Vor zwanzig Jahren sorgte er mit der Veröffentlichung von „Kosher Sex“ für große Aufregung. Heute zählt der Bestseller von Rabbi Shmuley Boteach zum Mainstream. Zeitgleich zur Neuauflage eröffnete Tochter Chana in Tel Aviv und New York koschere Sexshops.
Vor nicht allzu langer Zeit brachte die Jerusalem Post einen Artikel über meine Tochter Chana. Als Ergänzung zu den Online-Seiten kosher.sex und sensualrevolution.com hatte sie in Tel Aviv den ersten koscheren Sexshop der Welt eröffnet, dem kürzlich ein weiterer in New York folgte. „Mein Geschäft soll eher einer Boutique ähneln, das fördert Sinnlichkeit und Intimität zwischen Paaren, aber eben im Rahmen jüdischer Werte“, sagte Chana der Reporterin Hannah Brown, die sie dann auch fragte, ob ich denn ihren Laden in Tel Aviv und den Online-Shop guthieße. Meine Tochter antwortete, ich hätte ihre Shops gesegnet.
Ich möchte erklären, warum. Als ich 1999 das Buch Kosher Sex veröffentlichte, gab es zwei Extreme: die konservative und die liberale Position. Sex diente entweder der Fortpflanzung oder der Entspannung. Die Rechten führten Krieg gegen Verhütung und Abtreibung, die Linken gegen Monogamie und Ehe. Beide Vorstellungen waren unromantisch, in beiden war Sex nicht elektrisierend, sondern belastend. Mit meinem Handbuch wollte ich Paaren zu mehr Intimität in ihrer Partnerschaft verhelfen. Ausgehend von den jüdischen Reinheitsgesetzen – Mikwe und Nidda – beschrieb ich, wie eine wirklich erotische, auf Lust und Begierde beruhende Beziehung aussehen kann.
Ein Teil des Rabbinats argumentierte, dass ich den Beruf herabsetzte, indem ich ein Skandalbuch schrieb. Ich wehrte mich respektvoll, aber entschlossen und bestand darauf, dass es Aufgabe von uns Rabbinern sei, alle Angelegenheiten und Anliegen des Lebens anzusprechen. Wohin sollen sich die Menschen wenden, wenn sie mehr über Sex und Intimität erfahren wollen? Sollen sie ihre Informationen aus Pornoheften beziehen oder bei Rabbinern und dem Talmud?
Gesunde Einstellung
Das Interesse der säkularen Gesellschaft glich einer Lawine, die Verurteilung durch religiöse Juden allerdings einem Tsunami. Ich wurde attackiert und gefragt, warum ich mit diesem Buch mein Ansehen als religiöser Lehrer riskierte? Ich war elf Jahre Rabbiner an der Universität Oxford und hatte dort erstaunt feststellen müssen, dass und wie kaputt Sex unter jungen Menschen war. Bei verheirateten Paaren wiederum hörte Sex zu existieren auf. Ich konnte einen tiefen Einblick in die sexuellen Gepflogenheiten gewinnen, weil ich zwei sehr unterschiedliche Gruppen beriet: einerseits unverheiratete Studenten, die – nennen wir es – Freitzeitsex hatten. Und andererseits Ehepaare, die sich zwar nach verbindender Leidenschaft sehnten, denen aber jegliche körperliche und emotionale Intimität fehlte und deren Ehen häufig vollkommen platonisch waren. Statt selbst Sex zu haben, schauten verheiratete Paare im Fernsehen anderen beim Sex zu.
Als Scheidungskind beschäftigte es mich, wie Mann und Frau eine lebenslange, beglückende Beziehung führen könnten. Bei den Eheberatungen hatte ich nämlich rasch festgestellt, dass alles, was im Schlafzimmer nicht klappt, auch im Wohnzimmer nicht funktioniert.
