Edek Bartz, Teil des legendären Musikduos Geduldig und Thimann, über seine Begegnung mit chassidischer Musik, die ersten Auftritte bei jüdischen Hochzeiten und über seine letzte Challenge.
Von Gabriele Flossmann
Jüdische Musik in Österreich: Bei diesem Stichwort denkt man an das Duo Geduldig & Thimann, das in den 1970er und 80er Jahren von Wien aus europaweit Erfolge feierte. Und damit einen Begriff populär machte, den bis dahin kaum jemand gehört hatte: Klezmer.
Zwei Jahrzehnte lang war es Edek Bartz und Albert Misak gelungen, unter den Mädchennamen ihrer Mütter eine Bühnen- und Musikkarriere aufzubauen. Mit einem bis dahin unbekannten Mix aus chassidischer Musik, Niggunim (hebräischer Ausdruck für religiöse Lieder und Melodien, Anm.) und Klezmer. Es sei ein tolles Leben gewesen, sagt Bartz heute, mit Fünf-Sterne-Hotels, Luxuslimousinen und Champagnerduschen. Wie konnte er seine Karriere, in der er das chassidische Liedgut für sich entdeckt hatte, und dieses „tolle Leben“ quasi unter eine Kippa bringen? Denn die Balance zwischen Synagoge und Bühne, zwischen orthodoxem Judentum und dem Dasein eines Rockstars, scheint – nicht nur bei äußerlicher Betrachtung – schwer möglich. Aber gehören zum Chassidismus nicht auch treffliche Pointen, Witz und Humor?
NU: Wie ist die Idee zur Gründung des prononciert jüdischen Gesangsduos Geduldig & Thimann gekommen und wie wurde das Repertoire erarbeitet?
Edek Bartz: Am Beginn der 1960er Jahre kam der singende Rabbi Shlomo Carlebach nach Wien. Er trat im Porrhaus auf und kam mit Albert Misak zu seinem Konzert. Wir waren Teil eines durchwegs jüdischen Publikums. Schon seine ersten Klänge zogen uns sofort in ihren Bann. Ich war fix und fertig. So etwas hatte ich noch nie gehört. Shlomo Carlebach ist aus der chassidischen Kultur gekommen und hat Niggunim gesungen – die er aber zum Teil selbst komponiert hatte. Das waren Lieder, in denen es immer wieder diese endlos scheinenden Wiederholungen gab, die auf uns eine geradezu magische Wirkung ausübten. Was mich an der chassidischen Musik so beeindruckte, war diese fast wahnsinnig scheinende Intensität. Die spirituellen und mystischen Elemente, die davon ausgingen, kannten wir damals gar nicht. Schon nach diesem ersten Konzertbesuch wollten Albert und ich nach dem Vorbild von Carlebach unsere eigene Musik machen.
Gab es auch eine persönliche Begegnung mit Carlebach?
Albert und ich haben Carlebach nach dem Konzert tatsächlich noch getroffen. Er hat uns chassidische Geschichten erzählt, die uns zeigten, dass es bei dieser religiösen Bewegung nicht um Kasteiung, nicht um Askese geht, sondern um Lust am Leben. Für die Chassiden bringt Musik die Menschen nur dann wirklich zu Gott, wenn damit Lebensfreude verbunden ist. Und diese Lebensfreude hat Carlebach auch privat ausgestrahlt. Nach seinen Konzerten hat immer eine Schar schöner Frauen auf ihn gewartet, und ich habe mir damals gedacht: So ein Leben möchte ich auch (lacht). Bei unserer ersten Begegnung hat er mir Tefillin und ein Kapperl geschenkt, weil er meinte, das wäre gut für mich. Ich habe damals noch gar nicht gewusst, was das bedeutet. Beides habe ich bis heute aufbewahrt.
Ihr seid aber dann unter dem Begriff „Klezmer-Musiker“ berühmt geworden. Wie hängt das zusammen?
