Die pogromartigen Ereignisse in Amsterdam am Vorabend des Gedenkens an die Novemberpogrome vom 8./9. November 1938 sind eine erschreckende Bestätigung einer Befürchtung.
Von Gerhard Jelinek
Nicht nur auf den Straßen, auch in vielen Medien herrschen teilweise mehr oder weniger offener Antisemitismus und eine sehr subjektive Darstellung von Israels Verteidigungskrieg gegen den Terror, die mitunter unbewusst, aber auch vorsätzlich, Erzählungen der Islamisten verbreitet.
Der Mob, der Anhänger des israelischen Fußballklubs nach dem Europaliga-Spiel gegen Ajax Amsterdam jagte, beschimpfte, schlug, verletzte, ereignete sich nicht wegen eines Fußballspiels. Das Spiel war so wenig aufregend wie das Ergebnis eindeutig. Maccabi Tel Aviv verlor gegen die niederländische Top-Elf mit 5:0. Da waren keine „Ultras“ oder fanatisierte Kicker-Fans am Werk, es war ein gezielter Angriff auf Juden – in Amsterdam, mitten in Europa. Vor solchen Entwicklungen warnt der vom Unternehmer Erwin Javor gegründete Wiener Nahost-Thinktank mena-watch seit Jahren. Er beruft sich in seiner Berichterstattung auf belegte Tatsachen und sucht die sachliche Information und den faktenbasierten Diskurs. Für diese Form der Berichterstattung vergibt mena-watch seit drei Jahren den renommierten Arik-Brauer-Publizistikpreis, unter anderen hat ihn Wolf Biermann erhalten.
Der Preis wird für „fundierte Beiträge zur öffentlichen Debatte“ vergeben, die den Nahen Osten aus einer fairen und realitätsbezogenen Perspektive betrachten. Die Preisträgerinnen und Preisträger werden von einer unabhängigen internationalen Jury bestimmt. Ihr gehören Timna Brauer, die Tochter von Arik Brauer, NU-Herausgeberin Danielle Spera, der Nahost-Experte und ehemalige ORF-Korrespondent Ben Segenreich, Stefan Kaltenbrunner, Arabist und Journalist, Chefredakteur des Nachrichtensenders PULS 24 und Ednan Aslan, Professor für islamische Religionspädagogik am Institut für Islamisch-theologische Studien der Universität Wien an.
Der Preis könnte keinen besseren Namenspatron haben als den großen österreichisch-jüdischen Künstler Arik Brauer, der 2021 verstorben ist. Brauer hat eigens zu diesem Zweck eine Keramikskulptur für die Preisträger geschaffen und Erwin Javor überlassen. Javor war viele Jahre lang ein enger Freund und Lebensbegleiter des Künstlers. Die Skulptur ist das letzte Werk, das Arik Brauer schuf.
Bei der Veranstaltung Ende Oktober im ausverkauften Wiener Theater in der Walfischgasse wurden die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, die deutsche Terrorismusexpertin Rebecca Schönenbach, der deutsch-israelische Historiker und Militärexperte Michael Wolffsohn mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis und der Sprecher der Israelischen Verteidigungskräfte IDF, Arye Sharuz Shalicar mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Der Abend wurde von Danielle Spera moderiert und von Mena-Watch Gründer und Initiator des Arik Brauer Preises Erwin Javor gestaltet. Timna Brauer begeisterte mit ihrem musikalischen Beitrag, in dem sie an ihre Eltern Naomi und Arik Brauer erinnerte.
