Die ersten hundert Tage hat Mordechai Rodgold als neuer Botschafter Israels in Österreich zwar schon absolviert, seine Wirkungsstätte Wien lernt er aber erst jetzt so richtig gut kennen. Der kulturbegeisterte Diplomat, der fünf Sprachen fließend spricht, freut sich über gute Beziehungen und ist bekennender Optimist.
Umringt von seinen Sicherheitsleuten und Beamten des österreichischen Innenministeriums, aber dennoch sichtlich gut gelaunt, trifft Mordechai Rodgold im Jüdischen Museum in Wien ein. Auch wenn es zum verabredeten Zeitpunkt unseres Interviews bereits turbulente Auswirkungen des Corona-Virus gibt, nimmt sich der Botschafter Zeit für ein Gespräch. Israel hat sich abgeschottet. Flüge wurden abgesagt, man möchte das Land so gut wie möglich schützen. Auch hier zeige sich, wie großartig die Beziehungen zwischen Österreich und Israel seien, so Rodgold, denn man habe auf höchster Ebene Gespräche darüber geführt, wie man dieses globale Problem am besten eindämmen kann. Hier geht es um gemeinsame Initiativen, vor allem im wissenschaftlichen Bereich.
Im Jüdischen Museum gilt sein Interesse vor allem jenen Objekten, die mit dem Begründer des Zionismus zu tun haben. So ist schnell entschieden, dass ein Gemälde von Theodor Herzl, gemalt von Wilhelm Wachtel Anfang der 1930er Jahre, als Hintergrund für eines der Fotos dienen soll. Denn für Rodgold verkörpert Theodor Herzl die perfekte Verbindung zwischen Israel und Österreich.
Wobei der seit November neue Botschafter Israels in Österreich kein gebürtiger Israeli ist. Geboren in Frankreich, lebte er seit 1983 in Israel. Gleich nach seinem Schulabschluss führte er seine Alija durch und war einer der fast 17.000 Juden, die in diesem Jahr aus aller Welt nach Israel einwanderten. Er schrieb sich an der Hebrew University ein und schloss in kurzer Zeit sein Wirtschaftsstudium ab, immer mit einem Blick auf Politik und Geschichte. Denn seine große Leidenschaft war stets die Diplomatie, woran sich bis heute nichts geändert hat.
Der Entschluss, in den diplomatischen Dienst Israels einzutreten, war somit vorgezeichnet. Nach Stationen in Marokko, der Schweiz und Italien ist Rodgold heute stolz, Botschafter Israels in Österreich zu sein. „Es ist ein besonderes Privileg, gerade in diesen Zeiten, hier in Wien zu sein“, so Rodgold. „Es ist eine wunderbare Stadt mit einer besonderen jüdischen Geschichte.“ Die Beziehung zwischen Österreich und Israel sei von vielen Höhen und Tiefen geprägt, doch nie sei sie so gut gewesen wie heute. Er und seine aus Marokko stammende Frau hätten bereits begonnen, sich die Stadt und deren Kultur zu erobern. Was noch fehlt: ein besonderer Lieblingsplatz in Wien.
Kulturelle Brücken
Bei seiner Mission in Österreich will Rodgold jedoch auch die Berge erobern: Der passionierte Skifahrer hat bereits zwei Sonntage zu Skiausflügen genützt. Seine dritte Leidenschaft nach der Diplomatie und dem Skisport ist das Kino. Hier vor allem die Filme der Nouvelle Vague, die mit der Gesellschaft zu tun haben, von echten Menschen erzählen und nicht von Superhelden. Andererseits: James Bond-Filme sieht er schon gerne. Lieblingsfilme hat er viele, das variiere je nach seinen Lebensphasen, meint Rodgold. Bei seinen Lieblingsregisseuren nennt er ein breites Spektrum: von Fritz Lang über François Truffaut zu Quentin Tarantino. Doch auch mit dem österreichischen Film ist er vertraut, er kennt selbstverständlich die Filme von Michael Haneke und Ulrich Seidl, aber auch Mirjam Ungers Maikäfer flieg und Peter Payers Glück gehabt standen bereits auf seinem Programm. Grundsätzlich schätze er Filmemacher, die einen kritischen Blick auf die Gesellschaft werfen, sowohl in Israel als auch in Wien.
