Im Frühjahr 2024 wurde in der ARD die Mini-Serie Die Zweiflers ausgestrahlt, in deren Mittelpunkt die Geschichte der jüdischen Familie Zweifler in Frankfurt steht. Wenig später wurden Die Zweiflers in Cannes zur Serie des Jahres erhoben. Wir waren unterwegs mit Hauptdarstellerin Sunnyi Melles.
Von René Wachtel und Danielle Spera
Ganz kurz zum Inhalt: Das Familienoberhaupt Symcha Zweifler (gespielt von Mike Burstyn) will sein Delikatessengeschäft im Frankfurter Bahnhofsviertel verkaufen. Die Familie, Mama Mimi Zweifler (gespielt von Sunnyi Melles) die 3 Kinder hat, muss sich dem Wunsch ihres Vaters fügen. Hier wird immer wieder an die Anfänge der (jüdischen) Geschäftstätigkeit im wilden Bahnhofsviertel nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert. Gleichzeitig verliebt sich ihr Sohn Samuel (gespielt von Aaron Altares) in eine junge Frau Saba, nicht jüdischen Glaubens (gespielt von Saffron Coomber). Sie wird schwanger, womit das Thema Beschneidung des Jungen und Übertritt zum Judentum plötzlich aktuell wird. Ein kongeniales Ensemble mit vielen bekannten Schauspielern – auch in kleineren Rollen – machen diese Serie Die Zweiflers zu einem Highlight des Fernsehjahres 2024 in Deutschland, mit der Hoffnung auf eine Ausstrahlung in Österreich, Schweiz und der ganzen Welt. In Israel werden Die Zweiflers auf dem Sender HOT gezeigt. Es wird Jiddisch, Deutsch, Englisch, Hebräisch und Russisch gesprochen, in Originalton. Sehr wahrhaftig klug und mit viel jüdischem Humor hat David Hadda, Produzent, Creator und Showrunner, diese Serie geschaffen, die umgehend vielfach ausgezeichnet wurde.
Sunnyi Melles, die für ihre Rolle der Mimi in Die Zweiflers mit dem deutschen Fernsehpreis als beste Schauspielerin geehrt wurde, hat sich anlässlich eines Auftritts für ein Konzert zugunsten der UNICEF in Wien Zeit genommen, mit Nu über ihre Arbeit zu Die Zweiflers zu räsonieren. Zunächst wollten wir wissen, wie sie zu dieser Rolle gekommen ist. „Durch das Casting. Mimi, die Mutter, die ich verkörpern durfte, hatte beim Rabbi ein Gespräch bei einem Tee. Ich besprach die Szene mit der Frau eines Rabbiners in München. Sie verriet mir eine alte Tradition: Wenn man Tee trinkt, gibt man den Zucker nicht in den Tee und rührt um, sondern man nimmt ein Stückchen Zucker in den Mund und spült es mit dem Tee hinunter. Das hat David Hadda geliebt, weil ich für ihn einfach die Mame Mimi war! Ich bin ihm dafür so dankbar! In Die Zweiflers trank Mimi immer auf diese Weise Tee.“ Sunnyi Melles meinte dann in aller Bescheidenheit, dass wir eigentlich auch ein Interview mit dem „Schöpfer“ machen sollten – mit David Hadda und seiner Frau Sarah, die gemeinsam die sechs Drehbücher geschrieben haben. „David ist ein Creator, ein Schöpfer, ja etwas Biblisches! Er hat etwas erschaffen. Er hat nicht nur gecastet, er hat das Setting geplant, er hat inszeniert, er hat produziert. Mit seiner Filmproduktion Turbokultur, mit Martin Danisch zusammen, schenkte er uns von Anfang an sein unendliches Vertrauen. Dafür danke ich ihm besonders. Auch durch gegenseitiges Vertrauen arbeitet man intensiv. Das kann gelingen oder auch misslingen. Ich wachse über mich hinaus! Viele haben die Drehbücher gelesen und jeder wollte mitmachen in diesem großen Team! Es zeigt eine große Familie, die liebt, streitet und gegensätzlicher nicht sein könnte, die Werte und Traditionen immer wieder durchlebt. In Cannes erlebten wir mehr als 2.000 Zuschauer, die im Grand Auditorium die Serie zum ersten Mal sahen. Jeder konnte sich mit dieser Familie Zweifler identifizieren. Denn jede Familie besteht aus Menschen, mit verschieden Ansichten oder Kulturen. Daher konnten sich alle damit identifizieren. Kein Mensch kann etwas dafür, in welche Familie er oder sie hineingeboren wird. Aber wir müssen Wege dafür finden, zusammen auf diesem Planeten zu leben. Die Serie Die Zweiflers baut dafür eine Brücke, weil sie das Leben zeigt.“ In der Serie spricht man Jiddisch, Deutsch, Englisch, Hebräisch und Russisch. Wie das mit dem Jiddisch verlaufen sei, wollen wir wissen. „Mike Burstyn, der meinen Vater spielt, hat so ein reines Jiddisch gesprochen. Da war es nicht schwer ihm zu folgen und für uns alle war es dann wie in einer Familie, wie wenn man am Tisch sitzt und alle in verschiedenen Sprachen miteinander reden.“ Für die Rollen wurde ein Flyer in Jiddisch produziert, mit dem man in Israel und den USA nach Schauspielern gesucht hat. Letztendlich ist ein perfektes Ensemble zusammengekommen.
