Die Situation an den US-Universitäten, betrachtet von einer jüdischen Studentin. Ein persönlicher Erfahrungsbericht.
Von Deborah Engelberg
Wenige Wochen vor dem Ende des Frühlingssemesters an den US-Universitäten brachen an der renommierten Elite-Uni Columbia Unruhen aus. Gruppen von Protestierenden errichteten Zelte auf dem Campus und stellten Transparente mit propalästinensischen, aber auch antisemitischen Slogans auf. Sie drohten, den Protest nur zu beenden, wenn Columbia ihre Verbindungen zu einer Drei-Milliarden-Dollar-Stiftung in Israel aufgibt. Nach einigen Tagen wurden die Proteste gewalttätig: Aktivisten schlugen Fenster und Türen ein, sie besetzten ein Universitätsgebäude, bis die Polizei dies auflöste.
Viele jüdische Studentinnen und Studenten verließen den Campus eilig, während jene, die blieben, sich unsicher fühlten und teils auch angegriffen wurden, wenn sie Kippot oder andere jüdische Symbole trugen, wie mir eine Columbia-Studentin berichtete. Zur gleichen Zeit entstand auch auf Harvard eine so genannte „liberated zone“ mit Zelten, die anfangs kleiner war als die auf Columbia, mit der Zeit aber wesentlich größer wurde und über zwei Wochen nicht geräumt wurde – gleichzeitig wurden die Abschlussfeiern abgesagt. In Harvard räumten die Aktivistinnen und Aktivisten das Camp, nachdem die Universitätsleitung auf die Forderungen – u.a. eine Ablehnung der Finanzierung der Universität durch israelische Firmen – eingegangen war. Die Proteste vor der Universität wurden allerdings wieder aufgenommen, da unklar war, ob die Suspendierungen der demonstrierenden Studentinnen und Studenten tatsächlich aufgehoben werden.
Ein Harvard-Student beschrieb das Gefühl der Isolation unter den jüdischen Studierenden und zweifelte daran, dass Protestzelte bald abgebaut werden. Er berichtete, wie Studenten täglich die amerikanische Flagge mit der palästinensischen austauschen. Wenig später wurden auch an der Universität Wien Protestzelte aufgestellt. Der Unterschied zu den Protesten in den USA liegt jedoch darin, dass die Universitätsverwaltung in Wien sich sofort gegen die Proteste ausgesprochen hatte, die dann innerhalb von 48 Stunden aufgelöst wurden. Auch hier waren es hauptsächlich Demonstrantinnen und Demonstranten, die nicht direkt mit der Universität verbunden sind. Es sollte hinterfragt werden, wer hinter diesen Aktionen steht, die sich in vielen Ländern ähneln. Vor allem muss auch unterstrichen werden, dass Katar zwischen sieben und dreizehn Milliarden US-Dollar in amerikanische Universitäten investiert hat und die Hamas nicht nur unterstützt, sondern auch ihren Anführern Unterschlupf bietet.
Unterdessen wurden meine sozialen Medien mit Videos von Freunden überflutet, die an verschiedenen Universitäten in den USA studieren, in denen sie mitteilen, wie sie Antisemitismus erlebten, wie sie schikaniert oder diskriminiert wurden, nur weil sie jüdisch sind. Es waren Posts der Hilflosigkeit, da die Universität ihre Hilferufe ignorierte und keine Unterstützung anbot. Freunde, die nach einem Hebräischkurs ihr Gebäude nicht verlassen konnten, da es von allen Seiten von Protestierenden blockiert wurde. Freunde, die nicht mehr zu ihren Klassen gehen konnten, weil die Protestierenden einen „ID-check“ einführten, bei der nur Studentinnen und Studenten durchgelassen wurden, die keine jüdischen Symbole als Accessoire trugen und keine jüdisch klingenden Namen auf ihren Studentenausweisen haben. Mehrere Studenten sagten ihren jüdischen Mitschülerinnen und Mitschülern, dass der Holocaust nichts Besonderes gewesen sei, Juden seien die Unterdrücker von „brown people“ und sollen zurück nach Polen – wo die schlimmsten Geschehnisse des Holocausts stattgefunden haben. In Boston wurde auch „Kill the Jews“ mehrmals gerufen. Mittlerweile verharmlosen die Medien diese Proteste, auch österreichische. Die Proteste sind nicht nur wegen ihres Ausmaßes, sondern besonders wegen ihrer Auswirkungen gefährlich.
