Dritter und letzter Teil der NU-Serie über Rabbiner in Wien: Diesmal besucht unser Autor die aschkenasischen, also aus Mittel- und Osteuropa stammenden Juden, die nicht streng orthodox sind, und ihre drei sehr unterschiedlichen Rabbiner: Paul Chaim Eisenberg, Joseph Pardess und Jacob Biderman.
Von Martin Engelberg (Text) und Peter Rigaud (Fotos)
Drei Rabbiner sind es, denen der letzte Teil der NU-Serie gewidmet ist. Die aschkenasischen – aus Mittel- und Osteuropa stammenden – Juden Wiens, die nicht streng orthodox, also nicht religiös praktizierend sind, machen ungefähr die Hälfte der 8.000 Wiener Juden aus. Für sie ist vor allem Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg zuständig. In der „Misrachi“ am Judenplatz betreut Rabbiner Joseph Pardess eine Bethausgemeinde von Aschkenasim, die eine Mischung aus teils sehr frommen, teils aber auch sehr modern lebenden Juden ist. Schließlich ist da noch Rabbiner Jacob Biderman von den Lubawitschern, der ursprünglich – Anfang der achtziger Jahre – nach Wien gesandt wurde, um die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion zu betreuen. Die Lubawitscher in Wien haben aber unter der Leitung von Biderman inzwischen ihr Wirken auf die gesamte Gemeinde und damit auch auf die Aschkenasim ausgedehnt.
Der Mann, der „Du, Herr Oberrabbiner“ gerufen wird Paul Chaim Eisenberg ist tatsächlich Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und des Bundesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs. Da es in Österreich immer nur eine jüdische Gemeinde pro Bundesland gibt, sogenannte Einheitsgemeinden, ist Eisenberg Oberrabbiner aller Juden Österreichs. „Innerhalb unserer Kultusgemeinde gibt es dann Kleingemeinden, die sich nicht von uns abgetrennt haben, wie in manchen anderen Ländern. Jede dieser kleinen Gruppen kann ihren Rabbiner auch Oberrabbiner nennen“, erklärt Eisenberg und fügt schmunzelnd hinzu: „Aber keiner dieser Oberrabbiner macht mir meinen Posten streitig“. Fragt sich, was dann eigentlich die Aufgaben des Oberrabbiners sind. Das Wahrnehmen von öffentlichen Auftritten etwa. Er spricht im Fernsehen, und wenn der Papst nach Wien kommt, dann gehen der Oberrabbiner und der Präsident der Kultusgemeinde hin. „Als Rabbiner habe ich jedoch keine Vorrechte gegenüber den anderen Rabbinern. Hochzeiten zum Beispiel macht jener Rabbiner, den sich das Paar aussucht. Auch Begräbnisse macht jeder Rabbiner“, sagt Eisenberg. Nachsatz: „Es bleibt aber dann doch ein Großteil an mir hängen.“
„Herr Oberrabbiner, wie geht es dir?“, so wie früher die k.u.k. Offiziere einander begrüßten, so sprechen ihn die meisten seiner Mitglieder an, die ihn auch zumeist von Kind auf kennen. Mit fast allen per Du zu sein, ist aber kein Problem für „Pauli“, wie er dann auch noch oft genannt wird. „Ich finde es liebevoll. Also ich halte es eher als einen Ausdruck dafür, dass mich alle lieben“, sagt Eisenberg. Auch für seine sehr lockere Art – zu allem fällt ihm immer auch ein Witz ein, für die Möglichkeit, mit ihm „Schmäh zu führen“, wird er sehr geschätzt.
Als Sohn des vor ihm amtierenden Oberrabbiners Akiba Eisenberg im Jahr 1950 in Wien geboren, beschritt Paul Chaim zuerst einen ganz normalen Bildungsweg, maturierte am Akademischen Gymnasium und begann Mathematik zu studieren. In der religiösen Jugendorganisation „B’nai Akiba“ war er sehr aktiv, interessierte sich dann aber immer weniger für Mathematik und immer mehr für die Menschen – und so sattelte er um und begann seine Rabbinatsausbildung. „Das war gar nicht den Wünschen und Vorstellungen meines Vaters entsprechend. Dem wäre – aus seiner Erfahrung – lieber gewesen, ich hätte weiter Mathematik studiert“, erzählt Eisenberg lachend. In Israel erhielt Eisenberg sein Rabbinatsdiplom, kehrte nach Wien zurück, wurde gleich als Jugendrabbiner engagiert und nach dem Ableben seines Vaters im Jahr 1983 zum Oberrabbiner berufen.
Der prinzipientreue Tachles-Spezialist
Aus ganz anderem Holz geschnitzt ist Rabbiner Joseph Pardess. Er stammt mütterlicherseits von jenen Schülern des berühmten Gaon (Weisen) von Wilna, die von diesem schon vor zweihundert Jahren nach Eretz Israel geschickt wurden, das damals noch Teil des Ottomanischen Reiches war. Dadurch zählt Pardess zur elften Generation seiner Familie, die in ununterbrochener Reihenfolge in Jerusalem geboren wurden.
Väterlicherseits kann Pardess auf sehr berühmte Rabbiner, Gründer und Vorsteher von Jeschiwot (Religionsschulen) und große rabbinische Gelehrte in seinem Stammbaum hinweisen. Sein Vater wurde, als Pardess drei Jahre alt war, zum Rabbiner für Nord Tel-Aviv und zum Oberrichter am Obersten Rabbinatsgericht in Tel-Aviv berufen und bekleidete dieses Amt 44 Jahre lang.
