Wenn Sie in die Hände der Wahhabiten fallen, sind Sie tot.
Von Isabelle Daniel
Diesen warnenden Satz hörte ich von einem schiitischen Kämpfer bei einer Reise nach Syrien im September 2012. Mit Wahhabiten meinte er Jihadisten – selbsternannte heilige Krieger – aus Saudi-Arabien, die sich wie Tschetschenen und andere dem Krieg gegen Bashar Al–Assad und seine Mullah–Unterstützer aus dem Iran angeschlossen hatten.
Er selbst war nichts anderes als ein Anhänger der Hisbollah, die im blutigen Bürgerkrieg in Syrien dem syrischen Diktator Assad mehr als einmal den Kopf gerettet hatte. Terroristen und Islamisten sind freilich beide Gruppen. In inniger Feindschaft vereint, verabscheuen Wahhabiten und Hisbollah westliche Lebenswelten. Und: Sie bekämpfen einander. Die „Wahhabiten“ waren damals in diesem Vorort von Damaskus bereits ISIS–Kämpfer – also jene Fanatiker, die die Errichtung eines Kalifats von Damaskus bis Rom erträumen und die radikal–islamistische Auslegung der Wahhabiten noch auf die Spitze treiben. Der Wahhabismus ist eine streng konservative Lesart und Strömung des sunnitischen Islam. Sie geht auf die Lehren Muhammad ibn Abd al-Wahhabs zurück. Die Anhänger des Wahhabismus nehmen für sich in Anspruch, als Einzige die islamische Religion in authentischer Weise zu vertreten.
Der Wahhabismus und Osama Bin Laden
Wer einmal das Museum im zerbombten Bagdad besuchte, weiß wie weit die arabische Kultur vor etlichen Jahrhunderten bereits fortgeschritten war und wie sehr der Islamismus sie in dunkle Zeiten zurück bombte. Auch dort kämpften und kämpfen bis heute Schiiten und Sunniten gegeneinander. Im Irak gehört allerdings die Mehrheit der Bevölkerung der schiitischen Religion an. Neben Bahrain und dem Iran der einzige Staat in dem das der Fall ist.
Die Mehrheit der Muslime auf der Welt sind schließlich Sunniten. Als Anführer der Sunniten fühlt sich das islamistische Königreich Saudi-Arabien, das mit dem Wahhabismus allerdings eine erzkonservative Auslegung des Koran und des Islam lebt. Es ist kein Zufall, dass einer der brutalsten Terroristen der Welt – Osama Bin Laden – aus Saudi-Arabien stammte. Heute versuchen sich die Saudis etwas zu öffnen und lassen Frauen – bis vor wenigen Jahren dort noch undenkbar – Auto fahren und studieren. Ähnlich wie ihre innigen Feinde im Iran, köpfen sie aber ihre Kritiker weiter. In Wirklichkeit kämpfen sowohl Saudi-Arabien als auch der Iran um die Vorherrschaft im Nahen Osten.
Jahrhundertealter Konflikt
Aber warum streiten Sunniten und Schiiten? Der Hintergrund liegt wie meist in einem jahrhundertealten Konflikt um die Nachfolge Mohammeds – des Propheten, den beide Religionsauslegungen verehren. Während eine Mehrheit einen Nachfolger wählen wollte, beharrte eine Minorität darauf, dass der Nachfolger von Mohammed aus seiner Blutlinie stammen müsse und bestimmte seinen Cousin Ali dazu. Seine Anhänger hießen „Schiat Ali“, die Partei Alis, und prompt entstanden eben im 7. Jahrhundert die Schiiten und ein ebenso lang andauernder blutiger Konflikt zwischen der Minderheit der Schiiten und der Mehrheitsreligion der Sunniten.