Als wir anfingen Musik zu machen, gab es das Wort „Klezmer“ überhaupt nicht. Was es damals gab, war das jüdische Volkslied. Dessen wichtigster Vertreter war Theodore Bikel. Er war unser Hero. Ihm haben wir auch das Lied Wenn der Rebbe singt, singen alle Chassidim nachgesungen. Aber das war eigentlich ein jüdisches Volkslied. Das hat mit dem Chassidismus gar nichts zu tun. Unsere Begegnung mit der chassidischen Musik waren einige Lieder von Shlomo Carlebach, die wir in unser Repertoire übernommen hatten, und die daraus folgenden Einladungen, auf jüdischen Hochzeiten zu spielen. Wir sagten zwar, dass wir keine Ahnung hätten, wie so eine Hochzeit gefeiert und welche Musik dazu gespielt wird, aber sie meinten, wenn wir Carlebach singen könnten, dann könnten wird alles andere auch.
Wie kann man sich den ersten Auftritt von Geduldig & Thimann auf einer jüdischen Hochzeit vorstellen?
Man hat uns gesagt, dass wir „bei den Frauen“ spielen sollen. Wir wussten damals noch gar nicht, dass Frauen und Männer bei einer Hochzeit getrennt sind. Aber sie haben uns Noten und Texte gegeben, und wir wurden damit zum ersten Mal mit Niggunim konfrontiert. Für uns war das wie Ethno. Wie eine Musik aus einer ganz anderen Welt, einer Welt, die uns immer tiefer in den Bann gezogen hat. Das hat etwas Transzendentales gehabt. Wir haben daraufhin bei vielen Hochzeiten gespielt und immer mehr dieser Niggunim kennengelernt. Aber die hat man außerhalb dieser chassidischen Welt gar nicht gehört, bis dahin kannte man diese Musik ja nur in diesen Kreisen, die damals völlig abgekapselt waren. Wir waren daher ganz erstaunt, als wir bei den jüdischen Hochzeiten in diese Welt eintauchen konnten. Doch wir haben diese Lieder in unsere Konzerte und Schallplatten aufgenommen.
Wie haben damals die Öffentlichkeit und die chassidische Welt auf eure Konzerte und Schallplatten reagiert?
Albert und ich hatten vor unseren ersten Auftritten bei Hochzeiten nie einen chassidischen Juden gesehen. Uns waren sie mit ihren schwarzen Kaftans und Hüten anfangs völlig fremd. Bei unseren ersten öffentlichen Auftritten wurden wir noch angefeindet, weil die Chassidim gar nicht wollten, dass man ihre Kultur, ihre Musik, der Öffentlichkeit preisgibt. Das hat wohl mit den antisemitischen Anfeindungen zu tun, denen – vor allem orthodoxe – Juden in Wien immer ausgesetzt waren und leider immer noch sind. Obwohl sich die Chassidim heute im Straßenbild von Wien nicht mehr verstecken.
Und wie entstand dann die Bezeichnung „Klezmer“ für eure Musik?
Das Wort Klezmer war in den 1960er Jahren in Europa noch völlig fremd. Wir haben es zum ersten Mal in New York von dem Filmemacher und Schauspieler Joseph Green gehört. Er war schon Ende der 1920er Jahre in die USA emigriert und hatte dort eine Filmfirma gegründet, die sich mit der Verbreitung von jüdischer Musik und jüdischen Filmen beschäftigte. Er hat damals auch die erste Version von Isaac Bashevis Singers Yentl gedreht, das später von Barbra Streisand verfilmt wurde. Er hat uns geraten, seinen Film Yidl mitn Fidl anzuschauen. Da kommen jüdische Hochzeiten vor, und darin haben wir zum ersten Mal den Satz gehört: „He, Klezmer, spiel mir ein Lidl“. Damals haben wir etliche Leute gefragt, was „Klezmer“ bedeutet – und alle meinten, sie wüssten es nicht. Bis wir wieder Joseph Green trafen, der meinte: „Ja, das waren die wandernden jüdischen Musikanten.“ Und diesen Begriff haben wir dann für unsere Musik übernommen.
Wo waren diese Klezmer-Musiker unterwegs?
