Die evangelikalen Gemeinden, vor allem in den USA, zählen nicht erst seit dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel zu den vehementesten Unterstützern Israels. Seit der Zeit von Theodor Herzl gibt es christliches Engagement für den Zionismus. Heute sind es vor allem fundamentalistische Christen, die sich aus unterschiedlichsten Motiven massiv für Israel einsetzen.
Von Katherina Stourzh
In der Debatte um den Gazakrieg gibt es für Israel Unterstützung von – auf den ersten Blick – unerwarteter Seite und dies aus durchaus bemerkenswerten Gründen: Evangelikale Gruppierungen stehen, aus ihrem Glauben und ihrem missionarischen Zugang heraus, in unbedingter Solidarität zu Israel. Während es in den Freikirchen und evangelikalen Bewegungen in Europa, so auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz, verschiedene Zugänge zum Umgang mit Israel gibt, dominieren in den USA die stark proisraelischen evangelikalen Bewegungen. Die ausschließlich biblischen Bezüge mögen in einem geopolitischen Zusammenhang zunächst ungewöhnlich erscheinen, für evangelikale Gemeinden sind sie jedoch Teil ihres Selbstverständnisses.
Vor allem die sich selbst als Graswurzelbewegung bezeichnende Organisation Christians United for Israel (CUFI) mit bis zu zehn Millionen Anhängern ist hier zu nennen. Nur einige Stunden nach dem Massaker der Hamas wurde auf X ein Statement publiziert, das sich „an die Terroristen, die diesen Kampf gewählt haben“ richtet. „Hört zu, was ihr Israel antut, wird Gott euch antun. Trotz der heutigen Tränen wird Freude aufkommen, weil er [Gott], der über Israel wacht, weder schläft noch schlummern wird“. Die von Pastor John Hagee 2006 gegründete Organisation vertritt die Position, dass die Anwesenheit von Juden in Israel ein Vorbote der Rückkehr Jesu Christi auf die Erde sei. Gleichzeitig steht Hagee stark in der Kritik, da er vor seiner Hinwendung zu Israel durchaus mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen war. Der ehemalige Trump-Berater, erklärte dann im Dezember 2022 seine Prophezeiung, dass Gott bereit sei, „Israel auf so übernatürliche Weise zu verteidigen, dass es den Diktatoren auf dem Planeten Erde den Atem rauben wird, aber wir leben an der Schwelle der größten und übernatürlichsten Reihe von Ereignissen, die die Welt je gesehen hat – ob wir bereit sind oder nicht“.
Von der so genannten Ethik- und Religionsfreiheitskommission – einer Gruppe der Southern Baptist Convention, der 45.000 Kirchen in den USA angehören – wurde am 11. Oktober eine „Evangelikale Erklärung zur Unterstützung Israels“ und Verurteilung des Angriffs der Hamas publiziert. Darin bekundeten evangelikale Gemeindeleiter ihre volle Unterstützung für Israels Recht und Pflicht, sich gegen weitere Angriffe zu verteidigen. Alle Christinnen und Christen wurden aufgefordert, für die Errettung und den Frieden zu beten. Betont wurde, dass man sich trotz unterschiedlicher theologischer Ansichten über Israel einig sei, „dass Angriffe gegen das jüdische Volk besonders besorgniserregend seien, da es oft von seinen Nachbarn angegriffen werde, seit Gott es in den Tagen Abrahams als sein Volk berufen hat“, und weiter heißt es: „Israel ist ein seltenes Beispiel für Demokratie in einer Region, die von autoritären Regimen beherrscht wird. Die tragischen Ereignisse vom 7. Oktober unterstreichen einmal mehr die Bedeutung der Demokratie in unserer Welt und sind eine nüchterne Erinnerung daran, dass die Unterstützung des Existenzrechts Israels sowohl dringend als auch notwendig ist.“
Der politische Einfluss der Bewegung der Evangelikalen begann bereits in den 1950er Jahren, als einer der einflussreichsten Prediger, Billy Graham, ihr zum gesellschaftlichen Durchbruch verhalf. Er wurde schließlich auch Berater von Präsident Richard Nixon, nachdem er zuvor bereits daran beteiligt war, dass Präsident Eisenhower sich taufen ließ. Ronald Reagan galt ebenfalls als Anhänger der evangelikalen Bewegung. Spätestens mit der Gründung eines eigenen TV-Senders, des Christian Broadcast Network CBN, Anfang der 1960er Jahre, das in über 100 Sprachen sendet und der Einrichtung eigener Universitäten Ende der 1970er Jahre, erfolgte die Transformation von einer religiösen in eine politische Bewegung. Ab den 1980er Jahren erlebten die evangelikalen Gemeinden einen Boom. Inzwischen gibt es weltweit mehr als 2000, davon allein 1750 in den USA, und weitere 432 Gruppierungen auf der Welt. Vor allem in Afrika ist ein deutlicher Zuwachs evangelikaler Gemeinden zu registrieren.
Evangelikale bilden einen bedeutsamen Teil der republikanischen Parteibasis und sind auch mit mehr als 100 Mitgliedern im Kongress stark vertreten. Bei der Amtseinführung von Präsident Trump 2017 war erstmals eine Pastorin tätig, Paula White. Sie wurde später Leiterin des von Trump eingerichteten Evangelikalen Rates. Auch die Einladung von Pastor Robert Jeffress zur Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem demonstrierte die enge Verflechtung von Evangelikalen mit der Politik. Weitere prominente Vertreter aus der Politik sind der ehemalige Vizepräsident Mike Pence und der ehemalige Außenminister Mike Pompeo.
Für die evangelikalen Bewegungen gilt grundsätzlich, die Bibel wörtlich zu nehmen. Evangelikale Gruppierungen sind der Ansicht, dass die Rückkehr des jüdischen Volkes nach Israel der Schlüssel zur Endzeit ist, in der Gott die Sünder reinigen und Jesus Christus wiederkommen wird. Andere Gruppen sind eher Anhänger der „Segenstheologie“, die sich auf die wörtliche Auslegung des Buches Genesis 12. 3, stützt, wenn Gott zu Abraham sagt: „Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen“. So wird die Unterstützung für Israel als Teilhabe an den Plänen Gottes gesehen – Weltgeschichte und biblische Geschichte bzw. religiöse Hoffnung auf die Erlösung werden hier gleichgesetzt.
Das amerikanische Pew Institut hat 2022 erhoben, dass 60 Prozent der Evangelikalen glauben, in einer Endzeit zu leben und dass der Untergang der Welt, wie wir sie kennen, bevorstehe. Die Hälfte der Evangelikalen gibt an, dass ihre Sicht auf Israel vor allem von der Bibel bestimmt werde. In Israel selbst wird diese massive Hinwendung durchaus auch kritisch gesehen. Dass es sich um wahre Liebe handelt, wird vielfach bezweifelt.