Josef Joffe, der frühere Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“ hielt die Laudatio auf die Nobelpreisträgerin Herta Müller. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 veröffentlichte Müller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Text mit dem Titel „Ich kann mir eine Welt ohne Israel nicht vorstellen“, in dem sie das „totale Entgleisen aus der Zivilisation“ anprangerte, das nicht nur in den Verbrechen der Hamas zum Ausdruck gekommen sei, sondern auch in den Solidaritätsbekundungen mit den Mördern hier im Westen. Josef Joffe knüpfte an den Text dieses Essays an und analysierte die aktuelle Lage ein Jahr nach diesem Kulturbruch: „Die alten Dämonen sind ein Menschenalter nach der Schoa im neuen Kleid zurück. Und Herta Müller fragt, ob die Studenten von Stockholm bis San Francisco ‚schon debil’ sind, wenn sie solche Parolen brüllen. Und weiter fragt: Hat ihnen die Freiheit den Kopf verdreht? Wenn etwa Queere, die im Iran den Tod riskieren, gegen das freie Israel demonstrieren. Das sei wie ein ‚Huhn, das für Kentucky Fried Chicken demonstriert’.“
Hertha Müller konnte krankheitsbedingt an der Verleihung in Wien nicht ad personam teilnehmen, sandte aber eine Dankesrede, die von der unvergleichlichen Andrea Eckert vorgetragen wurde. Müller, die als Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien geboren wurde und 1987 nach Berlin kam, setzt sich in ihrem Werk mit den Verletzungen auseinander, die Menschen in Diktaturen und totalitären Staaten erleiden. Dem vom Iran finanzierten und gesteuerten politischen Islam gibt sie dabei eine singuläre Rolle, es sei eine Politik des Todeskultes, der Verachtung des Lebens: „Das Wort Märtyrer ist abgründig, es verachtet das Leben schlechthin. Es kennt nur die Todesfreude und erstickt jeden individuellen Wunsch nach persönlichem Glück im Leben. Ein Individuum soll erst gar nicht entstehen, der Verstand soll sich dem als Religion getarnten Militarismus bedingungslos unterwerfen. Es entsteht durch diese Unterwerfung mehr als blinder Gehorsam, es entsteht eine buchstäblich ausweglose Abhängigkeit, ein Sog des Todeswunsches…eine Hörigkeit, die den Verstand zerreißt,… der Märtyrerkult des politischen Islam, sagt den Leuten, dass sie kein Leben brauchen, nur eine Mission, dass diese Mission vor allem anderen die Vernichtung Israels ist, dafür soll seit Jahrzehnten kontinuierlich getötet werden, bis man selber stirbt…. der Märtyrerkult ist nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern die Verweigerung der Politik.“ Josef Joffe schloss seine Laudatio mit dem hebräischen Wort „Kol hakawod“, auf Deutsch: „Alle Ehre.“
Die weiteren Laudationen hielten Maya Zehden von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Psychologe Ahmad Mansour und der Journalist Stefan Kaltenbrunner. Er begründete den Sonderpreis für den Publizisten Arye Sharuz Shalicar. Shalicar war in Berlin als Kind in einer persisch-jüdischen Familie aufgewachsen, ging aber 2001 nach Israel, wo er mehrere Jahre als Sprecher der israelischen Verteidigungsstreitkräfte tätig war. Zu dieser Aufgabe wurde er nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 wieder einberufen. Arye Sharuz Shalicar wurde so zur deutschsprachigen Stimme der IDF und erläuterte in zahlreichen Medienauftritten, auch im ORF, die Lage Israels und das Vorgehen der israelischen Streitkräfte.
In seiner Dankesrede sagte Shalicar: „Die Frage, die ich mir nach dem 7. Oktober 2023 stelle ist, ob der Rest der Welt Israel so sieht wie den Rest der Welt. Und ich glaube, dass vor dem 7. Oktober viele Juden die Welt sehr naiv wahrgenommen haben. Ich hab’ nie geträumt, ich war nie ein Träumer. Ich wusste, dass das Leben für Juden und den Staat Israel eine Herausforderung ist, wegen meiner Vergangenheit in Berlin. Da hab’ ich gewisse Tendenzen entdeckt. Denn im Endeffekt ist die Frage immer: Was macht Israel falsch? Was müsste Israel richtig oder richtiger machen, um gemocht zu werden, um akzeptiert zu werden, um so wie alle anderen behandelt zu werden.” Shalicar weiter: „Was mir auffällt ist, dass es da zwei verschiedene Herangehensweisen gibt, von großen Teilen der Welt. Die eine ist, dass man uns sehr gerne Ratschläge gibt und uns so lenken möchte, wie man es selbst gerne hätte. Wenn man es dann nicht so macht wie gewünscht, dann kommt das schlecht an. Die andere Herangehensweise ist, dass Israel eigentlich ein Störfaktor ist. Und es spielt absolut keine Rolle, was Israel tut, wie es Israel tut, sondern, dass Israel da ist, ist für viele ein Störfaktor.”
