Von Martin Engelberg
Fast gleichzeitig mit Ruzowitzkys Film Das radikal Böse wurde bei der Berlinale im Februar 2014 die Dokumentation Der Anständige uraufgeführt. Die israelische Regisseurin Vanessa Lapa stützt sich dabei auf die Briefe Heinrich Himmlers an seine Frau Margarete, die vor einigen Jahren in Israel aufgetaucht sind. Sie beschreibt Himmler, den Reichsführer-SS und Hauptverantwortlichen für die Schoah, als herrschsüchtigen Bürokraten, der sich völlig im Klaren darüber war, dass er schreckliche, unmenschliche Dinge angeordnet hat, dabei aber immer wieder die Tugend der Anständigkeit hervorhebt – daher auch der Titel.
Die israelische Regisseurin verzichtet gänzlich auf Interviews mit Historikern oder Überlebenden. „Die Monstrosität von Heinrich Himmler erschließt sich glasklar – egal ob er einen Brief an seine Frau schreibt oder an seine Tochter, oder ob er einen Befehl gibt. Das ist wie Schwarz und Weiß – keine Grautöne. Da bleibt kein Raum für Zweifel“, sagt Lapa in einem Interview und nennt den Film „postdokumentarisch“.
Dieser Zugang war deutschen Fernsehanstalten wohl zu gewagt. Sie zogen daher die Finanzierung zurück. Daraufhin sprang der Wiener Unternehmer Martin Schlaff ein. Im Gespräch mit NU wiederholt er seine Aussagen aus einem Interview mit der Zeitschrift Profil.
Martin Schlaff: „Ich glaube, dass man dieses Phänomen der Geschichte – wenn man es als solches bezeichnen will – in allen denkbaren Facetten beleuchten und zu erklären versuchen soll. Beim Film über Himmler haben die deutschen Sender den Regiezugang von Frau Lapa aber anscheinend als zu verwegen gefunden: Sie will den Zuseher mit Fakten konfrontieren, keinerlei Erklärungen von Historikern dazustellen und keinerlei Einflussnahme auf die Meinungsbildung der Zuseher vornehmen. Typischerweise würde in so einem Film hundertmal betont werden, welches Monster Heinrich Himmler gewesen ist. Darauf verzichtet die Regie von Vanessa Lapa. Sie erzählt die Geschichte, zeigt die Fakten und überlässt die Schlussfolgerungen den Zusehern. Ich weiß, dass die deutschen Sender gefürchtet haben, der eine oder andere könnte zu falschen Schlussfolgerungen kommen, wenn man seine Meinungsbildung nicht unterstützt.“, und dann weiter: „Und es heißt auch, zu verstehen, dass ein ganz normaler Biedermann und ordentlicher Familienvater in sich diesen Sadismus, diese Menschenverachtung und dieses Potenzial zum Massenmörder in einer historisch kaum dagewesenen Situation tragen kann. Nur weil ein Mensch sich ganz normal benehmen kann, können wir uns nicht darauf verlassen, dass er nicht zu den abscheulichsten Untaten fähig ist. “
Stefan Ruzowitzky findet den Film Der Anständige weniger interessant. „Dass der Himmler berichtet, dass er Blähungen gehabt hat, und überlegt, was er seinem Kind zu Weihnachten kauft, das hat nichts mit der Banalität des Bösen zu tun. Der Himmler war kein Dämon aus der Hölle, sondern insofern ein ganz normaler Mensch, der hat natürlich Blähungen gehabt und sich überlegt, was er zu Weihnachten machen soll. Das hat jetzt aber nicht mit der Natur der Verbrechen zu tun, die er begangen hat. Und, wie gesagt, da find ich es dann einfach persönlich interessanter eben über diese normalen Menschen, die nicht unbedingt fanatisiert waren, wie das bei denen gelaufen ist, als halt so diese einzelnen Oberschurken rauszupicken. Wie er sich selber gesehen hat“.
NU: Aber jedenfalls ist es so, dass beide Filme letztlich dieser neuen Generation von Filmen angehören, die versuchen, mit einer Distanz besser zu verstehen, was da passiert ist.
Ruzowitzky: Ja, das sehe ich auch so, weil viele, glaube ich, Prinzipien, Tabus, die es gegeben hat in diesem Bereich, gerade auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen, einfach damit zu tun hatten, dass es einerseits die lebenden Opfer zu schützen und andererseits die lebenden Täter an ihre Verantwortung, an ihre Schuld zu erinnern galt. Und es wird natürlich auch mit dem Holocaust so sein, dass das irgendwann einmal Geschichte wird, dass es Generationen gibt, die da keinen direkten Bezug mehr haben. Ich habe eh öfters in Diskussionen auch von meinen Töchtern gesprochen, die die Urgroßeltern, die halt so die klassischen Vertreter der Tätergeneration waren, nie mehr kennengelernt haben und die über fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren worden sind. Für die ist das Geschichte und meine ältere Tochter, die hat jetzt noch einen Zeitzeugen in der Schule gehabt und fand das ganz toll und beeindruckend, aber das wird es bald nicht mehr geben und im großen Stil gibt es das nicht mehr, irgendwann wird das auch Geschichte sein, im Sinne von etwas, das lange vor meiner Zeit passiert ist und wo ich keinen emotionalen Bezug mehr dazu habe.