Die Wandermusiker, die bei jüdischen Festen und Hochzeiten aufspielten, waren ursprünglich im osteuropäischen Judentum bekannt. Viele dieser Menschen mussten vor der Verfolgung durch Pogrome und später vor den Nazis fliehen – viele nach Amerika. Dort kam es zu einer Verschmelzung von jüdischer Musik mit dem afroamerikanischen Jazz. Beiden gemeinsam war die Improvisation, die bei wandernden Musikern immer schon den Stil definierte. Viele Klezmer wurden bekannte Jazzmusiker. Aber die Bezeichnung „Klezmer“ fiel damals in diesem Kontext nie. Aber ich möchte noch einmal betonen: Es gibt in der jüdischen Musik Klezmer, das Niggun, die chassidischen Lieder und Klänge. Das sind drei verschiedene Richtungen, die wir zusammengebracht haben. Der Begriff der „Klezmer-Musik“ ist also ein Irrtum, der sich inzwischen manifestiert hat und zu dem wir viel beigetragen haben.
Was die chassidische Musik in eurem Repertoire betrifft: Man denkt sofort an Wenn der Rebbe singt, aber dieser Niggun hat, wie Sie sagten, nichts mit Chassidismus zu tun. Er handelt aber von Chassidim. Was ist er dann?
Er ist eigentlich eine milde Form von Spottlied, das wir von Theodore Bikel übernommen haben. Er macht sich darüber lustig, dass die Chassidim ihrem Rebbe alles nachmachen, ohne selbst nachzudenken. Ob das Lied ironisch gemeint war oder ob es bei Bikel nur so wirkt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Wenn man es von anderen Interpreten hört, klingt es viel behäbiger.
Theodore Bikel spielt ja auch in der Autobiografie von Bob Dylan eine Rolle – er war derjenige, der ihn zum Auftritt in Woodstock gebracht und damit den Durchbruch seiner Karriere mitgestaltet hat. Wie könnte man seine Rolle innerhalb der jüdischen Musik definieren?
Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg die vielen Niggunim, die er auswendig kannte, auf Schallplatte gesungen und damit für die Nachwelt bewahrt. Sie wären sonst für immer verloren, weil kaum noch schriftliche Aufzeichnungen der Texte und Melodien existierten. Außerdem war er immer ein sehr politischer Mensch, der es als seine Aufgabe als Jude sah, für die Menschenrechte aller Minderheiten zu kämpfen. Er solidarisierte sich auch öffentlich mit Martin Luther King. Er hatte mit seinem Verhalten und mit seinen Liedern einen großen Einfluss auf die jüdische Musik.
Auch auf Geduldig & Thimann?
Absolut. Wir haben in der jüdischen Musik auch ein Statement der Versöhnung gesehen, weshalb wir auch in katholischen Studentenheimen aufgetreten sind. Wir sind deshalb auch von einigen jüdischen Zirkeln sehr angefeindet worden, weil man dort unter sich bleiben und gar nicht an die Öffentlichkeit wollte. Aber unsere Vorbilder waren eben Bikel, der für die Versöhnung von Menschen und Religionsgemeinschaften eingetreten ist, und Shlomo Carlebach, der das auch getan hat. Und nicht zu vergessen Giora Feidman, der vor der katholischen Jugend aufgetreten ist. Letztlich ist ja auch die chassidische Musik ein Ausdruck von Lebensfreude und die wiederum steht für ein Miteinander.
Bleibt noch die hoffnungsvolle Frage, ob es zumindest einmal noch einen Auftritt von Geduldig & Thimann geben wird?
Albert und ich wurden und werden oft gefragt – wobei die Fragen seltener werden, weil auch unser Stammpublikum älter und damit kleiner wird (lacht). Aber wir fanden immer wieder, dass man aufhören soll, solange man das noch mit Würde tun kann. Und den Zeitpunkt haben wir hinter uns gebracht. Wir wollen uns auch das Gefühl von damals nicht zerstören. Wir haben ja auch noch einmal eine CD produziert, auf der wir – neben alten Liedern – auch Neues gebracht haben. Gemeinsam mit amerikanischen Jazzmusikern, darunter einem Afroamerikaner, der sich als ganz toller Klezmer-Musiker erwiesen hat. Das war unsere letzte Challenge. Aber das Publikum wollte offenbar nur einen Neuaufguss von altgewohnten Melodien. Vielleicht werden wir alle unsere Platten – einschließlich der letzten – noch einmal herausbringen. Wenn wir dafür einen Geldgeber finden.