Wo Toleranz anfängt und wo sie endet, darüber lässt sich trefflich streiten. Aber wäre das dann intolerant? Keine simplen Fragen, die sich Ronni Sinai und Nathan Spasić in aller Freundschaft an den Kopf werfen.
Nathan: Ronni, mich ärgert das schon mit diesem ganzen Identity-Geschwafel.
Ronni: Na, da schau her, was ist denn mit dir? A junger Mensch wie du so intolerant?
Nathan: Intolerant? Ich weiß nur nicht, wann der öffentliche Diskurs so monothematisch geworden ist. Von links, von rechts – immer nur das eine Thema!
Ronni: Das war Spaß. Ich bin auch kein Freund des Ganzen, aber es ist es ein guter Stein des Anstoßes! Was verstehst denn du eigentlich unter Toleranz?
Nathan: Jeden so leben zu lassen, wie sie oder er es möchte. Doch leider besteht die Welt nicht nur aus friedliebenden Hippies wie uns beiden. Die Friedenspfeife sollten wir daher nicht mit den Intoleranten teilen, denn sonst geht die Toleranz flöten. Wie siehst du das?
Ronni: Jeden so leben lassen, wie sie oder er es möchte? Netter Gedanke, frage mich allerdings, wohin das führen soll. Möchte ein Neonazi so leben, wie er lebt? Und schon sind wir mitten drin in der Debatte über so manche Einwanderer aus anderen Kulturen, die sich nicht den Werten unserer Gesellschaft anpassen wollen. Stichwort Frauenbild. Wo fängt für dich Toleranz an und wo hört sie auf?
Nathan: Sie fängt mit der Wahrung von Menschenrechten und Grundfreiheiten an, die in einem Rechtsstaat auch für Intolerante gelten sollen. Doch finde ich, dass man die Intoleranz keineswegs dulden muss. Als Gesellschaft sollte man sogar verpflichtet sein, es nicht zu tun. Gegenfrage: Wie soll man mit Menschen, die sich den Werten unserer Gesellschaft nicht anpassen wollen, umgehen?
Ronni: Wegsperren, alle wegsperren, die Schmocks! Obwohl: Die Frage ist, wer legt denn die Werte fest? Wer repräsentiert unsere Gesellschaft? Das sollte in einer Demokratie wohl der gewählte Nationalrat sein. Und da kommt der Populismus ins Spiel. Populismus ist Toleranz der Intoleranz. Findet etwa Herr Orbán tatsächlich eine Mehrheit für sein Denken in seinem Land? Manipulieren rechte Autokraten wie er die Gesellschaft oder sind sie nur ein Spiegelbild einer intoleranten Gesellschaft? Was meinst du – Henne oder Ei?
Nathan: Eindeutig das Ei! Ich denke, dass unsere Gesellschaft grundsätzlich intolerant ist und es immer schon war. Rechtspopulisten machen ein gutes Geschäft, denn wir sind käuflich und halten zu denen, die uns versprechen, unsere ohnehin prallen Wampen zu mästen. Und dagegen ist leider noch kein Kraut gewachsen. Vielleicht bin ich Pessimist, doch ich bin davon überzeugt, dass auch die scheinbar Toleranten im Kern intolerant sind.
Ronni: So ist es, mein Freund. Sicher hast du meinen Beitrag gründlich gelesen – hast du doch, oder?
Nathan: Also, bis jetzt noch nicht. Warte mal, ich lese schnell. Wo? Ah ja, ok.
Ronni: Geht doch. So schaut es jedenfalls mit meiner Toleranz aus.
Nathan: Ein spannender Kommentar, aber ist es nicht ein düsterer Ausblick? Hat dich die Pandemie intoleranter gemacht? Bitte schmus’ jedenfalls nicht mit Herbert Kickl im Bett. Und auch sonst nirgends.
Ronni: Ich weiß nicht, ob es die Pandemie ist, die muss eh schon für alles Böse im Menschen herhalten. Ich habe mich jedenfalls von einigen Freunden und deren Geschwurbel über Bill Gates und Chips-Implantate distanziert, das hat schon wehgetan. Die drehen das ja um und meinen, ich wäre ihnen gegenüber intolerant. Wie sieht es mit deiner Akzeptanz der Impfverweigerer aus?
Nathan: Wer die Existenz des Virus leugnet oder gar „böse Mächte“ als dessen Verursacher vermutet, dem ist nicht zu helfen. Denn es geht dabei um medizinische Fakten. Ich finde es allerdings tolerierbar, dass manche eine andere Position zu den Maßnahmen der Regierung einnehmen. Das muss eine Demokratie aushalten können.
Ronni: Ich bin scheinbar überhaupt ein Exot, weil ich oft Politiker verteidige. Wenn ich mich tolerant gegenüber so mancher Aussage – oder Nichtaussage – von Kanzler oder Finanzminister äußere, werde ich gleich zum türkisen Familienangehörigen abgestempelt und löse mitunter einen Shitstorm aus …
Nathan: Dann wechseln wir besser das Thema. Einen Shitstorm möchte ich nicht entfachen, aber den bekommen die Türkisen auch ohne dich.
Ronni: Nu, die Toleranz ist wohl nicht grenzenlos.