Ben Becker im Gespräch über das Programm „Zweistimmig – Hommage an Paul Celan“.
VON EVA KONZETT
Der Koffer Lilli Taubers lässt Ben Becker nicht mehr los. Gerade hat er sich durch das Jüdische Museum in Wien führen lassen, ist tief bewegt. Und nun soll er sich den Journalisten stellen? Nicht hier im Museum, be- FOTO © ARNE MEISTER stimmt der Schauspieler und dirigiert die Truppe ins Café Hawelka. Bei Kaffee, Bier und Zigaretten schimpft, schluchzt und erzählt Ben Becker, schwarzgekleidet, goldberingt. Auf die Welt und von und über Paul Celan. Ihn wird er im Oktober gemeinsam mit dem Musiker Giora Feidman auf die Bühne bringen.
NU: Jeder glaubt, Paul Celan zu kennen. Die meisten kennen aber nur die „Todesfuge“ …
Ben Becker: … die ja Schulstoff ist. Und jeder kennt Celan nicht. Wenn Sie auf der Straße einen auf Celan ansprechen, dann wird der sagen: „Den kenn ich nicht.“ Ich kannte Celan auch nicht, so wie ich ihn heute kenne. Und ich behaupte auch heute nicht, ihn wirklich zu kennen. Aber ich habe mich auf die Suche begeben. Diese Suche öffentlich zu machen, den Leuten diese Suche vorzustellen, ist dieser Mensch, in der Art und Weise wie er sich künstlerisch geäußert hat, durchaus wert. Man könnte ja auch Harry Potter lesen.
Über dieses Thema werden schon akademische Schriften verfasst …
… bitte! (mit wienerischem Akzent)
Was haben Sie auf Ihrer Suche gefunden, und welchen Celan wollen Sie dem Publikum vorstellen?
Den Menschen in seiner Schönheit und Verletzlichkeit, in seiner Genauigkeit, was den Ausdruck angeht und in seiner Liebe. In seiner Feinfühligkeit, Differenziertheit und Sensibilität. Und wenn mir gelingt, das den Leuten mit auf den Weg zu geben, bin ich schon ganz glücklich.
Das Programm „Zweistimmig – Hommage an Paul Celan“ hat seinen offiziellen Tourauftakt in Hoyerswerda gefeiert. War das ein Zufall oder ein Symbol?
Das war ein Zufall. Aber wir haben durchaus bewusst wahrgenommen, wo wir da sind. Es gibt in Hoyerswerda auch Menschen, die kommen und sich das anschauen – man hat es in der Stadt nicht nur mit Hooligans zu tun. Aber wenn man sich umguckt, dann versteht man, warum dort so etwas passieren konnte. Es ist ein hartes Pflaster.
Sie haben in Deutschland auch das Gedicht „Wolfsbohne“ verlesen …
… ja, in der Türkei habe ich es noch nicht verlesen. Das Gedicht ist ja auf Deutsch verfasst.
Ich frage deshalb, weil Celan in „Wolfsbohne“ über seine Mutter schreibt: „Du, die du Wolfsbohne sagtest und nicht Lupine“. In diesem Bild verdichtet Celan die Verhaftung der Mutter in der deutschen Sprache, im damals multikulturellen rumänischen Czernowitz.
(Lässt sich den Text geben.) Es ist einfach ein wunderschönes Gedicht. Es gibt bestimmt Leute, die Doktorarbeiten darüber geschrieben haben. Aber da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Sicherlich habe ich Sekundärliteratur herangezogen, um Celan zu verstehen. Das braucht man auch. Ich habe sie aber wieder weggeschmissen, nachdem ich sie verinnerlicht hatte. Denn das Schöne an Celan ist seine Emotionalität und die collageartige Weise zu schreiben. Hier erinnert er mich manchmal an John Heartfield. Das sind einfach Bilder. (Beginnt zu lesen)
Leg den Riegel vor: Es sind Rosen im Haus. Es sind sieben Rosen im Haus. Es ist der Siebenleuchter im Haus. Unser Kind weiß es und schläft.
