Kurt Scholz‘ Bilanz als Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien ist durchwachsen. Immer noch gibt es keine zufriedenstellende Lösung für die Erhaltung der jüdischen Friedhöfe. War der einstige Zilk-Sekretär zu zaghaft?
Ein Abschiedsporträt von Rainer Nowak
Sein Auftreten täuscht: Wer Kurt Scholz reden hört, könnte ihn für einen Schönredner halten. So elegant formuliert er, so schön lächelt er an den richtigen Stellen und so angenehm moduliert er seine Stimme. Doch bei seiner eigenen Bilanz als Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien verdüstert sich schon einmal seine Miene und er findet andere (selbst)- kritische Wort: „Ich sehe das sehr durchwachsen.“ Natürlich hab es sehr wichtige Erfolge gegeben, gerade in Wien habe es zahlreiche Fälle von zwar zu späten, aber fairen Lösungen gegeben, aber ein Punkt ärgert Kurt Scholz noch immer: „Dass es uns nicht gelungen ist, eine Lösung für die Friedhöfe zu finden, ist schlicht schändlich.“ Das jahrelange Hin und Her zwischen Stadt Wien und Bund um die Finanzierung der Erhaltungskosten für die Friedhöfe sei ein Trauerspiel.
Die Begründung von Scholz: Nachdem Österreich mit dem Washingtoner Abkommen doch noch eine große Lösung für die Restitution gefunden hatte, hört der internationale und öffentliche Druck auf Österreich auf. Damit verschwand auch das politische Interesse, für dieses letzte offene Kapitel eine Lösung zu finden. Der ehemalige Stadtschulratspräsident, der mit 1. September als Restitutionsbeauftragter in Pension ging und heute noch Kolumnist der „Presse“ ist, ärgert sich noch immer, dass mehrere bereits besprochene Kompromisse nicht realisiert werden konnten. „Es gab einmal etwa eine klare Lösung, für die alle Seiten schon Zustimmung signalisiert hatten“, erzählt Scholz. Doch in letzter Minute sei das auch wieder auf die lange Bank geschoben worden. Obwohl er keinen Zweifel daran hat, dass die eigentliche Verantwortung für die Restaurierung und Erhaltung der Friedhöfe laut Washingtoner Abkommen beim Bund liege, hätte auch die Stadt Wien bereits einmal eine Zusage gemacht, die dann doch wieder nicht eingelöst wurde. Warum das alles so langsam und zäh gewesen sei, kann und will Scholz aber auch nicht erklären. Selbst negative Berichte über den Verfall der Friedhöfe in internationalen Medien wie der „Neuen Zürcher Zeitung“ hätten kaum etwas bewirkt, sagt Scholz. „Nur die Grünen hätten nie locker gelassen.“
Ein Grund für die schleppenden Verhandlungen, die nach dem Besuch eines US-Unterstaatssekretärs wegen dieser Frage vor ein paar Monaten nun vielleicht wieder ernsthafter betrieben werden sollen, liegt vermutlich auch an den handelnden Personen: „Das mag jetzt eigenartig klingen, aber ausgerechnet Andreas Khol fehlte zuletzt als (Ansprech-) Partner für Ariel Muzicant. Das dürfe man keinesfalls als Kritik an Khols Nachfolgerin Barbara Prammer verstehen, aber die Chemie zwischen den beiden Männern hätte besser gestimmt und Khol habe als Vertreter einer Rechtskoalition eben mehr Druck in der Entschädigungsfrage machen müssen oder wollen.
