Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

Marcel Prawy s. A. (1911-2003)

Marcell Horace Frydmann Ritter von Prawy* war ein Liebender. Er hat nicht nur seine Musik, sondern auch sein Publikum geliebt. Und diese Liebe war ansteckend. Unzähligen Menschen hat er Musik und Musikgeschichte nahe gebracht und sie für deren Schönheit empfänglich gemacht. Immer wieder konnte man bei seinen Einführungsmatineen, Vorträgen, Büchern und Fernsehsendungen sehen, wie seine glühende Leidenschaft für die Kunst sich auf wundersame Weise auf sein Publikum übertragen hat. Sein breites und profundes Wissen alleine hätte aber seine Faszination nicht erklären können. Es war die Mischung aus Begeisterungsfähigkeit und Authentizität, die den berühmten Funken überspringen ließ. Vor allem war er ein absolut glaubwürdiger Zeitzeuge. Immer wenn er in der Öffentlichkeit über seine Emigrationsjahre, das tragische Schicksal seiner Angehörigen und Künstlerfreunde sprach, betonte er auch die tiefe Verbundenheit mit seinem Judentum. Weniger bekannt ist, dass er sich seit Jahren unermüdlich, doch leider erfolglos für die Restitution seines Familienvermögens eingesetzt hat. Unmittelbar nachdem bekannt wurde, dass Marcel Prawy in einem Ehrengrab der Stadt Wien bestattet werden sollte, intervenierte die Kultusgemeinde bei den zuständigen Behörden, diese Entscheidung wieder rückgängig zu machen. In einem Telegramm an Bürgermeister Dr. Michael Häupl appellierte sowohl der Präsident als auch der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde:„… Marcel Prawy… – nicht nur prominenter Sohn unserer Stadt, sondern auch Mitglied unserer Gemeinde…“ – ein Ehrengrab auf dem jüdischen Friedhof zu widmen. Nun muss man wissen, dass Ehrengräber lediglich in einem speziell dafür vorgesehenen interkonfessionellen Teil des Zentralfriedhofs liegen. In anderen Teilen des Zentralfriedhofs – also auch auf dem jüdischen Friedhof – können lediglich „ehrenhalber gewidmete Gräber“ vergeben werden.

Der Bürgermeister und auch Freunde des Verstorbenen entschieden sich jedoch für ein Ehrengrab in dem interkonfessionellen Teil. Und so kam es, wie es kommen musste. Von diesem Zeitpunkt an schaltete nämlich unsere Kultusgemeinde auf stur. Weder ein Rabbiner noch ein offizieller Vertreter der Kultusgemeinde hat an der Verabschiedung dieses großen Mannes teilgenommen. Prominente jüdische Persönlichkeiten, die der Welt Großes hinterlassen haben, sind jetzt Grabnachbarn von Marcel Prawy. Zum Beispiel: Karl Farkas, Alfred Grünfeld, Friedrich Hacker, Eduard Hanslick, Fritz Hochwälder, Emmerich Kálmán, Karl Kraus, Bruno Kreisky, Hermann Leopoldi, Ernst Lothar, Siegfried Marcus, Hans Weigel,Franz Werfel und Hugo Wiener. Sie alle haben in Ehrengräbern der Stadt Wien ihre letzte Ruhe gefunden.

Meines Wissens nach gibt es laut unserer Halacha die Möglichkeit – unter gewissen Voraussetzungen – auch auf einem nichtjüdischen Teil eines Friedhofs ein jüdisches Begräbnis abzuhalten. Und selbst wenn es in diesem Fall nicht möglich gewesen sein sollte, wäre es doch eine Verpflichtung für den Präsidenten oder einen Rabbiner gewesen, die Grabrede zu halten oder zumindest mit ihrer Anwesenheit Marcel Prawy die letzte Ehre zu erweisen. Die versammelte Trauergemeinde soll dem Vernehmen nach alle möglichen Theorien entwickelt und Spekulationen angestellt haben, welche Gründe diese Missachtung haben möge. Es ist nämlich bekannt, dass immer wieder offizielle Vertreter der Kultusgemeinde sowie Rabbiner an Begräbnissen von Nichtjuden teilnehmen. Mitunter werden von ihnen auch Reden zur Würdigung der Verdienste der Verstorbenen gehalten.

Und so stellt sich nunmehr die Frage: Wäre Marcel Prawy diese Ehre und Würdigung seines Schaffens eher zuteil geworden, wäre er kein Jude gewesen? Und so kam es, dass einer der populärsten jüdischen Sympathieträger dieses Landes, der Kraft seines Lebenswerkes wahrscheinlich mehr gegen den Antisemitismus bewirkt hat, als viele andere mit Vorträgen und Leitartikeln bewirken, von einem Priester verabschiedet wurde. Kardinal Franz König rezitierte einen Psalm von König David und beendete seine Grabrede schlussendlich mit einem „Schalom“.

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