Seit ihrem Bestehen bewegt sich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) zwischen der Last ihrer Gründer, mit teilweise nationalsozialistischer Vergangenheit und dem Anspruch, als etablierte politische Kraft Staatsverantwortung zu tragen.
Von Mark E. Napadenski
Trotz Historikerkommission und offizieller Distanzierungen kommt es immer wieder zu Vorfällen mit antisemitischem Hintergrund. Zudem gibt es weiterhin enge Verflechtungen mit deutschnationalen Burschenschaften und rechtsextremistischen Netzwerken. Gleichzeitig vollzieht sich auf internationaler Ebene aber eine bemerkenswerte Entwicklung: Die EU-Fraktion „Patrioten für Europa“, zu der auch die FPÖ gehört, sucht die Annäherung an Israels Likud-Partei. Das wirft Fragen auf – nicht nur für jüdische Organisationen, sondern für den gesamten (erinnerungs-)politischen Diskurs in Europa.
In der Frage des allgemeinen politischen Umgangs in Österreich hat sich eine gewisse Pragmatik etabliert. Einen Cordon Sanitaire nach rechts gibt es nicht. Die politische Zusammenarbeit mit der FPÖ ist längst keine Frage der Prinzipien mehr, sondern der realen Mehrheitsverhältnisse. Unter Bruno Kreisky begann zuerst die SPÖ eine Zusammenarbeit mit der FPÖ, die dann in den 1980er Jahren in eine Regierungskoalition mündete. Von 2000 bis 2006 und dann wieder von 2017 bis 2019 regierte andererseits die ÖVP mit der FPÖ. Heute regieren die Freiheitlichen in fünf Bundesländern mit, und für die ÖVP ist eine Koalition auf Bundesebene nur an der Person des derzeitigen FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl gescheitert. Eine Koalition mit der FPÖ wäre daher nur eine Formalie, aber sicher kein Tabubruch. Betrachtet man die ideologische Nähe zwischen ÖVP und FPÖ, wirkt es aus heutiger Sicht fast befremdlich, dass die Koalitionsverhandlungen gescheitert sind. Jüdische Organisationen sehen darin aber weniger politischen Pragmatismus als eine schleichende Verschiebung gesellschaftlicher Grenzen. „70 Jahre nach ihrer Gründung lässt die FPÖ eine deutliche Abgrenzung von NS-Gedankengut vermissen“, stellt die Jüdische Österreichische Hochschüler:innenschaft (JÖH) klar. „Dabei ist nicht nur von nationalsozialistischen ‘Ausrutschern’ kleinerer FPÖ-Lokalpolitiker:innen die Rede, sondern von einer übergreifenden Parteilinie, die bis in die Parteispitze ragt.“
Die Liste an Skandalen ist tatsächlich lang. Zu lange, um sie hier vollständig zu listen. Eines der schlimmeren Beispiele: Im Jahr 2018 wurde ein Liederbuch der Burschenschaft Germania publik, das antisemitische Zeilen enthielt: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“ Der FPÖ-Spitzenpolitiker Udo Landbauer, Mitglied dieser Verbindung, trat zunächst auf Druck des ÖVP-Koalitionspartners von seinen politischen Funktionen zurück und verließ auch die Germania. Nach Einstellung der Ermittlungen wegen eines möglichen Verstoßes gegen das „Verbotsgesetz“, kehrte Landbauer jedoch in eine führende Funktion in der FPÖ Niederösterreich zurück. Vier Jahre später wurde er in Niederösterreich zum Landeshauptfrau-Stellvertreter in einer Koalition mit der ÖVP.
Auch Walter Rosenkranz, ebenfalls Burschenschafter, sorgte für Proteste, als er 2024 zum ersten Nationalratspräsidenten gewählt wurde. Seine Mitgliedschaft bei der Burschenschaft Libertas und frühere Aussagen zur „differenzierten Geschichtsbetrachtung“ stießen auf große Ablehnung außerhalb des Parlaments. Die Israelitische Kultusgemeinde kündigte an, an Sitzungen des Nationalfonds für NS-Opfer nur teilzunehmen, wenn diese nicht von Rosenkranz geleitet werden. „Es sei unmöglich, mit so einer Person gemeinsam der Opfer zu gedenken“, so Oskar Deutsch, Präsident der IKG. Und auch Andreas Kranebitter vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) sieht hier eine grundlegende Gefahr: „Gedenken ist keine Floskel, keine lästige Übung, sondern ein Akt der Empathie, der Erinnerung, der Ehrung und der Mahnung. Institutionen, denen Gedenken ein echtes Anliegen ist, tragen die Verantwortung, sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Die Namen unserer Institutionen dürfen jenen, die aus Kalkül und Opportunismus gedenken wollen, nicht zur Weißwaschung dienen.“
Politische Inszenierung statt ehrlicher Erinnerung?
