Der „World Jewish Congress“ (WJC) beklagt eine Zunahme von antisemitischen Videos auf TikTok und anderen sozialen Medien.
Von Otmar Lahodynsky
„Diese Videos sind eine unerträgliche Verhöhnung der Schoah und ihrer Opfer. Auch Europa muss dagegen vorgehen“, fordert Ronald S. Lauder, Präsident des World Jewish Congress (WJC) in einem Kommentar und macht auf die starke Zunahme von antisemitischen Videos auf der vor allem bei Jugendlichen beliebten Social-Media-Plattform TikTok aufmerksam. Soziale Medien würden so zu „Brutstätten des Antisemitismus“ (Lauder).
„Wir machen eine Reise zu einem Ort namens Auschwitz – Zeit zum Duschen, kleine Kinder“, tönt es in einem Video auf der in China beheimateten Plattform. Dazu erscheint ein skorpionartiger Roboter, der mit einem Hakenkreuz Menschen tötet. Dieses Video soll, so stellte die BBC fest, weltweit bereits sechs Millionen Mal angesehen worden – und es ist nur eines von vielen Beispielen.
Verhöhnung der Opfer
„Damit werden Nutzer der in China beheimateten Social-Media-Plattform straflos mit antisemitischen Stereotypen vertraut gemacht“, stellte Lauder fest. „Ich bin erschüttert, dass diese Videos in der EU bisher frei und ohne Gegenmaßnahmen verbreitet werden dürfen.“ Der geschäftsführende WJC-Vizepräsident Maram Stern übermittelte an die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und ihre Amtskollegin in Österreich, Alma Zadić (Die Grünen), mehrere Abschriften solcher antisemitischen Videos auf TikTok und fordert, dass gegen diese Verhöhnung der Schoah und ihrer Opfer unverzüglich Maßnahmen beschlossen werden.
„Wir sind erschüttert, dass diese Videos ebenfalls in Österreich und der EU für alle, insbesondere minderjährige Nutzer der TikTok-Plattform abrufbar sind und halten dies für einen unhaltbaren Zustand“, so Stern. „Es ist unsere gemeinsame Pflicht, hiergegen unverzüglich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vorzugehen.“
Der WJC konnte TikTok an deren Kontaktadressen in China nicht erreichen. In einer Stellungnahme gegenüber der APA dementierte das Videoportal die Vorwürfe des WJC. Die inkriminierten Videos seien bereits als Verstoß „gegen die Community-Regeln“ erkannt und in der Folge gelöscht worden. „Wir tolerieren keine Inhalte, die Hassreden enthalten.“
Doch der WJC wies nach, dass ein Großteil der inkriminierten Videos weiterhin abrufbar blieb. Der WJC hatte auf eine Untersuchung des Instituts für Terrorismusbekämpfung (ICT) an der Universität Haifa hingewiesen, bei der von Februar bis Mai 2020 viele TikTok-Videos untersucht wurden. Dabei waren 200 Postings entdeckt worden, „die eindeutig rechtsextreme Inhalte aufwiesen, vor allem durch die Leugnung oder Verhöhnung der Schoah“, so Lauder.
Die Forderungen des WJC hatten bisher in Europa wenig Erfolg. Die EU-Kommission arbeitet zwar an einem Gesetz gegen Hasspostings und Gewaltaufrufe in sozialen Medien, kommt aber damit nicht recht voran. In den USA droht TikTok aus anderen Gründen – etwa Vorwürfen der Spionage – ein komplettes Verbot.
In Österreich reagierte Justizministerin Zadić zögerlich. In einem kurzen Antwortschreiben einer Mitarbeiterin an den WJC heißt es, das Schreiben sei an die Oberstaatsanwaltschaft „zur weiteren Veranlassung übermittelt“ worden. „Festzuhalten ist, dass mangels ersichtlichem Österreich-Bezug zunächst die inländische Zuständigkeit zu prüfen sein wird.“ Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) reagierte professioneller und räumte ein, dass „wir im Internet in der Vergangenheit immer wieder mit großem Entsetzen Verharmlosungen der Schoah und zutiefst geschmacklose Witze über die Gräueltaten des NS-Regimes feststellen mussten.“
Neue Regelungen
Antisemitismus und radikales Gedankengut finden besonders auf Social-Media-Plattformen enorm schnelle Verbreitung, so Edtstadler: „Antisemiten werden nicht geboren, sie werden von ihrem Umfeld dazu erzogen. Es ist absolut inakzeptabel, dass auf einer Plattform, auf der sich vor allem Kinder und Jugendliche aufhalten, derartige Inhalte frei von Konsequenzen online gestellt und geteilt werden können.“
Die Bundesregierung sieht vor, mit neuen gesetzlichen Regelungen gegen den Hass im Netz vorzugehen. So ist im Gesetz, das noch im August in die Begutachtung geht, vorgesehen, dass jede soziale Plattform auch einen Verantwortlichen in Österreich bekanntgeben muss. Damit könnten Beschwerden und Aufforderungen zur schnellen Löschung illegaler Postings besser an die Verantwortlichen der Plattformen geschickt werden. Auch Strafen bei Nichtbefolgung könnten so leichter eingehoben werden.