Ein amerikanisches Projekt lässt Wien zum – zumindest – virtuellen Angelpunkt jüdischer Geschichtsaufbereitung werden.
Von Saskia Schwaiger
Es ist lange her, dass Wien einmal ein entscheidender Ort jüdischen Lebens in Europa war. Dennoch – derzeit ist ein Projekt am Entstehen, das Wien zumindest zum virtuellen Angelpunkt jüdischer Geschichtsaufarbeitung machen könnte. In einem unauffälligen Büro in der Josefstädter Pfeilgasse in Wien werkt eine Handvoll Historiker, Webdesigner, Fotografen und interessierter Laien an einem Projekt, das von Anfang an international dimensioniert war: „Centropa“ ist ein Projekt des Central Europe Center for Research and Documentation (CEC), eines gemeinnützigem Vereins rund um den amerikanischen Journalisten Edward Serotta, das sich der Erforschung jüdischen Lebens in Mittel- und Osteuropa verschrieben hat.
Sein Ziel: Möglichst viel Quellenmaterial über das jüdische Leben des 20. Jahrhunderts soll gesammelt und unter Nutzung des Internets archiviert werden, um Historikern und Forschern direkten Zugang zu einer Fülle von Informationen zu bieten. Ein bisher einzigart iges Unterfangen. Zusätzlich sollen zahlreiche Begleitprojekte mit Studenten, Schülern und Journalisten jüdisches Leben zumindest im virtuellen Raum wieder zum Leben erwecken.
Für das derzeit umfangreichste Projekt „Zeitzeugen“ arbeiten 25 Interviewer in 16 Ländern, um ganz in der amerikanischen Tradition der „Oral History“ Zeitzeugen über jüdisches Leben in Osteuropa zu befragen, Fotos zu sammeln und die Fülle der gesammelten Daten ins Netz zu speisen. Edward Serotta selbst ist ein unermüdlicher Sammler solcher Lebensgeschichten: Allein 50.000 solcher Fotos aus privaten Sammlungen hat er bereits zusammen. Jedes Bild, sagt Serotta, bringt jüdische Geschichten zum Leben. Die meisten Interview-Partner, die in Budapest oder Weißrussland befragt wurden, waren verwund e rt, als sie nicht zu Vertreibung und Holocaust, sondern über ihre Zeit im Schtetl erzählen sollten, über ihre Geschwister und ihre Schulzeit.
Das Thema Holocaust wird bei den Interviews bewusst ausgespart: „Man kann den Holocaust nicht verstehen, wenn man die Zeit davor nicht kennt“, sagt Serotta. Für die Interviews wurden eigens genormte Fragebögen entwickelt, die Mitarbeiter werden durch Historiker geschult.
In der Zwischenzeit operiert Centropa neben der Hauptgeschäftsstelle in Wien auch von Büros in New York, Budapest und St. Petersburg aus. Und schon bald wird Wien zumindest im Netz wieder zum Angelpunkt jüdischen Lebens werden.
Internetadresse: www.centropa.org
e-Mail : serotta@centropa.org