Die deutsche Linkspartei sollte ihr Verhältnis zum Iran dringend klären. Sie ist auf dem besten Weg, zum Partner der Mullahs zu werden.
Ein Plädoyer von Matthias Küntzel
Der jüngste Iran-Bericht der Internationalen Atomagentur fällt alarmierend aus: In achtzehn Anhängen werden die militärischen Komponenten des Atomprogramms akribisch aufgelistet und die Einflussnahme der Militärs auf das Programm dokumentiert. Gleichzeitig beschimpfen die Machthaber in Teheran Israel als „schwarze dreckige Mikrobe“ und als „krebsartiges Gewächs“ und kündigen dessen Beseitigung in immer kürzeren Abständen an.
Australien und Kanada wollen Ahmadinejad wegen seiner genozidalen Aufrufe verklagen. Der UNSicherheitsrat hat drei Sanktionsbeschlüsse verabschiedet, um das Atomprogramm zu stoppen. Selbst die Bundeskanzlerin kündigte zum Verdruss von Siemens, Linde und RWE schärfere Sanktionen an.
Und die Linkspartei, die sich auf ihrem Cottbusser Parteitag als Vorkämpferin gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Atomenergie feierte? Treibt sie den Kampf gegen den iranischen Faschismus, Antisemitismus und Atomwahn voran? Nutzt sie, was bitter notwendig wäre, die Möglichkeiten einer parlamentarischen Opposition, um die Regierung hinsichtlich der Einlösung ihrer Sanktionsversprechungen vor sich herzujagen? Weit gefehlt. Die Linken erwecken den Eindruck, als hätten sie nichts Eiligeres zu tun, als das zu werden, was Chavez, Castro und Ortega in Latein- und Südamerika bereits sind: der wichtigste Partner des Mullah-Regimes in Berlin.
Schon im April 2006 wollte Fraktionsvorsitzender Lafontaine nach Teheran reisen, um mit Ahmadinejad zu konferieren – ein Unterfangen, das nicht die Linkspartei, sondern das Regime ins Leere laufen ließ. Damals hatte Ahmadinejad gerade seine erste Holocaust-Leugner-Kampagne in Form eines Karikaturenwettbewerbs lanciert. Es war aber nicht der Antisemitismus des iranischen Präsidenten, der Lafontaines Zorn erregte, sondern die „pharisäerhafte“ und „nicht haltbare“ Iran-Politik des Westens. Es sei zwar „bedrohlich, wenn auch der Iran sein Atomprogramm ausbaue“, räumte er ein. Frieden entstehe aber „nicht dadurch, dass man einem Land die Rechte verweigert, die man sich selbst nimmt“. Soll also ausgerechnet Teheran ein Recht auf Atomwaffentechnik haben?
„Durchaus!“, erklärt Norman Peach, der außenpolitische Sprecher, auf der Homepage der Fraktion Die Linken: „Was man Israel oder Pakistan gewährt hat, kann man dem Iran nicht verweigern.“ Der Westen solle seine Forderung nach einem Stopp der iranischen Urananreicherung aufgeben. Diese Logik ist famos: Ob die Führung eines Landes vom Märtyrerkult besessen ist oder nicht, ob sie einen anderen Staat erklärtermaßen auslöschen will oder nicht – all das scheint Peach egal zu sein. Nach dieser Gleichung hätte man die Atombombe, die Roosevelt Anfang 1945 besaß, einem Hitler „nicht verweigern“ dürfen.
Bis heute hat Die Linke im Bundestag noch jeden Versuch, das Mullah-Regime unter Druck zu setzen, bekämpft. Inzwischen nehmen selbst Teile der Friedensbewegung das islamistische Zentrum in Schutz. „Keine Sanktions- und Kriegsdrohungen gegen den Iran!“ – diese Losung prangte im Jargon der „Dritte-Welt-Bewegung“ auf dem Aufruf zum Hamburger Ostermarsch 2008. Sie hätte genau so gut „Atomwaffen für das Mullah-Regime!“ heißen können.
