Pessach gehört zu den wichtigsten Festen des Judentums. Es erinnert an die Befreiung der Israeliten aus Ägypten. Symbolische Speisen gemahnen an das schwere Los der Jüdinnen und Juden unter der Sklaverei.
Von Fritz Rubin-Bittmann
Pessach ist ein biblisches Fest, das an die Befreiung der Israeliten durch den Ewigen aus der ägyptischen Knechtschaft erinnert. Es heißt „Fest der Überschreitung“, weil G’tt an den mit Lammblut markierten Häusern Israels vorüberschritt und deren Erstgeborene verschonte, nicht aber jene der Ägypter. Die letzte und zehnte Plage war der Tod der ägyptischen Erstgeborenen.
Das Buch Exodus berichtet, dass die Juden ein Schaf oder Zicklein schlachten sollten und die Türen ihrer Häuser mit seinem Blut markieren, damit der Todesengel sie verschone („überspringe“). Das Zicklein wurde gebraten und gegessen. Nach dem Tod der ägyptischen Erstgeborenen befahl der Pharao den sofortigen Auszug der Juden. Diese hatten keine Zeit mehr, Brot zu backen, nahmen den ungesäuerten und unfertigen Brotteig mit und machten sich in aller Hast auf den Weg. Pessach heißt daher auch „Chag HaMazzot“ – „Fest der Mazzot“, des ungesäuerten Brotes, des Brotes des Elends und der Armut.
Die traditionelle Erinnerung und das jährliche Gedenken an diesen Wendepunkt in der jüdischen Geschichte werden in der Tora immer wieder gefordert. „Jeder Jude soll davon durchdrungen sein, er selbst sei bei dem Auszug aus Ägypten dabei gewesen.“ (2. Buch Moses 12, 25) Das Bewusstsein der Anwesenheit des gesamten Volkes in all seinen Generationen bei einem Ereignis, das vor mehr als 3000 Jahren stattgefunden hat, ist das Leitmotiv von Pessach.
Das Pessachfest beginnt am Abend des 14. Nisan nach dem jüdischen Kalender und wird in Israel sieben und in der Diaspora acht Tage gefeiert. In dieser Zeit wird nur ungesäuertes Brot gegessen. Heuer fällt der 14. Nisan auf den 22. April („Erew Pessach“). Nisan ist der erste Monat im jüdischen Kalender.
Drei Wallfahrtsfeste
Pessach ist im Judentum eines der drei Wallfahrtsfeste (Schalosch regalim), die beiden anderen sind das Wochenfest (Schawuot), das 49 Tage nach Pessach stattfindet und im Herbst das Laubhüttenfest (Sukkot). Zu diesen drei Wallfahrtsfesten sollten die Gläubigen nach Jerusalem zum Tempel pilgern. In der Zeit des Zweiten Tempels wurde Pessach von Tausenden Pilgern in Jerusalem gefeiert, die dort ein Festopfer brachten und mit ihren Familien die symbolischen Speisen – das Pessachlamm, Mazzot und bittere Kräuter – aßen.
Auch die Familie von Jesus ist nach Jerusalem gepilgert. Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Römer unterblieb die Opferung des Pessachlamms und wird seither, nach der Art des antiken Symposions, als reines Familienfest gefeiert. Die beiden ersten Abende heißen „Seder-Abend“ – „Seder“ bedeutet auf Hebräisch „Ordnung“, weil eine bestimmte Chronologie den Ablauf der Seder-Abende bestimmt. An diesen Abenden wird die Geschichte des Auszugs aus Ägypten aus der Haggada gelesen. Haggada heißt Erzählung, zusätzlich kamen bis zum 14. Jahrhundert Lieder und Gesänge hinzu, wie etwa das „Chad gadja“ („Mein Vater kaufte ein Zicklein“).
Pessach beginnt mit einem Abendgottesdienst in der Synagoge, dem das Familienfest folgt. Die Unterweisung der Kinder über Sinn und Bedeutung von Pessach ist ein biblisches Gebot und funktioniert nach einem in der Haggada festgelegten Ritual. Der Familienvater spricht über Segenssprüche als Einleitungsformel und den Dank an G’tt.
