„Darauf muss ich erst zugehen“

Nach der Anfechtung der Bezirkswahlen in Wien- Leopoldstadt durch die FPÖ wurden die Grünen bei der Wahlwiederholung überraschend stärkste Partei. Sie stellen nun die Bezirksvorsteherin im zweiten Bezirk. Mit Uschi Lichtenegger sprach Danielle Spera.
FOTOS: MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER

 

NU: Mazel Tov zu Ihrer Bestellung als Bezirksvorsteherin im zweiten Bezirk. Erstmals seit 1945 musste sich die SPÖ hier geschlagen geben. Wie geht es Ihnen?

Lichtenegger: Es war überraschend für uns, ich sehe es als Herausforderung und Verantwortung zugleich. Nun sind ein paar Wochen vergangen, ich arbeite mich gerade ein. Der Bezirk ist mir ein wichtiges Anliegen und ich hoffe, viele neue Projekte umsetzen zu können.

Was möchten Sie umsetzen?

Ich möchte mehr für Kinder tun, Verbesserung der Schulwegsicherheit, Antirassismus-Schulung der Kinder, oder auch, dass die Kinder die Natur anders erleben. Da möchte ich zum Beispiel Beete in die Schulen bringen. Kinder sollen nicht nur in die Parks gehen, sondern die Natur zum Angreifen, zum Essen erleben, wir nennen es „Essbare Leopoldstadt“.

Der zweite Bezirk ist historisch jüdisch geprägt, das geht weit in die Geschichte zurück, Stichworte Ghetto im „Unteren Werd“, Vertreibung, Wiederansiedlung, „Mazzesinsel“, neuerliche Vertreibung durch die Schoa; und heute ist wieder eine kleine, doch blühende Gemeinde präsent. Eine belastete Geschichte, aber nun wieder positive Gegenwart, wie erleben Sie das?

Ich nehme es durch meinen Beruf wahr, aber auch durch meine frühere Arbeit in der Theodor-Kramer-Gesellschaft. Mit meinem Weggang von der Kramer-Gesellschaft ist das weniger geworden, doch ich habe meine persönlichen Kontakte behalten, so etwa zu Esra. Ich freue mich, dass ich als Bezirksvorsteherin jetzt erreichen kann, dass der Bezirk sich noch mehr damit auseinandersetzt. Die Kulturkommission hat wertvolle Arbeit geleistet, aber sie hat meiner Einschätzung nach zu wenige Akzente gesetzt. Ich habe mit Andrea Stangl eine Vorsitzende für die Kulturkommission gewinnen können, die bisher im Parlament für Vergangenheitspolitik zuständig war. Wir haben schon Ideen, wie wir die Erinnerungspolitik in der Leopoldstadt stärker positionieren können.

Jetzt haben Sie eigentlich nur von der Vergangenheit gesprochen, über Erinnerungspolitik. Aber gerade im zweiten Bezirk ist das heutige jüdische Leben so präsent.

Meine Wahrnehmung ist, dass ich den Menschen auf der Straße begegne, dass es die Schulen gibt, die Lokale und die jüdischen Geschäfte, aber da muss ich erst darauf zugehen. Der Kontakt zum heutigen jüdischen Leben, der fehlt mir noch.

Es gibt immer wieder Berichte über Antisemitismus, auch im zweiten Bezirk. Nehmen Sie davon etwas wahr?

Ich bekomme es berichtet. Hie und da kommen Leute aus der jüdischen Community, die es aber nicht öffentlich machen wollen. Sie sagen, sie müssten sich ohnehin immer rechtfertigen, wieso sie überhaupt in Wien leben können, der Stadt, aus der zehntausende Menschen deportiert und ermordet wurden. Sie haben das Gefühl, wenn sie auch noch berichten, dass sie im Alltag mit Antisemitismus konfrontiert sind, da fühlen sie sich nicht wohl.

In welcher Form zeigt sich das?

Manchmal kommen Berichte, dass Passanten orthodoxen Juden unschöne Bemerkungen oder Beschimpfungen zurufen. Was ich im Bezirk aber überhaupt nicht wahrnehme, sind Schmierereien.

