Spätestens die Documenta 15 hat gezeigt: Es gibt im Kunstbetrieb keinen Konsens gegen Antisemitismus. Über das problematische Verhältnis von Kunstuniversitäten und Antisemitismus in Wien.
Von Mark E. Napadenski
Befinden sich Israel und Palästina in einem Konflikt, steigt die Zahl antisemitischer Übergriffe weltweit. Dieser Zusammenhang ist statistisch nachgewiesen. Die Welle von Hass, mit welcher sich Jüdinnen und Juden nach dem 7. Oktober konfrontiert sehen, kommt daher leider nicht unerwartet. Das Ausmaß ist aber erschütternd. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der deutschen Bundesregierung, spricht von einer „beschämend“ hohen Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland. Ein ähnliches Niveau wie in Frankreich und Großbritannien. Auch die Israelitische Kultusgemeinde verzeichnet in Österreich einen massiven Anstieg von antisemitisch motivierten Übergriffen nach dem 7. Oktober.
Auch die Liste der Vorfälle an Universitäten wächst. Besonders Kunstuniversitäten stehen im Zentrum von „Protest“-Aktionen. Getarnt als Solidarität mit der Zivilbevölkerung in Gaza werden antisemitische Parolen skandiert und jüdische Personen direkt angegriffen. Sashi Turkof studiert an der Universität für angewandte Kunst Wien und kann die zunehmende Radikalisierung kaum fassen: „Zahlreiche studentische Gruppen mobilisieren seit Monaten gegen den jüdischen Staat und nutzen dafür nicht selten die Räumlichkeiten der Uni.“ Der gewalttätige Angriff auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira in Berlin durch einen arabischstämmigen Kommilitonen verschärft die Angst vor dem Gewaltpotenzial auch an heimischen Universitäten.
Die aufgeheizte Stimmung vernimmt auch der Präsident der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen, Alon Ishay, der klare Worte dafür findet: „Un- oder Fehlwissen, Überheblichkeit und ein fehlgeleiteter Idealismus münden in verkürzte Kritiken, die häufig Israel und “den Zionismus” als das Böse auszumachen versuchen. So kann es nicht verwundern, wenn im Foyer der Angewandten in Wien vollkommen ungehemmt der Terror der Hamas relativiert wird.“ Neben den immer radikaler werdenden Aktionen der Studierenden erkennt er auch einen falschen Umgang mit der jetzigen Situation vonseiten der Institutionen. Diese gewähren laut seiner Analyse derartigen Antisemitismus an ihren Unis zwar nicht aus Zustimmung, sondern vielmehr aus taktischen Gründen. „Man will den Proteststurm ausharren und appeasen. Das macht das Leben der Universitäten zwar leichter, den Unialltag für jüdische Studierende jedoch zunehmend zum Horror.“
Dabei wird der Dialog meist von jenen Personen gefordert, die Angst davor haben, dass die Kritik am Staat Israel nicht mehr möglich ist und daher noch vehementer auf ihren sogenannten israelbezogenen Antisemitismus beharren. Isolde Vogel, Antisemitismus-Forscherin und Mitarbeiterin am DÖW, sieht in der Debatte eine Täter-Opfer Umkehr. „Antisemitismus kommt immer als Widerstand daher, wird als Gegenwehr verstanden, als Reaktion auf Mythen, auf angebliche Genozide, auf Staatsgrenzen oder Weltverschwörungsfantasien. Der Nahe Osten dient als Projektionsfläche, ,Israel‘ oder ,die Zionisten‘ sind darin austauschbare Paraphrasen.“
Das Ausmaß des Antisemitismus auf Hochschulen ist mittlerweile so hoch angestiegen, dass die Österreichische Akademie der Wissenschaften eigens ein Forschungsprojekt dazu in die Wege geleitet hat. Der Historiker Gerald Lamprecht erklärt den Forschungsschwerpunkt: „Um gegen jegliche Formen des Antisemitismus aktiv vorgehen zu können, braucht es zunächst ein genaues Verständnis darüber, wie und wo dieser in Erscheinung tritt. Die Universitäten als zentrale gesellschaftliche Instanzen nehmen hierbei eine besondere Rolle ein.“ In einem ersten Schritt durch eine Pilotstudie sollen gegenwärtige antisemitische Aktivitäten untersucht werden. Neben dem „traditionellen“ (sic!) Antisemitismus von rechts soll es auch um die aktuell breit diskutierte postkoloniale Kritik am Staat Israel und seiner Politik gehen. Die Frage dabei lautet immer wieder, inwieweit hier eine legitime Kritik in Antisemitismus kippt, so Lamprecht.
Widerspruch und Widerstand gegen die zunehmende Radikalisierung kommt auch seitens der Studierenden. Obgleich des antiisraelischen Ressentiments haben sich betroffene Studierende formiert, um dem Hass etwas entgegenzusetzen. Die neu gegründete Organisation „Art without antisemitism“ ist Bündnis aus Studierenden der Akademie der bildenden Künste, der Universität für angewandte Künste, der Uni Wien sowie der jüdischen Österreichischen HochschülerInnen. Gemeinsam werden Informationen gesammelt, Veranstaltungen geplant und Strategien entwickelt.