Vermutlich stammen sogar einige von Rodgolds Verwandten aus Wien, ein Teil der Familie trug den Namen Wiener und war vor einigen Jahrhunderten nach Baden-Württemberg und später in das Elsass ausgewandert. Die Familie seines Großvaters stammt aus Lublin in Polen, ging in den 1920er Jahren nach Paris, als sein Vater erst ein Jahr alt war. Der Plan, nach Palästina zu ziehen, verwirklichte sich für die Familie nicht. 1942 wurde der Großvater in Auschwitz ermordet, der Vater konnte mit viel Glück in den Süden Frankreichs flüchten und überlebte – aus Schlomo Rodgold wurde Serge Roger. Die Mutter stammt aus dem Elsass und war eine geborene Dreyfus. Auch auf der mütterlichen Seite war der Großvater zionistisch eingestellt und lernte bereits in jungen Jahren Hebräisch. Auch er fiel den Nationalsozialisten zum Opfer.
Die Enkelgeneration erfüllte sich schließlich den zionistischen Wunsch: Alle seine Geschwister wanderten nach Israel aus, heute leben auch Rodgolds Eltern, mittlerweile in der Pension, in Israel. Rodgold spricht neben vier anderen Sprachen perfekt Deutsch – das Ergebnis seiner deutschsprachigen Erziehung. Zehn Jahre lebte er mit seinen Eltern in Deutschland, wo er auch mit den österreichischen Literaturklassikern Bekanntschaft schloss – Arthur Schnitzler nennt er als einen seiner Lieblingsschriftsteller. Durch die Literatur habe er einen Bezug zu Österreich gefunden, aber auch zum Schicksal der österreichischen Jüdinnen und Juden. Dass Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zuflucht in ein falsches Narrativ nahm und sich hinter der These vom ersten Opfer des Nationalsozialismus versteckte, hat – wie auch die Waldheim-Affäre – besonders in Israel aufgewühlt. Aber durch die Reden des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky und des aktuellen Regierungschefs Sebastian Kurz sei die Situation heute eine andere: „Jetzt schauen wir auf Augenhöhe gemeinsam in die Zukunft.“
Heute gibt es eine enge Zusammenarbeit in vielen Bereichen, nicht nur in der Wirtschaft oder im High-Tech-Bereich. Die israelische Kultur ist in Österreich präsent und auch österreichische Künstler sind oft in Israel vertreten. Hier möchte Rodgold noch viele neue Projekte entwickeln und unterstützen. Wie er den steigenden Antisemitismus wahrnehme? Darauf Rodgold: „Antisemitismus gibt es überall. Es ist eine Krankheit, die sich zwischen meschugge, Dummheit und Bosheit bewegt. In einer gesunden Gesellschaft hat die Meinungsfreiheit auch eine ,rote Linieʻ.“
Guter Plan
Vor wenigen Wochen hat der Nahostplan von US-Präsident Donald Trump für Aufsehen gesorgt. Für Rodgold ist der „Friedensplan“ nicht nur ein neues Stück Papier, wie viele Pläne vorher, sondern bietet Israel und den Palästinensern eine Perspektive: „Nicht nur eine größere Anzahl westlicher Länder haben positiv reagiert, sondern auch arabische Staaten. Es ist ein klares Signal, dass in Israel Bereitschaft zum Frieden existiert. Die palästinensische Führung sollte einmal nachdenken. Die maximalen Forderungen der Palästinenser sind nicht realisierbar. Sie müssen irgendwann Kompromisse eingehen, das sind die Spielregeln von Frieden.“ Das sei auch im Interesse der Palästinenser: „Am Ende will auch die palästinensische Bevölkerung einen prosperierenden Staat und nicht einen ‚failed state‘, wie es immer mehr Länder in der arabischen Welt sind. Die palästinensische Bevölkerung wünscht sich einen Staat wie Israel. Sie sehen die Freiheiten der israelischen Araber und die wirtschaftliche Prosperität des Landes. Und sie wollen keine Diktatur. Ich glaube, die Vernunft wird am Ende triumphieren.“