Es waren besondere Dreharbeiten. „Dass auch meine Tochter, Leonille Wittgenstein mitgespielt hat, darüber bin überglücklich. Wobei sie `Tante´ zu mir sagte, weil sie meine Nichte spielt. Ihre Mutter war Ute Lemper die großartige Sängerin und Künstlerin! Eine wunderbare Szene haben wir als Schwestern in Die Zweiflers miteinander, wo wir Tacheles geredet haben.
Ob sie mit dem großen Erfolg dieser Serie gerechnet habe? „Nein denn es ist für jeden ein Traum nominiert zu werden und dann noch zu gewinnen. 2022 gewannen wir mit Ruben Östlunds grandiosem Film Triangle of Sadness, die Palme d’Or. Ich denke immer noch, dass ich träume, meine Tochter Leonille auch! Das haben wir überhaupt nicht erwartet. Wir haben jetzt auch in Hessen einen Preis gewonnen für die Serie. Und Michel Friedmann hat eine Laudatio über Die Zweiflers gehalten, die beste, die ich je über das Ensemble und über David Hadda gehört habe, großartig“, sagt Sunnyi Melles.
Die Serie wurde auch nach dem 7. Oktober 2023, am Geburtstag von Sunnyi Melles, nach dem fürchterlichen Massaker der Hamas gedreht. „Ich war in Wien und habe ein Charitykonzert für UNICEF gegeben“. Wie hat das Ensemble diesen Tag erlebt? „Wir haben am nächsten Tag in der Frankfurter Synagoge gedreht. Es war so wichtig, dass wir alle zusammen waren. Wir haben uns getröstet, miteinander geredet, das hat sehr geholfen. In der Synagoge haben wir mit einer solchen Beseeltheit gedreht. Dieser Tag hat die Welt für alle verändert.“.
Sehr persönlich wurde es noch, als Sunnyi Melles erzählt, wie sie zum Theater gekommen ist. Ihre Mutter war die ungarische Schauspielerin Judith Melles, geborene Rohonczy, ihr Vater der Dirigent Carl Melles. Die Familie floh 1956 aus Ungarn, Sunnyi wurde in Luxemburg geboren. Der Vater trennte sich von der Familie als Sunnyi drei Jahre alt war. Sie wuchs bei ihrer Mutter, in Basel auf. Sunnyi Melles: „Wir waren 15 Jahre staatenlos, erst dann bekamen wir einen Schweizer Pass.“
Am dortigen Theater verbrachte Sunnyi bereits als Kleinkind viel Zeit. Denn ihre Mutter war Teil des Ensembles. Sie erinnert sich: „Mittagessen gab es für mich nicht. Meine Mutter hat geprobt, also war ich bei ihr im Theater. Im Dunkeln kannte ich mich im Theater aus und setzte mich hin, schaute ihr zu oder ich schlief in der Garderobe und hörte die Durchsagen durch den Lautsprecher in der Garderobe. Mit zehn Jahren stand ich dann mit meiner Mutter gemeinsam auf der Bühne der Basler Komödie. Ja, komm doch mal, sagte der Regisseur. Was kannst du denn? Ja, du singst auch jetzt im Kinderchor mit, in Die Dame von Maxim von Feydeau später dann Nestroy.“
Die jüdische Kultur und Tradition waren immer ein Thema. Nicht nur durch ihren jüdischen Vater, sondern auch durch die enge Freundschaft mit Buddy Elias, dem Cousin von Anne Frank, mit dem sie sehr befreundet war, weil er auch in Basel Theater spielte.
Zum Schluss wollen wir wissen, ob eine Fortsetzung von Die Zweiflers geplant ist. Es werde an einer neuen Staffel gearbeitet, sie freue sich schon sehr auf den Dreh. Doch bis dahin wird Sunnyi Melles sicher nicht langweilig. Direkt nach unserem Gespräch bereitet sie sich auf den abendlichen Auftritt bei der UNICEF-Gala vor und dann geht es gleich weiter nach Los Angeles Sie organisiert gemeinsam mit ihrem Sohn, der Komponist und Musikproduzent und auch DJ ist, einen Arnold Schönberg-Abend anlässlich des 150. Geburtstag des Komponisten, wo sie gemeinsam in der Villa Aurora auftreten. „Ich wurde durch Nuria Schönberg, der Tochter von Arnold Schönberg als ‚Member von Arnold Schönberg´ aufgenommen.“ Unvergesslich ihr Auftritt in Schönbergs Gurrelieder als Erzählerin, in der Regie von Pierre Audi an der National Opera Amsterdam. Ihr unermüdlicher Einsatz für Menschlichkeit, gegen die Spaltung der Gesellschaft ist für sie ganz selbstverständlich. Am 25. November 2024 wird Sunnyi Melles mit der Europamedaille ausgezeichnet, für besondere Verdienste um den Freistaat Bayern in Europa und der Welt.
Die Zweiflers wurden mit der Palme 2024 in Cannesseries beim International Series Festival in drei Kategorien: „Beste Serie“, „Beste Musik“ und „High School Award for Best Series“ ausgezeichnet. Beim Deutschen Fernsehpreis 2024 gewann die Serie in den Kategorien „Beste Drama-Serie“, „Beste Schauspielerin, Bester Schauspieler“ (Aaron Altaras) sowie „Beste Kamera“ (Phillip Kaminiak).