Seit dem 3. März 2025 ist die langjährige Vorsitzende der NEOS Beate Meinl-Reisinger österreichische Außenministerin. Wie steht es um ihre Position zu Israel, zur Förderung jüdischen Lebens in Österreich und zum steigenden Antisemitismus? Zu diesen und anderen Fragen hat NU Frau Meinl-Reisinger zu einem Gespräch eingeladen.
Von Michael J. Reinprecht
NU: Die beiden vorangegangenen Bundesregierungen unter den Bundeskanzlern Kurz und Nehammer haben besonderen Wert auf die Absicherung des österreichisch-jüdischen Erbes und die Förderung jüdischen Lebens in Österreich gelegt. Wie wichtig ist diese Politik heute?Meinl-Reisinger: Der weltweit dramatische Anstieg von Antisemitismus zeigt ganz deutlich, wie wichtig es ist, das jüdische Erbe als einen essentiellen und bereichernden Teil unserer Geschichte und Identität zu bewahren und stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Das österreichisch-jüdische Kulturerbegesetz und die erleichterte Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Nachkommen von Opfern der Shoah waren dabei Meilensteine, zu denen wir uns im Regierungsprogramm ausdrücklich bekennen und die wir fortführen und ausweiten wollen. Besonders wichtig ist mir dabei, dass unsere Maßnahmen sich nicht auf die Bewahrung von Gebäuden oder Objekten beschränken, sondern auf die Bedürfnisse einer lebendigen jüdischen Gemeinde in all ihrer Vielfalt eingehen.
NU: Bis 1938 lebten allein in Wien 200.000 Juden, teils assimiliert, teils nicht. Sie haben kulturell und geistig die Stadt aber auch die Geschichte des Landes entscheidend mitgeprägt. Heute leben nur mehr etwa 15.000 Juden in Österreich, die Kultusgemeinde hat nicht mehr als 8.000 Mitglieder. Trotzdem steigt der Antisemitismus im Lande. Was tun?
Meinl-Reisinger: Wir müssen den in den letzten Jahren beschrittenen Weg konsequent weitergehen. Wie wir am weiteren Anstieg des Antisemitismus sehen, liegt aber trotz der zahlreichen Initiativen noch viel Arbeit vor uns. Antisemitismus darf in Österreich schlicht und einfach keinen Platz haben. Daher arbeiten wir an einer Neuauflage unserer Antisemitismusstrategie. Unser Ziel muss sein, jüdisches Leben zu schützen und ein respektvolles, tolerantes Miteinander in Österreich zu fördern – und ich bin überzeugt, dass uns dies gelingen kann.
NU: Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für den steigenden Antisemitismus in Österreich und von wem, von welchen Gruppen geht da eine besondere Bedrohung aus?
Meinl-Reisinger: Leider sehen wir, dass der Anstieg des Antisemitismus nicht auf einzelne Teile unserer Gesellschaft beschränkt ist. Wir sollten uns davor hüten, ganze Gruppen – etwa wegen ihrer Religion ¬¬– einem Generalverdacht auszusetzen. Wir müssen vielmehr spezifische Maßnahmen setzen, um das Problem an der Wurzel zu bekämpfen. Ich bin überzeugt, dass die gute Zusammenarbeit innerhalb der Regierung – aber auch mit anderen Partnern – bei der Überarbeitung der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus einen wichtigen Beitrag leisten wird.
NU: Österreich kannte in den 1970iger- und 1980iger-Jahren eine betont Palästinenser-freundliche Außenpolitik, hat in den vergangenen Jahren allerdings eine eng an die Seite Israels gelehnte Politik eingenommen. Angesichts der aktuell sehr schwierigen Lage in Israel, gerade in Folge des von der Hamas verursachten Pogroms vom 7. Oktober 2023, was kann, was soll die Rolle Österreichs sein?
Meinl-Reisinger: Der 7. Oktober war eine Zäsur für Israel und den Nahen Osten. Österreich hat sich hier von Beginn an ganz klar positioniert und den Angriff der Hamas unmissverständlich verurteilt. Ganz generell hat sich die österreichische Position in den vergangenen Jahren nicht grundlegend geändert: Basierend auf unserer historischen Verantwortung bekennen wir uns in unserem Regierungsprogramm zu Israel und dessen Sicherheit. Dazu gehört aber auch, dass wir uns weiterhin nachdrücklich für eine Zwei-Staaten-Lösung auf der Grundlage des Völkerrechts einsetzen. Das heißt: Israel soll in anerkannten und dauerhaft sicheren Grenzen in Frieden neben einem unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat existieren. Ich sehe die Rolle Österreichs als Unterstützer einer friedlichen, politischen Lösung.
NU: Sehen Sie in der komplexen Gemengelage in Nahost, gerade angesichts des Krieges in Gaza, aber auch der jüngsten Ereignisse in den besetzten Gebieten der Westbank, noch Chancen für eine Zwei-Staaten-Lösung? Oder läuft dieses, auch von der EU unterstützte Ziel Gefahr, zu einem Mantra zu werden, das die europäische Politik vor sich herträgt, das aber kaum realistische Chancen hat Wirklichkeit zu werden?