Weit, in Michailowka, in der Ukraine, wo sie mir Vater und Mutter erschlugen: was blühte dort, was blüht dort? Welche Blume, Mutter, tat dir dort weh mit ihrem Namen? Mutter, dir, die du Wolfsblume sagtest, nicht: Lupine…
„Unser Kind weiß es und schläft“, das heißt, dass eigentlich alles in Ordnung ist. Und dann kommt auf einmal alles durcheinander. Und alles geht kaputt. Und zum Schluss des Gedichts legt er den Riegel wieder vor. Trauriger geht’s einfach nicht (stockt) … Ich fange an zu weinen, wenn ich das lese.
Paul Celan bewegt …
… wenn man ihn versteht. Ich versuche das Verständnis für ihn zu wecken. Jemand von der Straße wird sagen: „Das interessiert mich nicht. Das reimt sich nicht.“ Ich glaube, es wenigstens emotional verstanden habe. Und dass ich die Geschichte, die Celan zu erzählen versucht, so rüberbringen kann, dass sie – toi toi toi – berührt.
Sie machen das Programm gemeinsam mit Giora Feidman. Das Programm heißt „Zweistimmig – Hommage an Paul Celan“. Wer begleitet wen?
Giora Feidman und ich begleiten Celan. Das ist mir wichtig. Der Giora und ich sind uns durchaus manchmal in die Haare gekommen. Ich nehme mich in dem Programm auch sehr zurück, spiele eigentlich das dritte Rad. Wenn sich einer von uns in den Vordergrund spielt und der Celan bleibt dabei hinten, dann haben wir meiner Meinung nach verloren.
Gibt es einen jüdischen Celan?
Was für eine blöde Frage. Die Shoa ist ja passiert. Man hat versucht, ein Volk zu vernichten. Warum, da können wir lange darüber reden. Man hat sechs Millionen Juden erschossen, erschlagen, ins Gas geschickt. Und einer der Überlebenden hat danach unglaubliche Schuldgefühle, eben weil er überlebt hat. Das ist ein ungeheurer Vorgang. Dieses Selbstzerstörerische und dieser Vorwurf „Ich habe überlebt!“, das hat Celan zum Schreiben gedrängt. Vielleicht hätte er ohne die Shoa etwas anderes geschrieben. Und wir müssen uns künstlerisch dazu äußern. Wir müssen uns künstlerisch mit der Scheiße auseinandersetzen, die wir bauen.
Welcher Text ist für Sie ein Schlüsseltext oder ein Lieblingsgedicht im Werk Celans?
Es ist ein Brief an seinen fünfjährigen Sohn. (Beginnt zu rezitieren.)
„Mein lieber Erich, hier schreibe ich Dir. Mit auf der Straße gefundener Taubenfeder. Was soll ich Dir sagen, wenn nicht dies: Ich liebe Dich von ganzem Herzen, mein lieber Sohn, der eines Tages auch meine Federn findet. Alles Liebe, Dein Papa.“
Ich fange das Programm auch mit einem Brief von Ingeborg Bachmann an Celan an. „Nicht abgeschickt“ steht da. Aber wahrscheinlich wird es so sein. Es kommen auch Briefe zwischen ihm und seiner Frau Gisèle Celan- Lestrange vor. Sie zeigen die harte Zeit in der Psychiatrie. Paul Celan hat ja einmal den wahnsinnigen Versuch gestartet, seine Familie umzubringen. In diesen Briefen wird die Liebe fühlbar und wie die Frau in seiner existenziellen Verletzlichkeit hinter ihm steht. Ich flechte diesen persönlichen Celan ins Programm ein, damit die Leute seiner Lyrik folgen können. Über die Schulpflichtlektüre Todesfuge hinaus.
Sie haben keine Angst vor den großen Stoffen, haben in einem früheren Programm die Bibel auf die Bühne gebracht. Was liegt bei Ihnen auf dem Nachtkästchen, das Alte oder das Neue Testament?
Das Alte.
Weil es die schöneren Geschichten sind?
Nein, weil ich das Neue schon kenne. Ich habe mich übrigens immer darüber aufgeregt, dass es im Flugzeug oder in der Deutschen Bahn – anders als im Hotel – keine Bibel gibt, die ich mir bei einem Absturz oder vor einem Zusammenstoß ans Herz drücken kann. Das habe ich nie verstanden.
Sie würden sich also in einer Notsituation die Bibel ans Herz drücken?
Ja, ich würde das tun. Und ich würde mir einen Whiskey bestellen.