Leon Zelman (1928–2007), Begründer des Jewish Welcome Service (JWS), hat für die österreichischen Jüdinnen und Juden Unschätzbares geleistet. Die von ihm gegründete Zeitschrift „Das Jüdische Echo“ feiert heuer ihr 70-jähriges, das JWS sein 40-jähriges Jubiläum. Zwei Publikationen würdigen den großen polnisch-österreichischen Humanisten.
Von Gregor Auenhammer
„In Österreich besteht heute ein breiter Konsens, sich jedem menschenverachtenden oder antisemitischen Gedankengut vehement entgegen zu stellen“, schreibt Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Vorwort der Festschrift zum 40-jährigen Bestehen des Jewish Welcome Service. „Wir müssen uns aber auch der Vergangenheit unseres Landes weiterhin stellen und dürfen das unermessliche Leid, das verursacht wurde, niemals vergessen.“
Der Jewish Welcome Service Vienna wurde 1980 von Leon Zelman und der Gemeinde Wien gegründet. Seitdem wurden einige Tausend ehemals aus Österreich vertriebene Jüdinnen und Juden zu einem Besuch hier eingeladen. Diese Besuche sind mittlerweile nicht nur eine wichtige Tradition, sie rücken auch persönliche Geschichten ins Zentrum der kollektiven Wahrnehmung, wie etwa jene von Henry Weil: 1939 gelang dem damals Vierjährigen mit den Eltern in letzter Minute die Flucht in die USA. Die meisten Mitglieder seiner Familie aber wurden in Konzentrationslagern ermordet. Als Weil Mitte der 1970er Jahre auf Drängen seiner Ehefrau nach Wien reiste, begegnete er einer Frau, die sich freute, „etwas über die nette jüdische Familie zu erfahren, die mitten in der Nacht fortmusste“. Sie lud ihn in seine einstige Wohnung ein, wo nun ein ehemaliger Gestapo-Offizier wohnte, der „sich freute“, ihn zu sehen, wie sich Weil erinnert. „Ich dachte, das ist alles nicht wahr.“ Weil, der heute in den USA lebt und 2018 auf Einladung des JWS in Wien war, richtet seine Botschaft vor allem an jüngere Menschen: „Ich habe gelernt, nicht zu hassen, sondern zu vergeben. Aber ich kann nicht vergessen.“
Die bedeutendste Aufgabe des Jewish Welcome Service ist die Organisation und Durchführung eines Besuchsprogramms für Opfer der Shoah sowie deren Nachkommen. Folgten in den ersten beiden Jahrzehnten vielfach noch Holocaust-Überlebende und Vertriebene der Einladung nach Wien, so sind es seit der Jahrtausendwende immer öfter deren Nachkommen der zweiten und dritten Generation. Zuletzt kamen vielfach auch Studiengruppen auf Einladung des JWS nach Wien, um das jüdische Leben der Stadt kennenzulernen. Oft sind Besuche mit Recherchen verbunden, Nachforschungen in Restitutionsfragen. Seit 1980 hat der JWS mehr als 4000 Gäste empfangen und unterstützt.
Allen gemeinsam ist die Suche nach Spuren aus der eigenen Vergangenheit, sei es, um die persönlichen Wurzeln aufzuspüren, oder um der Geschichte der Vorfahren zu begegnen. Vielen dieser Schicksale und Geschichten begegnet man in berührender Weise in der Publikation.
Vom Leben nach dem Überleben
„Es war unsere, aus dem Leiden, der Trauer, dem Verlust entstandene Überzeugung, uns niemals damit abzufinden, dass die physische Ausrottung des Judentums gleichzeitig auch eine geistige Liquidation bedeuten sollte. (…) Die kulturellen Errungenschaften des jüdischen Lebens, die diese Stadt, dieses Land so tief geprägt haben, dem Vergessen entreißen“, so Gründungsherausgeber Leon Zelman 1982 anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Zeitschrift Das Jüdische Echo. In Dankbarkeit und Demut verweist Zelman auf die konfessionsunabhängige Zusammenarbeit: „In all den vergangenen Jahren waren wir von dem Gedanken beseelt, eine Brücke von Mensch zu Mensch zu schlagen, frei von Hass und weit entfernt von irgendwelchen politischen Interessen.“
Der Titel der Zeitschrift sollte Programm, aber auch ein Aufschrei, eine ständige Mahnung sein, die düsteren historischen und politischen Ereignisse niemals zu verdrängen, die zum Holocaust geführt haben. Im Sinne eines „Niemals wieder“ und „Wider das Vergessen!“
Im August 1952 erschien die erste Ausgabe, herausgegeben von der Vereinigung jüdischer Hochschüler in Österreich und den jüdischen Akademikern Österreichs. In den 1950er Jahren kam die Zeitschrift monatlich heraus, ab dem Jahr 1960 jährlich. Intention bei der Gründung war, die jüdische Tradition zu ehren und zu hüten. „Vor allem aber auch die Freundschaft mit allen Nicht-Juden, die guten Willens sind, zu suchen und zu vertiefen. Im Lauf der Jahre ist uns dies Gott sei Dank auch gelungen“, so Zelman.
In den sieben Jahrzehnten seines Bestehens entwickelte sich Das Jüdische Echo zu einer der interessantesten jüdischen Kulturzeitschriften Europas und besticht vor allem durch die Vielfalt und Vielzahl ihrer jüdischen und nichtjüdischen in- und ausländischen Autoren. Die aktuelle Ausgabe bietet ein feines, ein sensibel ediertes Potpourri an Beiträgen über Geschichte, Gegenwart und Zukunft friedlich-respektvollen, toleranten Zusammenlebens ohne Vorurteile.
Susanne Trauneck, Paul Daniel (Hg.)
40 Years Jewish Welcome Service Vienna
Verlag des Jewish Welcome Service
Dt./engl., 80 S., als Download verfügbar
Evelyn Adunka, Erhard Stackl
Das Jüdische Echo
Vol. 69-70: Debatten und Träume
Falter Verlag, 152 S., EUR 19,90