Um 1900 prägten jüdische Kunstsammlerinnen und Kunstsammler das kulturelle Leben Wiens entscheidend. Viele von ihnen nutzten ihren internationalen Blick und ihr Mäzenatentum, um neue Strömungen der Moderne zu fördern.
Von Simon Mraz
Sie sammelten Werke von Gustav Klimt, Egon Schiele oder Oskar Kokoschka, unterstützten die Wiener Secession und ermöglichten avantgardistischen Künstlern wirtschaftliche wie gesellschaftliche Anerkennung. Die jüdischen Sammlerinnen und Sammler trugen dazu bei, Wien zu einem Zentrum der europäischen Moderne zu machen, in dem Innovation, kosmopolitischer Geist und künstlerische Freiheit auf einzigartige Weise zusammenfanden. Tragischerweise wurde dieses blühende Mäzenatentum durch die NS-Verfolgung ab 1938 zerstört.
Einige der wichtigsten seien an dieser Stelle genannt:
• August und Serena Lederer – enge Förderer Gustav Klimts.
• Adele und Ferdinand Bloch-Bauer – berühmt für die Porträts, die Klimt von Adele malte, darunter das ikonische Goldene Adele.
• Viktor und Paula Zuckerkandl – Betreiber des mondänen Sanatoriums Purkersdorf, Treffpunkt der Wiener Avantgarde, Sammler von Klimt, Josef Hoffmann u.a.
• Sonja Knips – frühe Förderin Klimts, selbst verewigt in einem seiner Schlüsselwerke (Porträt Sonja Knips, 1898).
• Karl Wittgenstein (Vater von Ludwig Wittgenstein, teils jüdischer Herkunft) – einflussreicher Industrieller, Sammler und Förderer zeitgenössischer Kunst.
• Moritz Gallia – bedeutender Unterstützer moderner österreichischer Malerei, u.a. Egon Schiele und Oskar Kokoschka.
Und es waren noch viele mehr. Menschen die einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Moderne insgesamt und zum kulturellen Leben Wiens und Österreichs leisteten. In der verbrecherischen Zeit des Nationalsozialismus mussten sie flüchten, wurden in ihrem Heimatland enteignet, viele von ihnen wurden ermordet.
Wir nehmen 80 Jahre Kriegsende zum Anlass, jüdische Kunstsammlerinnen und Kunstsammler des heutigen Wien vorzustellen. Wie reihen sich diese engagierten Persönlichkeiten in die Tradition der selbstbewussten Geschichte ihrer Vorgänger ein, oder tun sie es überhaupt? Warum sammeln sie Kunst, was ist ihr Antrieb? Und für welche Kunst begeistern sie sich? Diese Fragen haben wir einigen der interessantesten Persönlichkeiten in diesem Feld gestellt.
Eduard Pomeranz
Foreigners Everywhere ist eine Wortprägung der Künstlergruppe Claire Fontaine. Unter diesem Motto zeigte Eduard Pomeranz 2012 seine Sammlung zeitgenössischer Kunst im Jüdischen Museum Wien. Fremde ist eine Grundbefindlichkeit jüdischer Menschen, die in der Welt zerstreut leben – mit der Ausnahme jener jungen Generation, die im Staat Israel ihre Heimat haben und dort aufgewachsen sind. Diese Fremde ist dabei nicht mit der Loyalität als Staatsbürger eines bestimmten Landes zu verwechseln. Pomeranz zitiert dabei seine Großmutter: „Juden fühlen sich wohl auf Reisen“. Es ist das Spannungsfeld zwischen dem Wissen um die eigenen Wurzeln, dem persönlichen Fundament – und zugleich der Offenheit zur Welt hin: liberal, global. Diese Anschauungen liegen der Sammlung Pomeranz zugrunde, und nicht nur ihr, sondern auch jüdischen Sammlerinnen und Sammlern in der Geschichte. Sie treffen jedenfalls auf die großen jüdischen Kunstsammlungen und -salons in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu. Damals hoben sich vor allem jüdische Mäzene von der vorherrschenden, meist erheblich konservativeren Kunst sammelnden Aristokratie und Bourgeoisie ab. Heute spricht Eduard Pomeranz eine gewisse Eintönigkeit an, die sich über Geographien, aber auch über Kunstschaffen, Künstlerinnen und Künstler sowie Sammlerinnen und Sammler ausbreitet. Aber es gibt eine Szene jüdischer Sammler auch heute und auch in Wien. „Wir müssen mehr leisten!“ – „Warum?“ mag so mancher fragen: „Weiß ich nicht warum“, antwortet Eduard Pomeranz, „aber wir sollten mehr leisten. Ich möchte wieder anschließen, vor allem in Wien, und auch als Vorbild dienen, für jüdische und nicht jüdische junge Sammler“.
In der Sammlung Eduard Pomeranz befinden sich Arbeiten unter anderen von: Marina Abramovic & Ulay, Joseph Beuys, Valie Export, Claire Fontaine, Sigalit Landau und Franz West.
Benjamin Ruschin
„Jüdische Sammlerinnen und Sammler neigen auch heute dazu, mutige Positionen zu vertreten – sowohl in der Auswahl der Künstler als auch in der Unterstützung von Kunstformen, die nicht unbedingt massenkompatibel sind. Diese Haltung, dem eigenen ästhetischen und intellektuellen Kompass unabhängig von Mehrheitsmeinungen zu folgen, hat eine lange Tradition“, meint Benjamin Ruschin.