Und was ist mit der Tatsache, dass im Iran Frauen malträtiert, Schwule öffentlich aufgehängt, Bahais erschossen, Gewerkschafter gefoltert und „Sünder und Sünderinnen“ gesteinigt werden? Hören wir uns an, was die Autoren des Gesprächskreises „Frieden und Sicherheitspolitik“ der Rosa-Luxemburg- Stiftung in ihrem umfangreichen Iran-Dossier dazu sagen: „Am konsequentesten und unbeirrtesten“ fabulieren sie im schönsten Honecker-Deutsch, artikuliere die iranische Führung die „Ablehnung einer expansiven Transplantation des westlichen Wertemodells“. Ein Partner also im Widerstand? „Zum iranischen Entwicklungsweg“, heißt es weiter wörtlich, „sollte grundsätzlich eine Haltung bezogen werden, die als selbstverständlich anerkennt, dass Iran seinen selbstbestimmten, am Islam, der sozialen Spezifik und Werten seiner Gesellschaft orientierten Entwicklungsweg geht.“ Fatwa statt Fanta – na Bravo! Da staunt die iranische Opposition und der Marxist wundert sich.
Dieses von der Luxemburg-Stiftung im Oktober 2006 veröffentlichte Papier tut die iranische Holocaust-Leugnung und Vernichtungsankündigung gegen Israel mit kaum zwei Sätzen ab. Die Nonchalance gegenüber der Androhung eines neuen Genozids und die Ablehnung jeglicher Sanktionspolitik durch die Bundestagsfraktion machen deutlich, wie wenig die Katastrophe Auschwitz und der Vernichtungsantisemitismus der Nazis das Bewusstsein dieser Linken in Wirklichkeit tangiert. Sie zeugen darüber hinaus von einer ideologischen Panzerung wider die Realität, die ihresgleichen sucht. Offenkundig hat die eingeschliffene Gegnerschaft zu den USA und Israel die Fähigkeit zerstört, neue Formen des Antisemitismus und die Bedrohung Israel mit Massenvernichtungswaffen auch nur zu erkennen, geschweige denn dagegen anzugehen. Doch gilt auch heute das Wort von Georg Steiner, der 1940 den Nazis knapp entkam: „Die Menschen sind mitschuldig an allem, was sie gleichgültig lässt.“
Und die Zeitbombe tickt. Seit 1945 hat sich die Welt an die Vorstellung von Atomwaffen im Besitz von säkularen oder halb-säkularen Mächten gewöhnt. Im Iran sind wir mit etwas Neuem konfrontiert. Hier wird erstmals das Zerstörungspotenzial der Bombe mit dem Furor des erklärten Religionskriegs, mit Mahdi-Glaube und Märtyrerideologie, vereint. Es ist die Ankopplung an eine globale religiöse Mission, die das iranische Atomprogramm zur gegenwärtig größten Gefahr auf dem Globus macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine iranische Atombombe zum I. Weltkrieg des 21. Jahrhunderts führt, ist einfach zu groß, als dass man es darauf ankommen lassen dürfte.
Dennoch tauchte der Topos „Iranisches Atomprogramm“ auf dem Cottbusser Parteitag nicht auf. Um so dringender steht die Ausweitung der laufenden parteiinternen Israel-Debatte auf die Iranpolitik an. Wer ausgerechnet Ahmadinejads Iran vor Amerika zu schützen sucht – und zwar selbst dann, wenn es um den letzten Versuch einer friedlichen Lösung, um harte Sanktionen also geht –, bereitet eben jenem Szenario den Weg, das zu verhindern er sich auf die Fahne geschrieben hat: die militärische Konfrontation. Wenn Teheran nicht unverzüglich und massiv auch mit Sanktionen – unter Druck gesetzt und vor die Alternative gestellt wird, entweder seinen Atomkurs zu ändern oder verheerende ökonomische und politische Schäden zu erleiden, bleibt nur die Wahl zwischen einer schlechten Alternative – der militärischen Option – oder einer schrecklichen, der iranischen Bombe.
ZUR PERSON
Matthias Küntzel
(* 1955) ist deutscher Politologe und Journalist. Er ist Research Associate des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) der Hebräischen Universität Jerusalem. Er war Berater der Grünen und einer der führenden Funktionäre des Kommunistischen Bundes.