Die Mullahs aus dem Iran und ihr Terror–Netzwerk
In Syrien und im Irak kann man bis heute sehen, wohin dieser Hass führt. Aber nicht nur dort. Im Iran wiederum – dort lebten die Perser bis zur islamistischen Revolution von Ayatollah Khomenei 1979 fortschrittlich und liberal, wenn auch Korruption und Armut dominierten – zeigt sich deutlich, wie die radikal–islamistische Auslegung der Mullahs – religiöse Führer der Schiiten – jegliche Modernität verhindert. Frauen werden unterdrückt, junge Frauen und Mädchen, die es wagen ohne Kopftuch zu gehen, werden mitunter von der fanatischen Religionspolizei zu Tode geprügelt. Die Mullahs wiederum kämpfen seit Jahrzehnten um Macht auf der Welt und bedienen sich dabei der Waffe des internationalen Terrorismus.
Hisbollah und ihr Terror–Netzwerk
Unterstützt werden Terrorgruppen in anderen Ländern. Die prominenteste schiitische Terrororganisation – jenseits der iranischen Revolutionsgarden – ist die Hisbollah. Sie hat den Libanon – einst sunnitisch regiert und weltoffen – zum Hauptquartier ihres Terrors gemacht. Im Unterschied zu Al-Qaida hat die Hisbollah allerdings auch einen politischen Arm und agiert geschickt mit karitativem und sozialem Engagement, um ihre Unterstützer bei Laune zu halten. Sie ist im Parlament im Libanon mit rund zehn Prozent der Mandatare vertreten, fühlt sich aber vor allem dem Ayatollah (Khamenei) in Teheran verpflichtet. Ohne sein Geld würde sie vermutlich schnell in Schwierigkeiten geraten.
1982 hatte sie sich als „Miliz“ gegründet und ist heute mächtiger als die libanesische Armee. In ihrer Anfangszeit verübte die Hisbollah blutige Anschläge auf die US–Botschaft in Beirut und tötete in Buenos Aires 85 Menschen in einem jüdischen Community Center, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ihre Waffen erhält die Terrorgruppe – erraten – aus dem Iran. Seit dem 8. Oktober, nur einen Tag nach dem Hamas–Massaker gegen israelische Zivilisten, beschießt die Hisbollah täglich Israel. Seit langem schon gilt sie als Angstgegner der israelischen Armee. Denn die Hisbollah–Kämpfer gelten als gut trainiert und ausgebildet und verfügen über ein teils weltweites Terror–Netzwerk. Auch sie leben eine radikal–islamistische Auslegung ihrer Religion. Im Unterschied zu den Mullahs im Iran lassen sie aber die Christen im Libanon in Ruhe, deren Frauen dürfen unverhüllt sein, womit sie auf Unterstützung dieser Minderheit zählen können.
Die Hisbollah hat freilich auch enge Beziehungen zur Hamas. Mehrere Wochen vor dem bestialischen Massaker vom 7. Oktober 2023 beobachteten internationale Geheimdienste Treffen zwischen Iran, Hisbollah und Hamas. Immer wieder sollen auch Hamas–Kämpfer von der Hisbollah ausgebildet und trainiert worden sein. Dass auf der „Kill–Liste“ des israelischen Sicherheitsapparates so viele Hisbollah–Köpfe stehen – ihr religiöser Anführer Nasrallah wurde getötet – ist kein Zufall. Ohne Hisbollah und Iran wäre die Hamas wohl nicht zu einem Angriff dieser Größenordnung fähig gewesen, glauben nicht nur israelische Experten.
Die Allianz zwischen den Mullahs, den Gotteskriegern aus dem Libanon und der palästinensischen Terrorgruppe Hamas, ist wiederum in den Augen vieler Sunniten eine Mesalliance. Immerhin ist die Hamas eine sunnitische Gruppe.
