, dem Gericht liegt ein Akt vor, in dem zwar nicht seine Funktion als Lagerarzt angeführt ist, sehr wohl aber sein Einsatz bei KZ-Inspektionen.
Dennoch wird er nicht weiter vernommen, sondern bekommt den Persilschein mit der Begründung, er sei eigentlich nur Truppenarzt der SS gewesen, selbst der US-Geheimdienst hat dies bestätigt.
Heim geht nach Deutschland und beginnt ein neues Leben als Gynäkologe, wird wohlhabend, er kauft Immobilien, wohnt unter seinem eigenen Namen in einer Villa in Baden-Baden.
Zwar wurde 1950 in Österreich ein Haftbefehl gegen ihn erlassen, aber erst am 14. September 1962 versuchen deutsche Ermittler ihn zu verhaften. Zu spät: Heim hat aus Justizkreisen offenbar eine Warnung erhalten, im roten Mercedes flüchtet er in Richtung Süden. Kurz danach wird er wie Brunner im arabischen Raum vermutet, Simon Wiesenthal will gehört haben, dass er in Ägypten eine Stelle als Polizeiarzt bekommen hat. Heim wird wie viele ehemalige Nazi-Größen in Chile und – später mit einer sehr konkreten Spur – in Südspanien gesucht.
Dabei sind es vor allem seine finanziellen Transaktionen, die seine Jäger in neue Richtungen leiten. 1979 erhebt die Staatsanwaltschaft Baden- Baden Anklage gegen ihren früheren Musterbürger, in Berlin-Tiergarten wird im selben Jahr ein Zinshaus entdeckt, dessen Erträge noch immer auf Heims Konto fließen – es wird beschlagnahmt. Immobilien finden die Ermittler sogar noch 28 Jahre später, diesmal in der Schweiz. Dabei hatten ihn seine Verwandten 1993 in Argentinien für tot erklärt – ohne Sterbeurkunde oder einen Beweis. 1986 glaubt man, dass Heim seine Familie treffen will, irgendwo in Westösterreich an der Grenze zur Schweiz. Offenbar wird Heim misstrauisch, das Familienfest der andere Art soll in Italien stattgefunden haben.
Die nächsten verfrühten Erfolgsmeldungen kommen 2005: Efraim Zuroff, Sprecher des Simon-Wiesenthal- Zentrums, erklärt im Herbst, Heim könne „in den nächsten Tagen“ an der Costa Brava, wo mehrere Nazis untergetaucht waren, verhaftet werden. Dort hatten Ermittler immer wieder Ausschau gehalten, ja sogar Senioren-Residenzen regelmäßig überprüft. Ein Familienangehöriger Heims soll 300.000 Euro in den vergangenen Jahren an einen guten Freund überwiesen haben, der das Geld dann an Heim weitergab. Und wieder klappte der Zugriff nicht, Heim gelang die Flucht, kurze Zeit danach wurde er in Venezuela gesehen.
Nun hat die „Operation Last Chance“ (Wiesenthal Center) ihre vermutlich allerletzte Chance bekommen: Österreich hat erstmals (!) unter Ministerin Maria Berger, wie viele andere Länder, eine Ergreiferprämie auf Heim ausgesetzt: Hinweise auf seine Spur in Spanien, Südamerika und eben der Schweiz gingen ein. Bisher aber noch immer ohne Erfolg. Übrigens: Auch Österreich hat 2005 einen internationalen Haftbefehl ausgestellt.