Das Schicksal der Geretteten

Der Schriftsteller Felix Mitterer erzählt über die Schwierigkeiten, das Auftragswerk „Du bleibst bei mir“ im Volkstheater umzusetzen und seine Gefühle für Österreich, jetzt, wo er in Irland lebt.
Von Rainer Nowak

Felix Mitterer hat dieser Tage viel zu tun. Im niederösterreichischen Ravelsbach baut er ein Bauernhaus um, in Wien hat er gerade im Volkstheater sein Stück „Du bleibst bei mir“ auf die Bühne gebracht. Das Auftragswerk über die Schauspielerin Dorothea Neff war in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Das legendäre Volkstheater-Ensemblemitglied hatte in der NS-Zeit ihre damalige jüdische Lebensgefährtin Lili Wolff bis 1945 in ihrer Wohnung in der Wiener Annagasse versteckt. Dafür wurde Neff 1979 als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Andrea Eckert spielt Neff in dem Stück. Mitterer musste es, wie in der Wiener Kulturszene zu hören war, mehrmals ändern, er hatte das Stück stärker auf das Schicksal des Opfers Wolff und deren Leben schreiben wollen. NU erzählte er, warum ihn das Schicksal Wolffs so faszinierte.

NU: Ein solches Auftragsstück ist doch ungewöhnlich.

Mitterer: Ein Theater, das ein Stück über eine Schauspielerin des eigenen Hauses in Auftrag gibt, ist ungewöhnlich. Ich habe viel dafür recherchiert, nicht nur im Theater und in Wien, sondern auch in den USA, wo Lili Wolff nach 1945 gelebt hat.

Lili Wolff war vier Jahre in dieser Wohnung versteckt.

Ja, in der Annagasse 8. Neff ging täglich ins Theater, traf Freunde, es war für sie und Wolff eine sehr schwierige Situation. Sie hatte auch ein schweres Trauma. 1945 konnte sie mit Hilfe einer texanischen Öl- Millionärin, die sie aus ihrer Zeit als Kölner Modeschöpferin kannte, ausreisen. Wolff machte dann einen Modesalon in Dallas auf. In der Zeit in Köln hatte Lili Wolff zwei Partnerinnen und Freundinnen, die beide dann auch noch nach Wien kamen und – ausgebombt – ebenfalls in der Wohnung Neffs lebten. Eine von ihnen, Martha, zog dann später mit ihrem Sohn nach Dallas und stieg in den Salon ein. Der Sohn, Klaus, war aus einer Verbindung mit einem SS-Offizier, woran Klaus bis heute leidet. Diese Entwicklungen hatte ich in dem Stück drin, aber das führte dem Theater zu weit weg von der Figur Neffs. Ich musste dann verkürzen. Mich persönlich hat das Schicksal sehr beschäftigt. Lili Wolff hatte Wahnvorstellungen, die Gestapo könnte sie holen kommen. Immer wieder wurde sie in der Psychiatrie mit Elektroschocks behandelt. Sie trat zum baptistischen Glauben über. Auch ihr Laden ging nicht gut. Die alte Freundin und Förderin wollte ihr helfen und verschaffte ihr einen Kontakt: Jackie Kennedy hätte 1963 den Salon besuchen sollen. Doch an dem Wochenende fielen die zwei Schüsse und der Besuch fand nicht statt.

Das wäre noch ein Stück.

Stimmt.

Die Situation unter den vier Frauen muss doch unerträglich gewesen sein.

Stimmt. Es kam zu schwierigen Situationen: Eine der beiden Kölner Freundinnen musste oder durfte den arisierten Betrieb von Wolff übernehmen. Sie brachte ihr dann auch das Geld nach Wien, aber es war natürlich eine schwierige Situation.

Hat sie der Stoff sofort interessiert, als sie den Auftrag bekamen?

Es war schwierig, ich habe mich schon gefürchtet davor, weil es eine wahre Geschichte ist. Ich wollte nichts dazuerfinden, ich wollte nicht davon abgehen, das Theater war eher der Meinung, ich könnte davon weggehen. Aber das konnte ich nicht – allen Beteiligten gegenüber. 1978 hatte die jüdische Journalistin Nadine Hauer ein Interview mit Neff gemacht, die hatte noch nie darüber geredet. Das ist in der „Gemeinde“ und der „Furche“ erschienen. Das las der israelische Botschafter und hat Yad Vashem vorgeschlagen, Frau Neff zu ehren. Lili Wolff hat die Geschichte bestätigt. Dann hat Martha aber eingewandt, dass die beiden anderen Frauen wohl auch geholfen hätten. Wolff schrieb dann noch einen Brief, die beiden Frauen wurden dann auch noch geehrt.

Kurz vor Kriegsende kam noch eine andere Frau in diese Konstellation: Eva Zilcher, die offenbar eingeweiht war.

Ja, Neff und Zilcher verliebten sich ineinander. Sie blieben bis Neffs Tod zusammen. Am Schluss führten die beiden ihre Schauspielschule. Andrea Eckert war Neffs Schülerin.

Ist es nicht schwierig für einen Mann, sich in fünf Frauen hineinzudenken?

Wären sie Männer, wären sie Männer. Ich habe damit kein Problem. man versteht Liebe, man versteht Begehren, man versteht Eifersucht. Am Schluss war Lili Wolff alleine in der Wohnung, Neff lebte bei Zilcher in der Wohnung von deren Mutter.

Sie haben sich immer mit der NS- Vergangenheit beschäftigt, von „Kein Schöner Land“ an.

Ich bin eben aus der Generation, wo die Väter Nazis oder Nicht-Nazis waren. Ein Autor Jahrgang 1948 musste sich einfach damit beschäftigen. Als ich Mitte der 80er „Kein Schöner Land“ geschrieben habe, hat es keine Stücke in Tirol über dieses Thema gegeben. Das musste man tun.

Haben sie Ihre Jahre in Irland im Umgang mit Österreich verändert?

Wenn man außen lebt, wird der Blick auf das sogenannte Heimatland einfach „milder“. So lange ich drinnen war, habe ich mich dauernd aufgeregt und war involviert. Ich wurde auch ständig gefragt. Von einem Autor erwarten sich die Medien, dass man zu jedem Thema eine provokante Meinung hat. Das hat mich zwar genervt. Aber ich habe mich dennoch zu Wort gemeldet – von der NS-Vergangenheit bis zum Tourismus. Aber wenn man in ein bezauberndes Land zieht und draufkommt, dass es dort zum Teil ähnlich zugeht, dann wird der Blick auf die eigene Heimat milder.

Die mobile Version verlassen