Die IKG warnt immer wieder vor islamischem Antisemitismus. Bekommen Sie auch dazu Berichte?

Nein.

Integration ist Ihnen ein wichtiges Thema. Wie könnte man dem begegnen, dass es Antisemitismus unter den Muslimen gibt?

Man muss bei den Kindern ansetzen, sehr viel auch über Kulturarbeit in den Vereinen, die es im zweiten Bezirk gibt. Wir haben nach der ersten großen Welle, in der viele Flüchtlinge im Dusika-Stadion untergebracht wurden, keine Beschwerden mehr bekommen. Gegenüber in einem Gemeindebau, wo die Bewohner mehrheitlich blau gewählt hatten, gab es anfangs Neid, als Flüchtlinge einzogen. Da wollte man wissen, wieso sie so schöne Wohnungen mit neuer Einbauküche bekämen. Aber auch dort ist es jetzt zu einem guten Zusammenleben gekommen.

Sie sind durch die schwarz-blaue Regierung motiviert worden, sich in der Politik zu engagieren.

Es war für mich unverständlich, dass man mit einer Partei zusammengeht, die nationalsozialistische Wurzeln hat und das immer wieder auch lebt. Zu sehen, dass ich nicht allein bin, war ganz wichtig, ich habe damals kaum eine Demo ausgelassen, weil ich es sonst nicht ausgehalten hätte. Es hätte mich zerrissen. Da war mir klar, da will ich auch meinen Beitrag leisten. Meine Kinder waren damals schon größer und ich hatte viel Kontakt mit den Grünen Leopoldstadt.

Was halten Sie davon, dass die SPÖ derzeit eine mögliche Koalition mit der FPÖ sondiert, ganz abgesehen von der Koalition im Burgenland?

Das gefällt mir nicht, aber es ist Sache der SPÖ. Ich hoffe da auf die linken Kräfte der SPÖ Wien und dass sie sich durchsetzen.

Der zweite Bezirk hat sich stark verändert, Künstler, Intellektuelle sind hergezogen, der Bezirk wurde plötzlich hip und nun auch ein teures Pflaster, was den Wohnungsmarkt betrifft.

Generell finde ich Gentrifizierung nicht nur negativ, es geht damit einher, dass Häuser saniert werden, weg vom Substandard. Im Volkertviertel gibt es noch immer Häuser mit einem Feeling von Bassena. Die Stadt Wien fördert hier viel, sodass Wohnungen auch nach der Sanierung für die derzeitigen Bewohner leistbar bleiben. Gerade Studenten ziehen gern ins Stuwerviertel und ins Volkertviertel. Wir sind ein junger Bezirk, auch durch die Unis, wie die WU, die Fachhochschule, die Sigmund-Freud-Universität, die Webster-Universität. Die junge Bevölkerung ist auf der Straße zu spüren. Sie bringt Leben hinein, das taugt mir.

Im zweiten Bezirk gab es vor 1938 die meisten Synagogen. Waren Sie oder Ihre Kinder schon einmal in einer Synagoge?

Nein. Meine Kinder waren im zehnten Bezirk in einer sogenannten „türkischen“ Schule. Da waren 15 bis 18 Kinder mit türkischer und drei bis fünf Kinder mit deutscher Muttersprache, daher haben meine Kinder nichts vom jüdischen Leben mitbekommen, wir sind dann auch aufs Land gezogen.

Waren Sie schon einmal in einer Moschee?

Nein, auch nicht. Meine Kinder haben aber durch meine Arbeit in der Theodor-Kramer-Gesellschaft einiges über die Zeit des Nationalsozialismus mitbekommen, weil ich viel zu Hause gearbeitet habe, als die Kinder klein waren. Heute leben meine Kinder nicht im zweiten Bezirk, was ich sehr schade finde, aber es kann ja noch werden. Es war mir immer sehr wichtig, ihnen zu zeigen, wie schön die Welt ist mit der Vielfalt, und dass alle Religionen ihren Platz haben.

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