In meinem letzten Artikel in der Chanukka-Ausgabe von NU habe ich unter anderem den Anstieg des Antisemitismus auf die „Woke-Ära“ zurückgeführt, die sich darauf konzentriert, die „am meisten unterdrückten Teile der Gesellschaft“ zu unterstützen. An manchen amerikanischen Universitäten ist es aufgrund der Woke-Ideologie untersagt, Ausdrücke wie „long time, no see“, „picnic“, oder „policeman“ zu verwenden, da diese Terminologie als beleidigend angesehen werden könnte. Der Aufruf zum Mord an Juden, wie er aus den zahlreichen „Intifada-Camps“ zu hören war, wird dagegen als „First amendment right“ bzw. das Recht auf freie Meinungsäußerung betrachtet. Zudem habe ich den impliziten Antisemitismus sowie den Konsum voreingenommener Medien thematisiert. Letzteres ist insbesondere an amerikanischen Universitäten virulent. Die protestierenden Studenten befinden sich in einer Echokammer ihrer eigenen Informationen. Durch soziale Medien können sie sich von allem abschotten, was nicht mit ihren eigenen Meinungen übereinstimmt, und sich entscheiden, sich nicht mit Menschen anderer Meinungen auseinanderzusetzen. Dadurch entsteht eine viel gefährlichere Situation, als sie in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Nun stellt sich die Frage, ob es überhaupt Ausnahmen von solchen Vorfällen an Universitäten gibt?
Eine Ausnahme ist an meiner Universität, der Brandeis University, festzustellen, wo schon im November von der Universitätsleitung deutlich gemacht wurde, dass der Ruf „From the river to the sea, Palestine will be free” und der Aufruf zu einer Intifada als Hassrede betrachtet und auf unserem Campus weder toleriert noch geduldet wird. Als Mitarbeiterin im Büro für bewerbende Studentinnen und Studenten (Admissions office) hörte ich im vergangenen Jahr oft in Gesprächen mit Studierenden anderer Universitäten, die Brandeis besichtigten, dass sie nach einer Hochschule suchten, an der sie sich als Juden sicher fühlen könnten. Für mich war also das Thema Antisemitismus an anderen Universitäten nichts Neues, aber nicht in diesem Ausmaß. Aufgrund der aufgeheizten und polarisierten Meinungen gegenüber Israel wurde auf Brandeis ein Tag der Universitätsklassen abgesagt, um zwischen den Studierenden und Lehrkräften einen produktiven Austausch zu ermöglichen und Gemeinsamkeiten zu erarbeiten. Diese Veranstaltungen umfassten Themen wie Achtsamkeit bei dem Konsum von Medien, Polarisierung, jegliche Formen von Diskriminierung, wie man politische Diskussionen führt, und Teile der Geschichte Israels.
Während meine Freunde an verschiedenen Universitäten voller Angst nicht mehr in ihre Klassen gehen wollten (und teils nicht konnten, da sie von Menschenketten davon abgehalten wurden), hatte ich das Glück, offen mit meinen Mitstudentinnen und -studenten über den Konflikt sprechen zu können, auch wenn wir uns nicht einig waren.
Es fühlt sich alles ein wenig paradox an. Als jüdisch-österreichische Studentin in Amerika fand ich mich in einer seltsamen Lage wieder. Ich fühle mich in Österreich, wo die Geschichte meiner Familie von Verfolgung und Diskriminierung gezeichnet ist, sicherer als jüdische Studenten in den Vereinigten Staaten. Die Behandlung der jüdischen Gemeinde an den amerikanischen Hochschulen gefährdet deren Zukunft als weltweit führende Universitäten. Meiner Meinung nach ist der Weg, dies zu stoppen, dass die Eltern, Pädagogen und Interessenvertreter den zivilen Diskurs vorantreiben, indem sie junge Menschen darauf hinweisen, wie notwendig es ist, aus ihrer politischen Komfortzone auszubrechen. Es wäre auch notwendig, die Quellen der Finanzierung, die in die Hochschulbildung fließen, streng zu überwachen, denn Antisemitismus darf nicht Normalität an den US-Hochschulen bleiben.