VON JOHANNES GERLOFF, JERUSALEM
Als Kind wusste ich nichts von Chanukka. Ich bin im schwäbischen Pietismus aufgewachsen. Aber unser Großvater hat seinen Enkeln die ganze Heilige Schrift vorgelesen, auch die apokryphen Makkabäer- Bücher. Dort wird die Geschichte erzählt, die den Hintergrund für das Chanukkafest bildet.
So waren mir Mattathias, sein Sohn Judas und König Antiochus ein Begriff, als ich die Gegend um Modi’in, das Hügelland und die Wälder am Westabhang des judäischen Berglandes kennenlernte. Besonders im Winter, wenn alles grün wird und blüht, bietet dieser Teil Israels wunderbare Wanderungen. Die Höhlen, in denen sich Makkabäer, Zeloten und die Kämpfer Bar Kochbas versteckten, verlocken zu abenteuerlichen Expeditionen.
Eine Geschichte aus dem siebten Kapitel des zweiten Makkabäer-Buchs hat mich besonders beeindruckt: Weil sie an der Thora festhalten, foltert der heidnische Tyrann eine Mutter und ihre sieben Söhne grausam zu Tode. Erst im Rückblick wurde mir klar, dass Großvater uns abends vorgelesen hat, was ich selbst niemals als Gute-Nacht-Geschichte empfehlen würde.
Nachhaltig geprägt hat mich aber, wie diese Menschen die eigene Schuld gegenüber ihrem Gott sehen, dem sie nichts als Erbarmen und Gnade zutrauen. Sie glauben aus tiefstem Herzen, dass Gott sein Volk niemals im Stich lassen wird. Und dann ist da die Gewissheit, dass mit dem Tod nicht alles aus ist. Vielmehr wird Gott sie wieder auferwecken. Die Auferste- NAHOST Das Chanukkafest feiert die Wiedereinweihung des Tempels nach dem erfolgreichen Makkabäeraufstand gegen die Seleukidenherrschaft. hungshoffnung gab diesen Menschen Kraft, das Wort Gottes höher zu achten als ihr eigenes Leben.
Heute begegnen mir wieder Menschen, die sehr ähnlich gestrickt sind. Sie sind fest überzeugt, dass Gott sie nach zweitausend Jahren aus aller Welt ins Land Israel zurückführt. Sie leben in umstrittenen Siedlungen, im Ostjerusalemer Viertel Silwan, das noch vor hundert Jahren ein jüdisches Dorf war, und mahnen ihr Recht an, auf dem Tempelberg beten zu dürfen. Allen Verleumdungen zum Trotz ist Tatsache, dass sie weder Muslime noch Christen an der freien Ausübung ihres Glaubens hindern wollen. Rabbi Jehuda Glick fordert lediglich Gleichberechtigung. Dafür wurde er am Abend des 29. Oktober von einem Attentäter durch vier Schüsse schwer verletzt. Glick wurde nicht müde, zu betonen, dass der Tempelberg als „Bethaus für alle Völker“ gedacht sei, nicht als exklusives Heiligtum einer Religion.
Allerdings scheint, wie schon zur Makkabäer-Zeit, allein die Existenz von thoratreuen Juden die Botschaft zu verbreiten, dass es der Gott Israels ist, vor dem sich einmal alle Menschen zu verantworten haben. Und das ist einer Welt, die den Menschen zum letztgültigen Maßstab erhoben hat, ein Dorn im Auge, ein Pfahl im Fleisch.
Der Zeitgeist erklärt einen Schöpfer für genauso undenkbar wie die Möglichkeit, dass sich alle einmal vor einem Richter zu verantworten haben. Und er sucht die Lehre, dass jeder nach eigener Fasson selig zu werden habe und den damit verbundenen Libertinismus mit intoleranter Härte durchzusetzen. Deshalb ist es Brandstiftung, wenn Juden das fordern, was in einer Welt, die Toleranz zum Dogma erhoben hat, als Religionsfreiheit eigentlich selbstverständlich sein sollte.
Wer Chanukka versteht, versteht einen entscheidenden Aspekt des modernen Staates Israel besser.