In Syrien war von der Freundschaft zwischen Hisbollah und Hamas auch wenig zu sehen. Im Gegenteil: Die Hisbollah–Kämpfer dort halfen den unzähligen Palästinensern in Flüchtlingslagern rund um Damaskus keineswegs. Die Hamas – eigentlich ein Ableger der radikal islamistischen Moslembrüder – kopiert seit ihrer Gründung 1987 die Hisbollah. Ihre Stunde schlug anlässlich der ersten Intifada im Gazastreifen. Aber auch sie setzte – ähnlich wie die Hisbollah – auf geschickte soziale Hilfsnetzwerke. Und auch sie bildete einen „politischen“ neben dem militärisch–terroristischen Arm. Wie viele Palästinenser wirklich der Hamas angehören, ist schlicht nicht seriös zu beantworten. Schätzungen gehen von bis zu 80.000 Kämpfern im Gazastreifen aus. Gesichert ist, dass die letzte freie Wahl im Gazastreifen 2006 stattfand. Damals obsiegte die Hamas gegen die säkulare Fatah – die in Ramallah regiert – und tötete deren politische Vertreter in Gaza. Seither trauen sich Fatah–Vertreter auch nicht mehr in den Gazastreifen. Nach dem vollständigen Abzug Israels aus dem Gazastreifen 2005 zerstörten die Hamas-Fanatiker die Infrastruktur, die die Israelis hinterlassen hatten und setzten von Anfang an auf Terror–Anschläge gegen Israel.
Das Ziel der Hamas – auch offen in ihrer Charta zu lesen – ist die Vernichtung Israels. Ähnlich wie ihre wahabitischen Brüder, träumen auch die Hamas–Fanatiker zudem von einem Kalifat, das mitten in Europa seine Grenzen fände. Auch sie glauben – so wie das auch bei Al-Qaida und ISIS der Fall war und ist – daran, dass sie für den „Märtyrertod“ (Terroranschläge) mit 72 Jungfrauen im Paradies belohnt würden. Die Hamas – und hier ähneln sie ebenfalls mehr Al-Qaida und ISIS als Hisbollah – setzt bereits im Kindergartenalter an. Die Kleinsten werden gebrainwashed und zu „Heiligen Kriegern“ gedrillt. Und hier zeigt sich auch warum der Krieg des Staates Israel – als Antwort auf das Massaker der Hamas – so lange dauert und schwer zu gewinnen ist. Die Hamas lebt eine fanatisierte Ideologie so wie es auch bei Al-Qaida, ISIS und Co der Fall ist. Sie verfolgen eine radikal islamistische Auslegung der sunnitischen Religion, die auf jener der Muslimbrüder basiert.
Wurzeln des heutigen Islamismus
Und hier kommen wir zu den Wurzeln des heutigen Islamismus, die eng mit der Muslimbruderschaft verknüpft sind. Von Ägypten aus wollten sie sukzessive Staat um Staat, Gesellschaft um Gesellschaft in der Region mit ihrer Ideologie überziehen und dominieren. Sie galten als Vorbilder von Al-Qaida und Konsorten. Das ägyptische Militär sperrt die Führer der Muslimbruderschaft immer wieder ein, um sie in ihrem Land zu verhindern.
Ähnlich gehen auch die Emirate vor, die weder in Abu Dhabi noch in Dubai oder sonst einem Ort in ihrem Reich die radikalen Islamisten werken lassen. Sie haben mit Israel einen Friedensvertrag geschlossen und erleben einen boomenden Tourismus, während viele andere arabische Länder durch ihre Verflechtung mit Islamismus und Terror wirtschaftlich nicht vom Fleck kommen.
Die Mehrheit der Sunniten oder Schiiten gehört keinen Terrorgruppen an. Minderheiten beider Religionen zeigen aber, wie giftig ihre islamistische Ideologie ist. Wobei wohl derzeit kein einziger Staat dieser Region so sehr in Terroroperationen verstrickt ist wie der von den Mullahs dominierte Iran. Der wiederum in Syrien seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 gezeigt hat, mit welcher Brutalität er bereit ist, sogar gegen seine eigenen muslimischen Brüder und Schwestern vorzugehen.