Die Kritik, die der Trump-Plan in Europa ausgelöst hat, kann der Botschafter nicht nachvollziehen. „Was ist die Alternative zu diesem Plan? Jeder weiß, dass maximale Forderungen nicht realistisch sind“, so Rodgold. „Es könnte ein neuer Anfang sein. Nein zu sagen ist immer leicht. Das israelische Volk hat immer Ja gesagt, wenn arabische Führer gekommen sind – Sadat oder König Hussein, und das war am Anfang auch mit Yassir Arafat so. Doch er hat dann den Friedensgipfel in Camp David zurückgewiesen und ist wieder zur Gewalt übergangen. Die Palästinenser müssen uns überzeugen. Wir haben bewiesen, dass wir es ernst meinen. Wir haben den Palästinensern den Großteil des Westjordanlandes zur Selbstverwaltung übergeben. Und wir haben Gaza zurückgegeben mit der gesamten Infrastruktur, die wir dort aufgebaut hatten. Daraus ist in wenigen Jahren ein radikal-islamisches Terrorland geworden ist. Man hat uns gesagt: ,Gebt Gaza zurück, dann wird Ruhe sein.ʻ Wir haben Gaza zurückgegeben, aber nicht den Frieden bekommen. Es wäre die goldene Gelegenheit der Palästinenser gewesen, in ihrem eigenen Gebiet zu zeigen, dass sie eine selbstverwaltete, friedliche Gesellschaft aufbauen können. Es ist genau das Gegenteil herausgekommen. Nun liegt der Ball bei den Palästinensern, aber wir sind trotzdem positiv.“
Wichtige Anerkennung
Diese optimistische Perspektive habe unmittelbar mit seiner eigenen Biografie zu tun, so Rodgold. „Ich bin 1983 nach Israel ausgewandert. Da war es noch ein Entwicklungsland. Ich bin nicht aufgrund antisemitischer Anfeindungen, sondern aus Überzeugung nach Israel emigriert. Heute ist das Land hoch entwickelt. Wir haben unser eigenes Wirtschaftswunder mit viel Kraft, Verantwortung, Anstrengung und Mut erreicht. Wir sind nicht nur als Start-Up-Nation, sondern auch in vielen anderen Bereichen weltweit unter den führenden Ländern: im sozialen, medizinischen oder ökologischen. Wir können stolz sein, denn Israel hat heute seinen Platz im Nahen Osten – und wird auch von vielen arabischen Staaten anerkannt.“
Rodgold betont, dass viele Länder auch ohne diplomatische Beziehungen Partner Israels sind: „Es gibt Zusammenarbeit im zivilen Bereich, in der Forschung, im Umweltbereich. Die israelischen Araber sehen sich als positiver Teil Israels und als Brücke zu den anderen Arabern. Ich war in den 1990er Jahren in Marokko, da gab es noch diplomatische Beziehungen, die dann aufgekündigt wurden.“ Doch die Beziehungen haben sich geändert, auch die unmittelbare zu den Menschen: „Heute gibt es eine ,virtuelleʻ Beziehung zu der arabischen Bevölkerung im Internet. Die Facebook-Seite des israelischen Außenministeriums auf Arabisch hat zwei Millionen Follower. Es gibt eine Neugier der Araber und ein Interesse, mit uns zu kommunizieren. Besonders populär ist unsere Seite über das Gesundheitswesen. Neben den arabischen Führern, die meistens leider nicht demokratisch sind, gibt es eine Zivilbevölkerung, die Kontakt mit uns haben will. Das ist ein positives Zeichen für die Zukunft.“
Die vielerorts spürbare Befürchtung, dass Israel sich mehr und mehr zu einem religiösen Staat entwickeln würde, sieht Rodgold nicht als berechtigt an. „Nein, denn auch die Vielfalt der israelischen Gesellschaft ist etwas Fantastisches. Heute gibt es die Möglichkeit, ein Jude zu sein, wie man es selber will. In den 1950er Jahren wollte man eine neue Identität schaffen gegenüber den Juden in der Diaspora. Heute sind wir erwachsen geworden. Heute ist die israelische Identität nicht monolithisch, sondern im Gegenteil vielfältig. Israelis können religiös sein, sie können gay sein, sie können gay und religiös sein. Meine Frau kommt aus der moslemischen, ich komme aus der christlichen Welt. Meine Kinder kommen zum Teil aus der christlichen und aus der moslemischen Welt. Das Erbe von uns Eltern macht sie reicher.“
Lebendige Gesellschaft
Auf die Frage, ob die israelische Gesellschaft sich damit verändert habe, antwortet Rodgold mit der Schilderung einer persönlichen Begegnung. „Bei einem Besuch in einem High-Tech-Cube in Nazareth habe ich mich mit einer moslemischen Mitarbeiterin unterhalten. Sie hat die gleiche Leidenschaft, wie man sie von High-Tech-Firmen in Tel Aviv kennt. Da lautet das Motto: Wir wollen die Welt besser machen. Das ist das Schöne an Israel. Die moderne israelische Gesellschaft gibt einem das Recht, anders zu sein. Das ist etwas typisch Jüdisches. Das Recht auf Anderssein ist fundamental. Die Freiheit, sich zu ändern. Die Mobilität der Identität. Das macht die moderne israelische Gesellschaft so lebendig. Hinter diesen Spannungen gibt es viel Respekt füreinander.“