Im Dezember 1961 vor genau 50 Jahren wurde in Jerusalem das Todesurteil über Adolf Eichmann gesprochen. Gabriel Bach war damals stellvertretender Ankläger im Prozess gegen den Organisator des Holocaust. Mit NU teilte der heute 84-Jährige seine Erinnerungen an den Jahrhundertprozess.
Von Danielle Spera
Der Festsaal im Wiener Justizministerium ist bis auf den letzten Platz besetzt. Der Einladung von Birgit Tschütscher, die für Aus- und Fortbildung zuständig ist, sind mehr als 250 Justizbeamte, RichterInnen und StaatsanwältInnen gefolgt. Im Saal kann man eine Stecknadel fallen hören, als Gabriel Bach in einem gestochenen Deutsch über seine Geschichte, aber vor allem den Prozess seines Lebens berichtet.
„Ich werde oft gefragt, ob ich ein Holocaust-Überlebender bin, meine Antwort ist: ja und nein. Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass ich in Berlin die Theodor-Herzl-Schule am Adolf-Hitler-Platz besuchte. Wir hatten wirklich unglaubliches Glück, unsere gesamte Familie hat überlebt. Zwei Wochen vor der sogenannten Kristallnacht haben meine Eltern und ich Berlin in Richtung Holland verlassen, ein Monat vor der deutschen Invasion sind wir von dort aus auf der Patria nach Palästina gelangt. Dieses Schiff wurde auf seiner nächsten Fahrt versenkt, mit 250 Todesopfern. Mein Vater hatte den Ruf, einen sechsten Sinn zu haben. Als General Rommel sich Palästina näherte, wurde mein Vater gefragt, was machen wir jetzt. ‚Wir weichen nicht zurück‘, sagte mein Vater. So musste Rommel zurückweichen.“
Aus seiner Schule in Berlin, aber auch in Holland ist Gabriel Bach als einziger jüdischer Schüler am Leben geblieben. Als Zeitzeuge wird er bis heute an deutsche Schulen eingeladen und bewertet das Interesse der deutschen Jugendlichen durchwegs positiv. Gabriel Bach ist noch immer beeindruckt, dass das Interesse am Eichmann-Prozess nicht nur anhält, sondern von Jahr zu Jahr steigt. Der Prozess war 1961 das erste globale Medienereignis, heute ist der Mitschnitt auf der Internetplattform Youtube abrufbar. Das Internet sei für ihn eine unerschlossene Welt, auch wenn seine Enkelkinder immer wieder Versuche starten, ihn dafür zu gewinnen, sagt Gabriel Bach. Dennoch ist er überrascht und gleichzeitig berührt von der Initiative auf Youtube.
Nicht nur der Prozess, sondern auch die Monate davor haben sich Bach bis ins kleinste Detail unwiderruflich eingeprägt. Man hatte in Haifa ein ganzes Gefängnis geräumt, in dem dann Eichmann untergebracht wurde. Vierzig Polizeioffiziere haben die Untersuchungen durchgeführt, ein Offizier für jedes Land in Europa, jeweils ein weiterer für die verschiedenen Themenbereiche. Bach war als juristischer Berater der Polizeibehörde neun Monate lang täglich mit Eichmann zusammen und der einzige Kontakt, den Eichmann zur Außenwelt hatte. Im Vorfeld des Prozesses las Gabriel Bach die