Ruschin hat sich unter anderem mit Daniel Kahnemans Prospect Theory beschäftigt. Ihr zufolge gibt es im menschlichen Leben einen gewissen Punkt, an dem man ein Plateau in Bezug auf das Glücksgefühl erreicht. Für Ruschin ist Kunst eine Möglichkeit, dieses Plateau zu durchbrechen. Für Kunst sensibilisiert haben ihn bereits seine Eltern, meint Benjamin Ruschin. Auch seine Frau spielt eine zentrale Rolle, die aus Israel stammende Opernsängerin Hila Fahima: „Durch sie habe ich eine weitere künstlerische Dimension kennengelernt – die Welt der Oper“. Kunst ist dem Sammler Ruschin nahe. Zu all seiner intensiven geschäftlichen Arbeit bildet sie eine wesentliche Ergänzung und einen gegensätzlichen Pol – abseits aller Termine, Organisation, Zahlen, die einen großen Teil seiner Zeit als Entwickler und Investor digitaler Geschäftsmodelle beanspruchen. So ist Benjamin Ruschin von Kunst umgeben, auch in seinem Büro: zwei großformatige Arbeiten von Hermann Nitsch, ein eindrucksvolles Gemälde von Hans Staudacher und Bilder jener Künstlerin, von der der Sammler besonders begeistert ist: Xenia Hausner. Überhaupt fokussiert Benjamin Ruschin auf österreichische Kunst. „Irgendwo muß ich ja anfangen“, meint er charmant.
In der Sammlung Benjamin Ruschin befinden sich Arbeiten unter anderen von: Herbert Brandl, Xenia Hausner, Nana Mandl, Hermann Nitsch, Arnulf Rainer und Hans Staudacher.
Natalie Strasser-Heissenberger
ist eine der führenden Recht-sanwält:innen im Bereich des Aufenthaltsrechts in Österreich, ist spezialisiert auf Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich und rechtliche Unterstützung bei Fragen der Immigration und Einbürgerung, und arbeitet in familienrechtlichen Belangen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist Natalie Strasser-Heissenberger Gründerin von Origins Austria (2021), einem gemeinnützigen Verein zur rechtlichen Unterstützung von Nachkommen von Opfern der NS-Verfolgung, die ihr Recht auf einen österreichischen Pass gemäß § 58c StbG geltend machen möchten. Und Natalie Strasser-Heissenberger liebt Kunst.
Geboren in Österreich, mit russischen und ukrainischen Wurzeln, hat ihre Familie viel Leid erfahren – sowohl durch die Verfolgung der Nazis als auch durch den Kommunismus in der Sowjetunion. „Als Erbin der dritten Generation nach der Shoah weiß ich, wie sehr diese unaufgearbeiteten Geschichten in uns weiterleben – nicht nur in Familien, sondern auch in der Gesellschaft. Kunst kann keine Wunden heilen, aber Räume für komplexe Geschichten schaffen, die plötzlich einen Platz finden. Vielleicht ist es deshalb die Kunst, die für mich ein Raum geworden ist, in dem ich mein gewisses unverwurzeltes ‚Weltmensch-Sein‘ leben kann“, erzählt Natalie Strasser-Heissenberger im Interview.
Die Geschichten von Sammlerinnen wie Adele Bloch-Bauer oder Serena Lederer sind für Natalie Strasser-Heissenberger nicht nur historische Referenzen – sie erinnern sie daran, wie sehr Kunst ein Ort von Zugehörigkeit und Identität sein konnte. Die Bedeutung dieser früheren Sammlerinnen und Sammler ging dabei weit über die Sammlungen selbst hinaus; sie standen gleichermaßen grundsätzlich für Austausch, für künstlerische Freiheit, für ein „sich finden“. „Sie sollen uns erinnern, welche Rolle Sammler spielen können, ihre Sammlungen haben die Gefühlswelt einer ganzen Generation aufgegriffen. Mein Sammeln ist nicht strategisch oder kalkuliert – es ist intuitiv. Ich reagiere auf Werke, die mich berühren.
Viele dieser Werke spiegeln für mich Facetten meiner eigenen Familiengeschichte, meines Seins, meiner Erinnerungen wider. Sie wecken Bilder aus meiner Kindheit – den Geruch, die Farben und Stoffe der Räume, in denen ich aufwuchs, oder die Haptik von Gegenständen, auch Gegenstände, die ich vererbt bekommen habe und die mir bis heute viel bedeuten. Ich fühle mich besonders Künstlern verbunden, die in ihrer Arbeit eine stille Aufarbeitung leisten – die fragmentierte Biografien, zerrissene Lebensgeschichten und das Schweigen zwischen den Generationen sichtbar machen oder einen satirischen Blick auf Situationen haben“, führt Natalie Strasser-Heissenberger aus und schafft so eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart.
Natalie Strasser-Heissenberger hat einen internationalen Blick auf Kunst, besonders gerne sammelt und unterstützt sie Künstler der jungen Generation, und jene, die aus Ländern kommen, in denen die künstlerische Freiheit nicht immer selbstverständlich ist: „Als Jüdin in Wien Kunst zu sammeln ist nie frei von Geschichte. Es gibt ein Bewusstsein dafür, was war – und die Frage: Was kann heute wieder wachsen? Vor allem aber ist es für mich die Möglichkeit, junge Künstler zu unterstützen, ihnen Räume für Austausch und Freiheit zu eröffnen – für ein Schaffen, das mutig ist und uns berührt“.
In der Sammlung Natalie Strasser-Heissenberger befinden sich Arbeiten unter anderen von: Mamma Andersson, Per Dybvig, Martha Jungwirth, Danylo Kovach, Levan Songulashvili und Zula Tuvshinbat.


