Von Erwin Javor
Gefangenenmisshandlungen im Gefängnis Abu Ghraib haben die Welt schockiert. Das Material dokumentiert grausame und sadistische Folter. Irakische Häftlinge wurden gequält, entwürdigt und zu sexuellen Handlungen gezwungen. Man kann sich diesen Bildern nicht entziehen. Alles, was bisher nicht vorstellbar war, geschieht, und Menschen sind fähig und bereit, anderen Menschen die Hölle auf Erden zu bereiten. Niemand bezweifelt, dass es unbedingt notwendig war, diese Bilder zu veröffentlichen. Und es bedarf auch keiner Rechtfertigung für die Veröffentlichung des schockierenden Bildmaterials.
Je grausamer das Bildmaterial ist, umso mehr ist man verpflichtet, dieses zu publizieren, um einen Umdenkprozess in Gang zu setzen. Und genau das wurde im Folterskandal von Abu Ghraib auch bewirkt. Die schockierte Öffentlichkeit forderte entsprechende Konsequenzen und nach einem heftigen Diskussionsprozess wurden Verantwortliche vor Gericht gestellt, abgeurteilt, das Gefängnis geschlossen, und entsprechende Gesetze sollen eine Wiederholung dieser schändlichen Vorgänge in Zukunft verhindern.
So gesehen sind Bilder wirksame Waffen im Kampf gegen Unrecht und Unterdrückung. Dieser Folterskandal und Karikaturen des Propheten, die in einer Zeitung in Dänemark veröffentlicht wurden, haben bekanntlich zu heftigen und gewalttätigen Massendemonstrationen in der islamischen Welt geführt. Wie immer bei solchen Anlässen kam es zur obligaten Verbrennung diverser Fahnen. Ebenso wurden Puppen, die westliche Politiker darstellten, misshandelt und symbolisch gehenkt.
Interessant ist aber in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sich die arabischen Massen zwar sehr um ihre Religion und den Propheten bemühen, aber nicht dagegen protestieren, wenn im Namen ihres Glaubens islamische Gruppierungen andere unschuldige Menschen – darunter viele Muslime – regelmäßig massakrieren.
Warum gibt es keine Demonstrationen von Muslimen gegen Bin Laden, Zarqawi und Konsorten, die fast täglich im Irak ihre Glaubensbrüder abschlachten, Moscheen zerstören und Selbstmordanschläge in der ganzen Welt ausführen lassen? Welcher Moslem protestiert in aller Öffentlichkeit dagegen, dass unschuldigen Geiseln der Kopf abgetrennt wird und dies im Internet gezeigt wird? Und warum veröffentlichen all jene Medien, die im Folterskandal von Abu Ghraib ihrer Berufspflicht nachgekommen sind, nicht auch die blutigen Bilder der enthaupteten Geiseln?
Obwohl wir regelmäßig mit der Tatsache konfrontiert werden, dass im Namen des Propheten Verbrechen begangen, heilige Stätten von Andersgläubigen zerstört werden, übt die internationale Presse eine Zurückhaltung in ihrer Berichterstattung aus, die an Selbstzensur grenzt. Obwohl es Foto- und Filmdokumente von verschleppten und in der Folge „hingerichteten“ Mitgliedern von Hilfsorganisationen gibt, verweigert die Presse die Abbildung des Todeskampfes dieser Opfer. Während in der arabischen Welt der populäre Sender Al Jasira die Wut der Moslems weiter schürt und nicht einmal die Entschuldigung der dänischen Regierung ihren Sehern wiedergibt, wird in der westlichen Presse die barbarische Hinrichtung – im Namen Allahs – von zwei schwulen Teenagern im Iran kaum erwähnt.
Bevor die beiden an einem Baukran vor einer großen Schar johlender Zuschauer gehenkt wurden, mussten sie kurz vor ihrem Tod noch je 228 Peitschenhiebe erleiden. Es stellt sich nun die prinzipielle Frage, ob man solche Bilder unzensiert zeigen soll oder nicht. Und diese Diskussion ist so alt wie die Pressefreiheit. Es gibt zahlreiche und seriöse Argumente, die dafür sprechen, die Veröffentlichung solcher Grausamkeiten nicht zuzulassen. Wenn man aber zum Schluss kommt, dass ohne schonungslose Publikation der Bilder Terrorakte aseptisch, sauber und unglaubwürdig werden, haben wir eine Verpflichtung. Je grausamer das Bildmaterial ist, umso mehr bekommen jene Recht, die gegen Terror und Krieg sind.
Die Abbildung vom Massaker an Zivilisten in My Lai hat nachweisbar den Vietnamkrieg verkürzt. Vielleicht würde der Schock über Brutalitäten an Unschuldigen die islamische Welt zum Umdenken und zu notwendigen Reformen zwingen.