Biografie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höss, der schreibt, Eichmann habe ihm erklärt, dass man zuerst die jüdischen Kinder umbringen müsse, da sie mögliche Rächer und eine Keimzelle für die Wiedererrichtung dieser Rasse sein können. „Kaum hatte ich das gelesen, wurde mir mitgeteilt, dass Eichmann mich sprechen wolle. Zehn Minuten später stand er vor mir. Das war unsere erste Begegnung. Gar nicht einfach, nach dem, was ich gerade gelesen hatte, eine ruhige Miene zu bewahren.“
Bach liest unzählige Akten, berührende Zeugenaussagen und stößt immer wieder auf dasselbe Schema: Bei Eichmann gibt es kein Erbarmen, selbst wenn Bemühungen, jüdische Persönlichkeiten oder Familien zu schützen, direkt aus dem NS-Apparat kamen. Jedes Mal wenn solche Anfragen zu Eichmann kamen, war das Resultat fatal. So hatte zum Beispiel ein General der Wehrmacht plädiert, dass ein wichtiger Wissenschaftler, Prof. Weiß und seine Frau, verschont bleiben sollten. Eichmann erwiderte, er könne aus prinzipiellen Erwägungen nicht zustimmen. Die Patente dieses ‚Juden Weiß‘ habe die Wehrmacht schon, also gebe es keinen Grund, ihn nicht zu deportieren. „In dieser Nacht träumte ich davon, dass Eichmann keine Wahl habe und Weiß überleben konnte. Wenige Wochen später kam ein junges Mädchen in mein Büro, sie stellte sich als Alisa Weiß vor. Sie war als Baby von ihren Eltern bei Bekannten versteckt worden, bevor die Eltern deportiert wurden. Ihre Eltern hatte sie nie gesehen. Sie fragte mich, ob ich wenigsten irgendwo in den Akten ein Foto ihrer Eltern gefunden hätte, damit sie sehen könnte, wie ihr Vater und ihre Mutter ausgesehen hatten.“ Solche Gespräche oder Zeugenaussagen kann Gabriel Bach unendlich wiedergeben, ein Erlebnis ist emotionaler als das andere.
Viele der Dokumente sind im Prozess gar nicht vorgekommen. So erfährt Bach über eine „Vierteljüdin“, die – weil sie Muttermilch gespendet und „mit jüdischem Element vergiftet“ hatte, von Eichmann ins Konzentrationslager geschickt wird. Oder auch, dass Eichmann in einem Schreiben hervorhob, wie human er sei. Er habe nämlich entschieden, in den Gaswagen schalldichte Wände einzubauen, damit die SS-Chauffeure die Schreie der Sterbenden nicht hören mussten. Nach all den Dokumenten und Zeugenaussagen beurteilt Gabriel Bach Eichmann als gewissenlosen Überzeugungstäter, der sogar stolz darauf gewesen sei, die großangelegte Ermordung der Juden verantwortet zu haben. Noch gegen Kriegsende ließ er die Tötung der Juden von 10.000 auf 12.000 pro Tag hinaufsetzen. Im Gegensatz zur Philosophin Hannah Arendt, die vom „Schreibtischtäter“ Eichmann schrieb, berichtet Gabriel Bach aus den Dokumenten: Seiner Ansicht nach war Eichmann geradezu besessen von der Vernichtung der Juden. Jede Art, das anders darzustellen, sei eine Inszenierung gewesen, so Bach und zitiert aus dem Gedächtnis unzählige Schriftstücke, die das belegen können.