So spricht und klingt nicht gerade der typische Vertreter des Wiener Magistrats. Nein, Scholz wirkt eher wie der Typ sozialdemokratischer Beamtenadel, den es so selten gibt: immer im korrekten Anzug, immer Hochdeutsch sprechend und vor allem immer zum Differenzieren und zu leisen Tönen bereit. Mit den Medien kann er spätestens seit er an der Seite von Helmut Zilk stand, der den Bürgerlichen an seine Seite geholt hat. Nach dem Germanistik- Studium war der Lehrer 1975 ins Unterrichtsministerium gewechselt, dort entwickelte er den Medienkoffer für Zeitgeschichte und ging 1984 mit dem bisherigen Minister Zilk als Sekretär und rechte Hand ins Wiener Rathaus. Der Vertraute des jüngst verstorbenen Bürgermeisters war unter anderem für die Außenpolitik der Stadt verantwortlich, der Kontakt zu verfolgten jüdischen Altösterreichern war da eine zentrale Angelegenheit: „Das war mir damals schon ein wichtiger Punkt.“ Auch privat war Scholz anders: Alleinerziehende Väter sind selten in Österreich. Scholz zog nach einer Trennung seinen Sohn bei sich auf, heute ist er wieder verheiratet. Sein eigentliches Fachgebiet war und ist die Schulpolitik, die zwar zu Wahlkampfzeiten in aller Munde ist, aber als Reformfeld leider gemieden und stattdessen den Lehrergewerkschaftern überlassen wird.
Scholz war Zilks Nachfolger Michael Häupl – oder besser dessen Stellvertreterin Grete Laska – mit seiner kritischen Linie und seinem in der SP-Logik unzuverlässigen Führungsstil fern des Parteibuchs ein Dorn im Auge. Scholz war zudem das auskunftsfreudige Liebkind der Medien, die Journalisten schätzen ihn heute noch. Im April 2001 wurde er als Stadtschulrat abgelöst, ihn traf dies völlig unvorbereitet. Verbittert war er kurz, heute ist er das nicht, sagt er. Aber deswegen geht er auch lieber gleich in Pension und arbeitet nicht etwa bis 75, wie er einmal angekündigt hatte. Zumal die Gestaltungsmöglichkeiten eben nicht die größten waren.
Dass der berufliche Trostpreis damals das Kapitel Restitution war – Ernst oder Witz: Laut Rücktrittsgerüchten wird übrigens Scholz-Nachfolgerin Susanne Brandsteidl als neue Restitutionsbeauftragte gehandelt –, zeigte entweder dessen überschaubaren Stellenwert in Wien oder den Rang des Spitzenbeamten. Oder beides. Scholz konzentrierte sich auf sein neues Thema, anfängliche Wortmeldungen, es gäbe in Wien nichts zu tun, erwiesen sich leider als falsch. Während seiner Tätigkeit restituierten die Wiener Museen jüdischen Österreichern geraubte Güter. Die Naturalrestitution von Grund und Boden sei zwar endlich vorangeschritten, aber vielfach aufgrund schwieriger Erb-, aber auch Widmungsverhältnisse ungeheuer kompliziert, was natürlich keine Entschuldigung für lange Verfahren sein dürfe.
Auch die Wiener Bibliotheken überprüften ihre Bestände und trennten sich von der Hehlerware. „Das war im Historischen Museum der Stadt Wien etwa ein altes Biedermeier- Service, das tatsächlich das Einzige war, was von dem geraubten Vermögen einer Familie noch vorhanden war. Wenn man das den Dutzend Erben mitteilen muss, weiß man, dass es nie eine gerechte Lösung und einen Schlussstrich geben wird.“
Warum er nicht häufiger in den Medien das Thema Restitution stärker und vielleicht sogar lauter thematisiert habe? Warum er nicht beim Thema Friedhöfe härter – wie etwa beim Thema Schulpolitik – vorgegangen sei? Nach einer Pause meint Scholz mit seiner leisen Stimme: „Vielleicht war das ein Fehler. Ich weiß es nicht.“
Aber er sei in dieser Frage gerade in der Öffentlichkeit immer vorsichtig gewesen: Erstens hätte er nicht einen möglichen Kompromiss, andererseits auch immer antisemitische Reaktionen gefürchtet, wenn in einer Zeit von Sparpaketen für ein in breiten Teilen der Öffentlichkeit abgeschlossenes Thema plötzlich wieder viel Geld ausgegeben werde. Diesen dummen Reflex habe er immer als Risiko gesehen.
Ob das nicht zu defensiv und ängstlich sei, wo doch gerade etwa Ariel Muzicant mit seiner prononcierten deutlichen Forderungspolitik das Gegenteil bewiesen habe? Scholz wieder nachdenklich: „Ja, Ariel Muzicant ist wirklich ein großer Präsident der jüdischen Gemeinde.“