Rebecca Schönenbach hob bei ihrer Dankesrede hervor, dass es wichtiger sei für etwas einzustehen als gegen etwas. „Israel steht in einer Welt, in der Demokratie und Meinungsfreiheit nicht mehr selbstverständlich sind, für Lebensfreude, für Freiheit, für den Rechtsstaat. Das ist, was uns mit Israel verbindet. Am Israel Chai, Israel wird leben, ist ein Versprechen an uns, es ist unsere Hoffnung weiterzuleben, in Freiheit, weil Leben und Freiheit zusammengehören. Und Demokratie nur mit Freiheit und Freiheit nur mit Demokratie möglich ist“, so Schönenbach.
Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn wurde für seine Bücher und Publikationen über Israel, den israelisch-arabischen Konflikt, die deutsch-israelischen Beziehungen, Antisemitismus und Judentum geehrt. Die Laudatio hielt der Psychologe und Islamismus-Experte Ahmad Mansour, der an den Lebenslauf Wolffsohns anknüpfte: „Drei Jahre lang hast Du in den Israeli Defence Forces gedient. Du kannst ganz genau beurteilen, was diese Armee im Moment leistet. Sie verteidigt mit aller Kraft die Existenz des Staates Israel, die Werte der Demokratie. Mit Dir zusammen kann ich als Demokrat, als arabischer Israeli und als Deutscher nur hoffen, dass die israelische Armee weiter so viele Erfolge hat, wie in den vergangenen Wochen. Es gibt sicher viel zu diskutieren. Aber ich bin mir auch sicher: Wir stimmen darin überein, dass das Land verteidigt werden muss. Erwin Javor schrieb in mena-watch vor wenigen Monaten über das jüngste Buch von Michael Wolffsohn, das den Titel trägt: „Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus“: „Wolffsohn liefert eine scharfe Abrechnung mit der Volkskrankheit Judenhass, gegen die offensichtlich noch immer keine Gegenmittel gefunden wurden, und kommt zu dem Schluss, dass dies auch so bleiben wird. Alle Versuche, das Richtige zu tun, scheitern letztlich an der Unheilbarkeit der Antisemiten aus allen Lagern, egal, ob sie rechtsextreme, linke oder islamistische ‚Gesinnungsgemeinschaften’ beflügeln. Der Effekt ist immer derselbe. Dennoch verallgemeinert und vereinfacht Wolffsohn nicht. Er spricht nie von allen, aber von sehr vielen, zu vielen und einer leider wachsenden Zahl. Und wenn nicht Zahl, so doch einer anschwellenden antijüdischen Militanz in Wort und Tat. Ich kann mich ihm nur anschließen, wenn er leidenschaftlich appelliert: ‚Wacht auf, schaut auf unsere Wirklichkeit. Judenpolitisch ist sie ein Albtraum. Nicht ‚wie einst‘, aber schlimm genug. Wacht auf aus euren Wunschträumen, schaut auf eure vielen, selbst verschuldeten Defizite. Dann erkennt ihr auch eure Defizite uns Juden gegenüber. Hierzulande und in Israel. Selbsterkenntnis ist der Anfang jeder Besserung.“, so Erwin Javor. Auch die NU-Redaktion gratuliert den Preisträgern ganz herzlich.