Für Gabriel Bach gab es neben all den unvergesslichen Eindrücken Momente, die ihm unauslöschlich eingeprägt sind. „Eine Aussage, die ich nie vergessen werde, kam von einem Mann, der als Jugendlicher in die Gaskammer kam, weil er ein kleineres Kind schützen wollte. Er war schon innerhalb der Gaskammer, es war finster, die Kinder haben zuerst gesungen, dann geweint. Plötzlich ging die Tür auf, die ersten zwanzig wurden wieder herausgeholt, um bei der Entladung von Kartoffeln zu helfen. Die anderen 180 wurden gleich vergast. Er hat durch diesen Zufall überlebt. Da hat sogar der Verteidiger von Eichmann im Anschluss in meinem Zimmer geweint. So haben wir die Beschreibung der Situation in der Gaskammer bekommen.“
Eine andere Aussage, die bei Gabriel Bach bis heute nachwirkt, ist die Geschichte eines ungarischen Juden, der mit seiner Frau und seinen Kindern in Auschwitz aus dem Zug stieg und sie nicht wussten, was Auschwitz war. Der Mann wurde von seiner Frau und seiner zweieinhalbjährigen Tochter getrennt, schließlich musste auch sein 13-jähriger Sohn mit den Frauen mitgehen. Er hatte Angst, dass sein Sohn die Mutter nicht finden würde, und sah ihm lange nach. Allerdings verlor er ihn und seine Frau aus den Augen, aber er sah seine zweieinhalbjährige Tochter in der Menge, denn sie hatte einen roten Mantel an. Bis auch sie in der Menge verschwand. „Ich war geschockt. Denn ich hatte meiner ebenfalls gerade zweieinhalbjährigen Tochter wenige Wochen zuvor auch einen roten Mantel gekauft. Bis heute verschlägt es mir die Sprache, wenn ich ein Kind in einem roten Mantel sehe“, sagt Gabriel Bach. Steven Spielberg hat diese Geschichte übrigens so beeindruckt, dass er sie als Szene in „Schindlers Liste“ umgesetzt hat.
Der Eichmann-Prozess hatte immense Relevanz für den jungen Staat Israel. „So schmerzhaft es für uns war, das alles zu hören, es war ungeheuer wichtig, diesen Prozess auch in allen Einzelheiten zu führen und vor allem in Israel zu führen. Eichmann war wirklich für den Massenmord verantwortlich und hat mit absoluter Besessenheit daran gearbeitet, unschuldige Menschen zu töten. Es war wichtig, das zu beweisen. ‚Der Krieg ist verloren, aber ich werde meinen Krieg gegen die Juden gewinnen‘ – das waren seine Worte.“
Vor dem Eichmann-Prozess wurde in Israel über den Holocaust nicht gesprochen, die Jugend wollte vom Holocaust nichts hören, auch aus Schamgefühl, meint Bach: „Ein junger Israeli konnte damals verstehen, dass man im Kampf verletzt oder getötet wird, aber er konnte nicht verstehen dass sich Hunderttausende, Millionen haben abschlachten lassen, ohne Widerstand zu leisten. Daher war es wichtig, aufzuzeigen, wie die Menschen bis zum letzten Augenblick in die Irre geführt wurden. Vor allem aber war es kein Prozess gegen einen x-beliebigen SS-Mann, sondern die zentrale Figur, den Drahtzieher des Massenmordes an den Juden.“
Für die Identität des Staates Israel war der Prozess essenziell. „Da stand der Mann, dessen einziges Bestreben war, das jüdische Volk zu vernichten und nahm Haltung an vor einem israelischen Gericht. In diesem Moment war mir die Bedeutung der Errichtung des Staates Israel klar.“ In Israel gibt es keine Todesstrafe, für Eichmann war es aber die gerechte Strafe, so Gabriel Bach. „Die Möglichkeit, zu beweisen, was dieser Mann getan hat, hat mir neben allen traumatischen Gefühlen eine Befriedigung gegeben.“ Schwer vorzustellen, wie Bach mit all diesen Emotionen umgegangen ist. Vielleicht ist es ihm daher eine Verpflichtung, immer wieder darüber zu erzählen.
Der Eichmann Prozess auf Youtube:
www.youtube.com/user/EichmannTrialEN
GABRIEL BACH
wurde 1927 im deutschen Halberstadt geboren, 1928 übersiedelte die Familie nach Berlin, 1938 emigrierte die Familie Bach nach Amsterdam, 1940 nach Palästina, nach dem Krieg studierte Bach in London Jus, kehrte nach Israel zurück und wurde 1961 Staatsanwalt. Als stellvertretender Ankläger nahm er am Prozess gegen Adolf Eichmann teil. Nach der Berufung an den Obersten Gerichtshof in Israel als Richter im Jahre 1982 wirkte er dort bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1997.