Mich freute übrigens besonders, dass sich so viele Nichtjuden für meinen Sexratgeber interessierten. Denn ich war immer davon überzeugt, dass eine der größten Segnungen, die das Judentum der Welt beschert, die gesunde Einstellung zur Sexualität ist.
Nach dem Motto „Je mehr, desto besser“ ist Sex für viele Millennials etwas Schmerzvolles und Beunruhigendes geworden, ein Mittel zum Zweck, um das eigene Selbstwertgefühl zu stärken.
Kuschelstunde mit Stachelschwein
Traurigerweise ist der Weg zum Selbsthass mit der Suche nach Aufmerksamkeit gepflastert. Aber auch junge Menschen stellen früher oder später fest, dass austauschbare, flüchtige sexuelle Begegnungen nicht wirklich beglückend sind, sie fühlen sich verletzt, benutzt und betrogen. Denn ohne Liebe, Sicherheit und Nähe ähnelt Sex einer Kuschelstunde mit dem Stachelschwein.
Ich habe für das Buch Kosher Sex die große Weisheit des Judentums auf die Sexualität angewendet, meine Tochter hat diese Ideen in ihren Shops quasi in die Praxis umgesetzt. Ich habe mich an der Tora orientiert: Nach jüdischen Werten geht es beim Sex nicht darum, Spaß zu haben oder Kinder zu zeugen. Gott sagt nicht: „Der Mann wird an seiner Frau hängen, die Frau an ihrem Säugling.“ Gott sagt auch nicht: „Der Mann wird an seiner Frau hängen und eine wilde und gute Zeit haben.“ Sondern der Schöpfer lehrt uns, dass Sex von dem unendlichen Prozess der Vereinigung handelt, den wir Intimität nennen. „Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch“, heißt es im Buch Genesis.
Gott möchte, dass Mann und Frau sich verbinden und Knochen eines Knochens, Fleisch eines Fleisches werden. Koscherer Sex setzt Emotionen frei. Anders als zufällige Beziehungen, die eine Art „Aktualisierungsschalter“ haben, müssen Ehen den Test der Zeit bestehen. Bekanntlich verwandelt Zeit alles in Gewohnheit. Freilich, Gewohnheiten sind wichtig – aber nicht prickelnd heiß. Hilfsmittel, die Ehen aus der Leichenhalle der Gewohnheiten retten, sind koscher, weil sie Partnern zu einer leidenschaftlichen Vereinigung verhelfen. Sie sind ja vielleicht nicht jedermanns Sache, aber besser als ein gefrorener Frappuccino.
Mit Leidenschaft ans Ziel
Feinde einer dauerhaften Partnerschaft sind jedenfalls nicht diese in der Ehe genutzten Sexspielzeuge, sondern Pornografie, Untreue und platonische Ehe. Monogamie wird nicht durch Shops wie die meiner Tochter bedroht, die nur das Feuer ehelicher Leidenschaft entfachen wollen, sondern durch Ehemänner und Ehefrauen, deren größte Sehnsucht es ist, eine neue Serie auf Netflix anzuschauen. In einer von drei Ehen in den USA gibt es überhaupt keinen Sex. Etwa jeder zweite Ehemann betrügt seine Frau, eine von drei Frauen macht dasselbe. Ungefähr ein Viertel aller US-amerikanischen Männer ist pornografiesüchtig und betrachtet mindestens eine Stunde täglich erniedrigende Sexfotos von Frauen.Koscherer Sex ist das Heilmittel dagegen. Wiederbelebte Leidenschaft verwandelt Sex in einen verbindenden Akt der Liebe, durch den letztendlich Gottes Ziel erreicht wird: zwei zu einem zu vereinen. „Die Weisheit des Judentums in Bezug auf Sex und dessen Bedeutung für Partnerschaften ist groß“, sagte meine Tochter zur Reporterin der Jerusalem Post. Gut gesagt, Chana. Ich liebe die Betonung der unübertroffenen Weisheit der Tora in Bezug auf Sex. Dein Vater ist stolz.