Joseph Pardess fing schon mit 14 Jahren an, in den von seinem Vater betreuten Synagogen zu predigen und zu unterrichten. „Für mich war immer klar, dass ich Rabbiner und Dayan (Richter eines Rabbinatsgerichts) werden wollte“, erzählt Pardess. Er besuchte die „Jeschiwa Jischuw“, die in Israel für Kinder aus orthodoxem Haus als die Eliteschule gilt, in der – auf höchstem Niveau – sowohl religiöser als auch weltlicher Unterricht erteilt wird und die mit einer Matura abschließt.
Danach studierte er sieben Jahre an den besten Jeschiwas (Religionsschulen) Israels und machte dann seine Rabbinatsprüfung nicht nur am Oberrabbinat von Israel, sondern ließ sich – um sich noch besser zu qualifizieren – freiwillig auch noch von verschiedenen großen Rabbinern prüfen. Nicht genug damit, begann er sogleich mit der Vorbereitung für die Prüfungen als Dayan. „Es sind sieben Prüfungen hintereinander. Natürlich kann man sich damit Zeit lassen, dann dauert es zehn bis zwölf Jahre. Aber ich wollte es gleich schaffen“, erinnert sich Pardess. Dabei steigen ihm bei der Erinnerung an diese Zeit Tränen in die Augen, weil er in der Zwischenzeit schon seine Rabbinatsstelle bei der Bethausgemeinde „Misrachi“ am Judenplatz in Wien angetreten hatte und kaum mehr zum Schlafen kam: „Ich habe hier ein Bethaus geführt, unterrichtet, Predigten vorbereitet, Hochzeiten gemacht, und den Rest der Zeit am Tag und die ganze Nacht lernte ich dann. Es gab viele Nächte ohne Schlaf. Ich dachte oft, dass ich es nicht schaffen werde. Aber Haschem (G’tt) hat mir geholfen und ich hatte eine sehr starke Unterstützung durch meine Familie.“
Pardess gilt daher weitum als „Talmid Hacham“, als anerkannter Thora-Gelehrter und Experte für Fragen des rabbinischen Rechts. Er wurde aber auch Verfechter des Grundsatzes, immer „Tachles“ reden zu wollen. In der Jeschiwa hieß es: „Ungefähr ist gar nichts. Menschen haben viel gehört, gelesen und haben eine Vorstellung von Judentum, die oft völlig falsch ist. Mir war wichtig, dass die Menschen zu den wichtigen Themen des Judentums die Wahrheit wissen. Ob sie die dann halten oder nicht, ist eine zweite Sache, aber zuerst soll man zumindest wissen, was die Thora (die Bibel), Raschi (Kommentator der Bibel und des Talmuds) und Rambam (Maimonides) sagt.“ Aus dem Tachles-Reden wurde, auf Initiative jüngerer Mitglieder der Misrachi, eine Seminarreihe, die es auf CD zu kaufen gibt. (www.misrachi.at)
Dementsprechend gilt Rabbiner Pardess als sehr prinzipientreu, wird von den Mitgliedern seiner Gemeinde aber gerade für diese Geradlinigkeit geschätzt, zumal jede von ihm erbetene Auskunft, Ratschlag oder Meinung vom Standpunkt der religiösen Lehre her absolut fundiert ist. Dazu hat er noch eine große Portion Charisma und eine sehr freundliche und gewinnende Art von seinem Vater geerbt. Der erfolgreiche Lubawitscher Rabbiner Biderman will erst gar nicht über seine Biografie sprechen: „Warum ist das so wichtig? Das ist vielleicht wichtiger bei Leuten in einem anderen Alter, oder die mehr Bedeutung haben“, gibt er sich ganz bescheiden.
Dabei ist sein Leben eine echte Erfolgsgeschichte: Er wurde 1980 vom Lubawitscher Rebben, gemeinsam mit seiner Frau Edla, nach Wien entsandt, um den hier gestrandeten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion zu helfen. Er begann bei Null und stampfte in 27 Jahren eine unglaubliche Infrastruktur aus dem Boden: Er organisierte die Finanzierung und den Bau einer wunderschönen Schule mit Kindergarten im Augarten, richtete mehrere Bethäuser samt Rabbinern ein und stellte ein Team von einem guten Dutzend Schlichim (Aktivisten) zusammen, welche die verschiedensten Aktivitäten für Jung und Alt veranstalten. Doch Biderman will lieber im Hintergrund bleiben und schreibt dies alles dem Lubawitscher Rebben zu: „Das hat alles mit ihm zu tun. Er hatte eine Aufgabe auf sich genommen nach der Shoah, nachdem alles zerstört wurde und für viele Menschen die Geborgenheit der Familie, alles was normalerweise Jiddischkeit anbietet, nicht mehr da waren. Mit dieser Vision und mit dieser Liebe hat der Rebbe viele angesteckt.“
Bei aller Bescheidenheit: Gewisse Spuren will Jacob Biderman dann offensichtlich doch hinterlassen. Er verriet NU: „Mein Traum ist, dass ich irgendwann schreiben kann. Ich schreibe leidenschaftlich. Ich habe vergleichende Philosophie studiert und beschäftige mich noch immer mit diesem Thema. Vielleicht schreibe ich einmal einen philosophischen Roman.“