Ein neuer Thriller beginnt zumindest wie der Bestseller Dan Browns. Eine chassidische Verschwörung, die auch vor Mord nicht zurückschreckt.
Von Rainer Nowak
Also fragte der Rebbe: „Darf ein gläubiger Jude töten?“ Und der Bösewicht weiß auch die Antwort: „Sagen wir, ein Mörder ist unterwegs, um eine unschuldige Familie zu ermorden. Wir wissen, wenn wir ihn töten, werden wir das Leben der Familie retten. Und was ist, wenn der Mann, von dem wir sprechen, gar kein Mörder ist, wenn aber trotzdem unschuldige Menschen, auf diese oder jene Weise sterben werden, wenn er am Leben bleibt? Was sollen wir dann tun? Dürfen wir ihn töten? Ja, denn ein solcher Mann ist, was wir einen Rodef nennen. Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, darf man ihn töten.“ So bedrohlich klingt in Sam Bournes Roman „Die Gerechten“ ein jüdischer Rabbiner. Anhören muss sich das ein junger Reporter der „New York Times“ und damit beginnt mehr oder weniger eine schnelle und von Leichen gepflasterte Geschichte über eine große Verschwörung in der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in Brooklyn. Das klingt nicht nur sehr ähnlich wie der derzeit viel diskutierten Bestseller „Das Sakrileg“ von Dan Brown, das ist ziemlich ähnlich. Und durchaus unterhaltsam. Empörung in den konservativen Zirkeln wird das Werk nebenbei nicht wirklich hervorrufen, am Schluss sind doch nicht die Juden Schuld an der Mordserie, sondern … Aber zurück zum Beginn des Thrillers, der sich wie das vermutlich nicht ganz zufällige Vorbild durchaus gut verkauft: Journalist Will Monroe von der „New York Times“ recherchiert seine erste Story. Das hat nichts damit zu tun, dass sein Vater ein guter Bekannter des neuen Chefredakteurs ist – erstmals in der Geschichte des Blattes kein Jude, sondern ein wiedergeborener Christ nebenbei. Monroes Geschichte vom ermordeten Zuhälter, der einer ihm völlig unbekannten Frau einstmals das Leben rettete, indem er sein Hab und Gut verkaufte, schafft es, zum Missfallen der Kollegen, sogar auf die Titelseite. Und auch die Story vom fundamentalistischen Waffenfreak in Montana, der auf die gleiche Art und Weise wie der gerechte Sünder (mit vorheriger Betäubung) getötet wird, lässt sich zumindest anfangs vielversprechend an. Aber dann wird Monroes Frau entführt. Auf der Suche nach ihr gerät der angehende Starjournalist immer mehr in ein religiös motiviertes Geflecht krimineller Energie – und auf die Spur eines Geheimnisses, das viel mit der Kabbala zu tun zu haben scheint. Theoretischer Unterbau der Mordserie, die sich in diesem spannenden Thriller ereignet, ist die Geschichte der 36 Gerechten pro Generation, unter ihnen könne einer der Messias sein. Diese guten Menschen werden in dem Buch einer nach dem anderen ermordet. Klingt simpler, als es ist, wie Browns Bücher wirkt auch der Roman Bournes etwas verworren. Nicht den Faden zu verlieren, macht für Fans derartiger Literatur wohl einiges von der Faszination solcher Religionsfantasy aus. In der „taz“ war da etwa von „erstklassigem Schund“ zu lesen. Sam Bourne ist das Pseudonym für Jonathan Freedland (Jahrgang 1967). Nach seinem Politik- und Ökonomiestudium in Oxford arbeitete Freedland als Reporter bei der „Washington Post“ und für „Newsweek“. Er ist nun Redakteur und Kolumnist beim „Guardian“ in London und leitet eine Sendung bei BBC Radio 4. Er hat zwei Sachbücher publiziert sowie Erinnerungen an seine jüdische Familie. Sam Bourne: „Die Gerechten“, Verlag Scherz, 3. Auflage 2006, 448 Seiten, 18,40 €, ISBN 3-502-10024-1