Der Hausherr, der den Seder leitet, nimmt von drei am festlich gedeckten Tisch übereinander gelegenen Mazzot die mittlere und bricht sie in zwei Teile. Der erste Teil wird mit einem Segensspruch sofort gegessen. Der zweite Teil heißt Afikoman („Nachspeise“) und wird nach der Festmahlzeit eingenommen.
Zu Pessach werden symbolische Speisen gegessen, die an das schwere Los der Jüdinnen und Juden während der Sklaverei in Ägypten erinnern und auf der Seder-Schüssel angerichtet sind: Maror (Bitterkraut) als Zeichen der bitteren Sklavenarbeit, ein angebratener Lammknochen zur Erinnerung an die biblische Vorschrift des Pessachlamms, Charoset (eine Mischung aus Äpfeln, Nüssen und Mandeln mit Rotwein) als Symbol für den Lehm, aus dem die Israeliten Ziegel herstellen mussten, Karpas (Radieschen oder Kartoffel) als Frucht der Erde und Symbol der zermürbenden Arbeit in Ägypten, ein gekochtes Ei als Zeichen der Zerbrechlichkeit menschlicher Geschichte sowie Salzwasser für die Tränen, die vergossen wurden. Auch ein Becher Wein für den Propheten Elias steht auf dem Tisch, dem Vorläufer des Messias. Elias wird entsprechend dem Volksglauben am Seder-Abend erwartet.
Vier Söhne
Nach einer Reihe symbolischer Handlungen stellt der jüngste der Anwesenden vier Fragen, die sich auf die Besonderheit dieser Nacht beziehen. Die Beantwortung dieser vier Fragen erfolgt durch die Verlesung der Haggada und durch Diskussionen. Der Midrasch spricht von vier Söhnen, deren Charaktere unterschiedlich sind: der Weise, der Böse, der Schlichte und der, der nicht zu fragen versteht. Die Typologie dieser vier Söhne und das Frage-und-Antwort-Schema steht im Mittelpunkt hinsichtlich Erziehung und Identitätsbildung des Kindes, damit es ein neues Glied in der Kette traditionsbewusster Generationen wird.
Das Fest hat auch vier Bezeichnungen, es heißt: Chag HaPessach (Überschreitungsfest), Chag HaMazzoth (Fest des ungesäuerten Brotes und des Elends), Chag Cheruteno (Fest der Befreiung) und Chag Aviv (Frühlingsfest).
Die Zahl Vier wird auch im Christentum bedeutend durch die vier Evangelisten, die die Pessachnacht von Jesus und seinen Aposteln schildern. Das letzte Abendmahl ist die Seder-Feier am ersten Tag Pessach. Jesus nimmt gewisse Änderungen am Ablauf des Seder-Abends vor: er bricht das Brot, die Mazzah (das ungesäuerte Osterbrot), das Brot des Elends, und spricht zu seinen Aposteln: „Dies ist mein Leib.“ Er erhebt den Becher Wein und bemerkt: „Dies ist mein Blut“. Im Christentum wird letztlich Jesus das Pessachopfer, das Lamm Gottes als Agnus Deii.
Erst durch das Konzil von Nicäa von 325, unter der Ägide von Konstantin dem Großen, erfolgte das Schisma von Synagoge und Ecclesia. Der Bruch mit dem Judentum erschien als notwendige Abgrenzung und daher rührt die Umdeutung des ursprünglichen Pessachfestes. In diesem Zusammenhang wurde bewusst das Datum des christlichen Osterfestes willkürlich verändert.
Die Seder-Abende zu Pessach gestalten sich durch die Lektüre des Auszugs aus Ägypten üblicherweise ausgedehnt. Um die Aufmerksamkeit der Kinder zu erhalten, wird zu Beginn der Afikoman (s.o) entweder vom Vater oder von den Kindern selbst versteckt. Am Ende des Abends wird der Afikoman gesucht und der Finder mit einem selbstgewählten Lohn beschenkt. Den Kindern und den Erwachsenen soll immer bewusst sein, wie wichtig Freiheit ist. Und dass man diese vielleicht erst so richtig zu schätzen weiß, wenn man einmal durch die Sklaverei gegangen ist und wir anderen Menschen immer mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen sollen.