Meinl-Reisinger: Der Krieg in Gaza und die zunehmende Ausweitung der Siedlungen im Westjordanland haben die Hoffnung auf eine Zwei-Staaten-Lösung natürlich schrumpfen lassen. Aber gleichzeitig macht diese Eskalation auch deutlich, dass kein Weg an einer Zwei-Staaten-Lösung vorbeiführt. Ich bin überzeugt, dass eine realistische Perspektive auf eine politische Lösung zu einer Deeskalation führen wird. Dazu müssen jedoch beide Seiten offen sein. Es gibt einen Rahmen, innerhalb dessen man eine Lösung ausgestalten kann: Israels Sicherheit muss gegeben sein, daher gibt es in Gaza keinen Platz für die Terrorherrschaft der Hamas. Gleichzeitig hat das palästinensische Volk ein Recht, selbstbestimmt in den palästinensischen Gebieten zu leben. Eine Vertreibung wäre völkerrechtswidrig und vollkommen inakzeptabel. Für Gaza braucht es eine realistische und völkerrechtskonforme Lösung für eine neue Verwaltung unter palästinensischer Führung, der Mitwirkung der Palästinensischen Autonomiebehörde und der internationalen Gemeinschaft. Daher begrüße ich auch die Initiative der arabischen Länder, einen Plan zum Wiederaufbau Gazas vorzulegen.
NU: Frau Bundesministerin: Sie haben Anfang April Tal Shoham, den österreichisch-israelischen Doppelstaatsbürger, der Ende Februar nach einem mehr als 500 Tage dauernden Martyrium als Hamas-Geisel freikam, getroffen. Was war Ihre Message an ihn und seine Familie?
Meinl-Reisinger: Ich durfte ihn und seine Familie in Wien empfangen. Was ihm und vielen anderen Geiseln widerfahren ist, ist einfach unvorstellbar. Ich habe Tal Shoham und seiner Familie versichert, dass Österreich auch weiterhin alle Bemühungen unterstützten wird, die zur Befreiung der verbleibenden Geiseln führen und das Sterben beenden. Erst wenn sie zu Hause sind, gibt es eine Chance auf Frieden.
NU: Frau Bundesministerin: Haben Sie vor nach Israel zu reisen und wenn ja, wann?
Meinl-Reisinger: Ja, eine Reise nach Israel und in die Nachbarstaaten ist bereits für die nächsten Monate in Planung – Außenminister Sa’ar hat mich freundlicherweise bereits eingeladen. Er ist natürlich auch jederzeit herzlich willkommen in Wien.
NU: Nach wie vor befinden sich Dutzende Israelis in Geiselhaft der Hamas in Gaza. Die Kämpfe gegen die Terrororganisation hat Israel aber wieder aufgenommen. In Israel selbst gibt es seitens einer starken Zivilgesellschaft und seitens eines Großteils der intellekuellen Elite des Landes eine nicht enden wollende Kritik an diesem Krieg, der auch das Leben der weiter in Geiselhaft befindlichen israelischen Bürger gefährdet. Wie kann man aus dieser Deadlock-Situation rauskommen?
Meinl-Reisinger: Angesichts der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen rufen wir alle Seiten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, um das Waffenstillstandsabkommen vollständig umzusetzen. Das wäre aus unserer Sicht auch das Beste für die Geiseln.
NU: Hatten Sie zu dieser – oder auch zu anderen Fragen bereits direkten, persönlichen Kontakt mit Ihrem israelischen Amtskollegen Gideon Sa’ar oder Ministerpräsident Benjamin Netanjahu?
Meinl-Reisinger: Anfang März hatte ich ein Telefonat mit Gideon Sa’ar, in dem wir die Lage im Nahen Osten besprochen haben. Es war mir wichtig, Minister Sa’ar mitzuteilen, dass die neue Regierung das österreichische Bekenntnis zur Sicherheit Israels aufrechterhalten wird. Wir waren uns einig, dass die Hamas künftig keine Gefahr mehr für Israel darstellen darf und dass alle verbleibenden Geiseln freigelassen werden müssen.
NU: Mit der Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes können seit fünf Jahren nun auch Nachkommen von vom NS-Regime verfolgten Menschen die österreichische Staatsbürgerschaft (wieder)erlangen. Viele davon leben in Israel, aber auch in den USA, in Kanada, in Großbritannien, etc. Hatten Sie schon Gelegenheit aus diesem Anlass an den entsprechenden österreichischen Botschaften österreichische Staatsbürgerschaften zu verleihen?
Meinl-Reisinger: Ich freue mich sehr darauf, bei nächster Gelegenheit die feierliche Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an einer österreichischen Botschaft persönlich vornehmen zu können. In der kurzen Zeit seit meinem Amtsantritt hat sich eine solche Gelegenheit leider noch nicht ergeben. Gleichzeitig weiß ich aber, dass die österreichischen Botschafterinnen und Botschafter in meinem Namen laufend eine große Zahl an Bescheiden an sogenannte „Wiederösterreicherinnen“ und „Wiederösterreicher“ übergeben. Seit 2020 wurden insgesamt über 48.000 Anzeigen nach dem angesprochenen § 58c des Staatsbürgerschaftsgesetzes im In- und Ausland gelegt, davon über 26.500 im Wege der österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland. Mittlerweile haben die österreichischen Botschaften und Generalkonsulate bereits über 30.000 österreichische Reisepässe für unsere neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger ausgestellt.
NU: Was die Menschen in Österreich, wie wohl überall in Europa, heute besonders sorgenvoll beschäftigt ist der Krieg Russland-Ukraine, die Krise der atlantischen Beziehungen und die Wiederaufrüstung Europas. Wie tragen Sie als Außenministerin diesen Sorgen der Menschen Rechnung?
Meinl-Reisinger: Die sicherheits- und wirtschaftspolitische Situation Europas ist zuletzt deutlich fragiler geworden. Da ist es unsere Aufgabe als Bundesregierung, jene Strukturen zu sichern und zu stärken, die Österreich und Europa sicherer und stärker machen. Als Außenministerin und als Mutter möchte ich, dass unsere Kinder in Frieden und Freiheit aufwachsen können.
Aus Termingründen musste das Interview schriftlich geführt werden.

Debatte im UN-Sicherheitsrat in New York teil. ©BMEIA/Michael Gruber