Während die FPÖ auf nationaler Ebene also immer wieder mit Kritik an ihrer ideologischen Verankerung und historischen Verstrickung konfrontiert ist, setzt sie auf internationaler Bühne auf gezielte Annäherungsversuche an Israel. Damit soll nicht nur die eigene politische Isolation durchbrochen, sondern das Image einer modernen, pro-israelischen Rechtspartei kultiviert werden. Doch auch diese Bemühungen endeten wiederholt im Eklat.
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel lieferte 2010 der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache mit seinem Besuch in Yad Vashem. Offiziell wollte er die internationale Akzeptanz seiner Partei stärken und ihre Distanzierung von antisemitischen Tendenzen demonstrieren. Doch sein Auftritt in der Holocaust-Gedenkstätte bewirkte genau das Gegenteil. Strache trug ein sogenanntes „Biertönnchen“, die Kappe seiner Burschenschaft Vandalia – ein unübersehbares deutschnationales Symbol. In einer Gedenkstätte, die an die Ermordung von sechs Millionen Juden erinnert, wirkte diese Geste nicht wie ein Zeichen der Versöhnung, sondern wie ein Affront. Der damalige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant meinte dazu, es wäre ihm angesichts dieser Bilder „kotzübel“ geworden.
Trotz der Verfehlungen blieb der Wunsch nach Annäherung aber bestehen – und nun scheint sich das Blatt tatsächlich zu wenden. Im Februar 2025 trat die Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu als Beobachter der EU-Fraktion „Patrioten für Europa“ bei, der auch die FPÖ angehört. FPÖ-EU-Abgeordneter Harald Vilimsky sprach von einem Paradigmenwechsel und betonte die wachsende internationale Akzeptanz seiner Partei. Gleichzeitig verwies er auf eine bemerkenswerte Diskrepanz. Während die IKG sowie die jüdischen Dachverbände Deutschlands, und der Schweiz, in einem gemeinsamen Abkommen jede Zusammenarbeit mit Parteien wie der FPÖ oder der AfD kategorisch ausschließen, scheint die israelische Regierung inzwischen einen anderen Kurs zu verfolgen. Vilimsky stilisierte seine Partei gar als „Schutzmacht der judeo-christlichen Kultur“ – eine Formulierung, die angesichts der Vergangenheit und der personellen Netzwerke irritierend wirkt.
Parallel dazu intensivieren sich die Beziehungen zwischen Israel und Ungarn. Premierminister Viktor Orbán, dessen Partei Fidesz ebenfalls zur Rechtsaußen-Fraktion im EU-Parlament gehört, pflegt seit Jahren enge Kontakte zu Netanjahu. Im November 2024 lud er ihn sogar zu einem Staatsbesuch nach Ungarn ein – ein demonstrativer Akt der Unterstützung, nachdem der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Netanjahu wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gaza-Konflikt erlassen hatte. Orbán erklärte den Haftbefehl für inakzeptabel und versicherte Netanjahu, dass er in Ungarn sicher sei. Diese Entwicklungen deuten auf eine geopolitische Neuausrichtung hin. Somit stehen sich zwei völlig unterschiedliche Doktrinen gegenüber – eine ideologisch begründete Ablehnung in Europa und ein strategischer Pragmatismus in Israel. Ob dieser Widerspruch langfristig zu einem Spannungsverhältnis zwischen Israel und jüdischen Organisationen in Europa führt, bleibt abzuwarten. Aber eines lässt sich bereits sagen – was einst eine moralische Verpflichtung war, ist längst eine strategische Variable geworden.
Antisemitismus als politischer Spielball?
Ein bislang wenig beachteter Aspekt dieser Entwicklung ist die Frage, welche langfristigen Auswirkungen diese Annäherungen auf den erinnerungspolitischen Diskurs haben könnten. Dass sich Israel in der Frage der Kooperation über die Köpfe der lokalen jüdischen Organisationen hinwegsetzt, ist neu. Und genau hier liegt eine potenzielle Gefahr: Wenn der Kampf gegen Antisemitismus nicht mehr nach universellen Maßstäben geführt wird, sondern sich zunehmend an politischer Zweckmäßigkeit orientiert, könnten grundlegende Prinzipien ins Wanken geraten. Denn was bedeutet es für Israels internationale Glaubwürdigkeit, wenn womöglich rechte Parteien, die sich als pro-israelisch inszenieren, als akzeptable Partner gelten, während zunehmend linke Gruppierungen, die Israels Politik kritisieren aber ein antifaschistisches Bollwerk in Europa bilden, grundsätzlich als Feinde betrachtet werden? Eine solche selektive Haltung könnte nicht nur den Kampf gegen Antisemitismus insgesamt schwächen, sondern auch jenen politischen Kräften in die Hände spielen, die behaupten, dass die Definition von Antisemitismus zunehmend instrumentalisiert wird. Es ist somit eine Frage der Glaubwürdigkeit, hier eine kohärente Position zwischen der Diaspora und Israel zu finden.
Die eigentliche Frage ist daher nicht, ob die FPÖ durch ihre geopolitische Positionierung rehabilitiert wird, sondern ob die Definition von Antisemitismus selbst zum politischen Spielball gemacht wird – und welche Folgen das für den gesamten erinnerungspolitischen Diskurs haben könnte.