Im Oktober 2013 erschien eine umfassende Untersuchung des renommierten Pew Research Centers über das Judentum in den USA. Diese zeigt eine Reihe sehr interessanter Fakten und Entwicklungen, die sicher zum Teil auch auf Jüdinnen und Juden in Europa zutreffen. Die wichtigsten Ergebnisse.
Von Martin Engelberg
Stolz auf Judentum
In den USA leben ca. 5 Millionen jüdische Menschen. Diese Zahl ist seit über 50 Jahren gleich – machte diese im Jahr 1960 jedoch 3% der Gesamtbevölkerung der USA aus, sind es heute weniger als 2%. Vorneweg gleich eine wichtige Message: Die überwältigende Mehrheit der Jüdinnen und Juden in den USA, genau gesagt 94%, sind stolz darauf, jüdisch zu sein, und drei Viertel sagen, sie hätten ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zum jüdischen Volk.
Jüdinnen und Juden ohne Religion
Besonders bemerkenswert ist auch eine andere Zahl: 22% der Jüdinnen und Juden stellen über sich fest, dass sie keine Religion hätten. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren bereits gestiegen und dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. Während sich in der Generation der 85-jährigen und älter lediglich 7% als „religionslose“ Jüdinnen und Juden bezeichnen, sind es in der Generation der „Millenials“, also der nach 1980 geborenen, bereits fast ein Drittel, die von sich meinen, keine Religion zu haben, und sich als jüdisch durch Abstammung, Ethnizität oder Kultur bezeichnen. Mit diesem Phänomen liegt die jüdische Bevölkerung der USA jedoch durchaus im Gesamttrend der USA.
Gemischte Ehen
Diese jüdische Menschen ohne Religion erziehen ihre Kinder zu zwei Drittel dann auch nicht jüdisch und haben insgesamt auch viel weniger Kontakt zu jüdischen Organisationen. 79% von ihnen haben keinen jüdischen Partner. Im Gegensatz dazu sind 36% der Jüdinnen und Juden, die sich als solche mit Religion bezeichnen, mit einem nicht-jüdischen Partner verheiratet.
Gemischte Ehen sind in den vergangenen 50 Jahren jedoch insgesamt stark gestiegen. Heirateten bis 1970 gerade einmal 17% der Jüdinnen und Juden in den USA einen nichtjüdischen Partner, so liegt deren Anteil seit 2000 stabil bei 60%.
Stärkste Gruppe – Reformjudentum
Das Reformjudentum ist die stärkste Bewegung in den USA unter Jüdinnen und Juden. Über ein Drittel identifizieren sich mit diesem, 18% mit konservativen Synagogen und schließlich 10% mit dem orthodoxen Judentum, während sich ca. 30% gar keiner speziellen Kongregation zugehörig fühlen.
Obwohl die orthodoxen Jüdinnen und Juden die kleinste Gruppe darstellen, sind sie im Durchschnitt viel jünger und haben viel größere Familien als die gesamte jüdische Bevölkerung. Daher sollte ihr Anteil am Gesamtjudentum in den USA in den nächsten Jahren steigen. Tatsächlich bezeichnen sich 14% der 30–40-Jährigen als orthodox.
Andererseits gibt es auch eine starke Abwanderungsquote. Fast die Hälfte der Befragten, die orthodox aufgewachsen sind, sagen von sich, dass sie es heute nicht mehr sind. Doch auch hier gibt es große Unterschiede in den Altersgruppen: Von den heute 18–27-Jährigen sind lediglich 17% orthodox aufgewachsen und haben dieses Umfeld inzwischen verlassen.
Einhalten der jüdischen Feiertage
Erstaunlich hohe 70% der jüdischen Menschen in den USA haben im vergangenen Jahr zu Pessach an einem Sederabend teilgenommen. Dies bestätigt den Eindruck, dass heute der Sederabend für Jüdinnen und Juden in den USA und der Welt der wichtigste Anlass für Familienzusammenkünfte geworden ist – analog dem Weihnachtsabend für Christen. Demgegenüber gaben lediglich 53% an, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur gefastet zu haben.
Verbundenheit mit Israel
Fast 70% der Befragten gaben an, sich mit Israel entweder sehr oder zumindest etwas verbunden zu fühlen. Diese Zahl ist seit über zehn Jahren weitgehend unverändert geblieben. Die Verbundenheit scheint daher von aktuellen politischen Entwicklungen in und um Israel nicht beeinflusst zu sein.
Was bedeutet es, jüdisch zu sein?
Die Erinnerung an die Schoah ist für 73% der jüdischen Menschen in den USA das wichtigste jüdische Identifikationsmerkmal. Dieses wird gefolgt vom Führen eines ethischen/moralischen Lebens (69%) und davon, sich für Gerechtigkeit und Gleichheit einzusetzen (56%). Für 49% der Befragten ist ein wichtiger Teil ihrer jüdischen Identität, intellektuell neugierig zu sein, und für 42% ist Humor eine wichtige Eigenschaft. Sich für Israel einzusetzen ist für 43% der Jüdinnen und Juden von Bedeutung.
Für lediglich 19% der jüdischen Menschen ist die Einhaltung der Halacha (der jüdischen Gesetze) als Basis ihrer jüdischen Identität zentral und die meisten Jüdinnen und Juden sehen keinen Widerspruch zwischen dem Jüdisch-Sein und darin, z. B. am Schabbat zu arbeiten oder nicht an Gott zu glauben. Nur 26% der Jüdinnen und Juden finden Religion wichtig für ihr Leben; dies mit 56% im deutlichen Gegensatz zur US-Bevölkerung insgesamt.
Weitere interessante Erkenntnisse
– Jüdische Menschen in den USA haben eine weit überdurchschnittlich gute Ausbildung – 58% haben ein College absolviert, gegenüber 29% der Gesamtbevölkerung.
– Ein Viertel der jüdischen Bevölkerung haben ein Haushaltseinkommen von mehr als US$ 150.000,-, verglichen mit 8% aller US-Amerikaner.
– Die Hälfte aller Jüdinnen und Juden können das hebräische Alphabet, aber nur 13% können alle oder zumindest die meisten Worte verstehen, wenn sie hebräisch, also z. B. Gebete, lesen.
– 70% der Befragten fühlen sich den Demokraten näher, gegenüber 22%, die sich als Republikaner sehen. Bei den Orthodoxen ist es genau umgekehrt: Von diesen fühlen sich 57% den Republikanern näher und 36% den Demokraten.