Kommentar von Martin Engelberg
Im Titel spiegelt sich bereits der Widerspruch: Die jüdische Sicht zur Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA gibt es nicht. Die einen jubelten auf Social Media am Tag nach der Wahl und versprachen die Ausrichtung eines großen „Kiddish“ (Festessen nach dem Schabbat-Gebet, wenn es etwas zu feiern gibt), die anderen warnten vor Trump als „falschen Freund“.
Tatsächlich waren die Ansichten von Juden zu den beiden Präsidentschaftskandidaten noch nie so geteilt und so stark im Vordergrund wie bei dieser Wahl. Dies hat vor allem einmal mit dem Massaker des 7. Oktober und dem darauffolgenden Gaza-Krieg zu tun sowie den damit verbundenen heftigen Kontroversen in den USA. Auf den Campussen von US-Eliteuniversitäten fanden Demonstrationen mit anti-israelischen und antisemitischen Slogans statt, jüdische Studenten wurden gemobbt. Darauf reagierten „liberale“ (also linksstehende) Unis auf unerhörte Weise relativierend, sodass die Präsidentinnen von vier Universitäten in weiterer Folge zurücktreten mussten.
In einigen Bundesstaaten setzten starke muslimische Communities die ihnen nahestehenden Demokraten unter Druck. Bei einem der Proteste irritierte Kamala Harris viele jüdische Wähler: Als ein Demonstrant lautstark ihre Rede unterbrach und Israel vorwarf einen Genozid an den Palästinensern zu begehen, reagierte Harris mit den Worten: „What he’s talking about, it’s real“, was so viel heißt wie: Was er sagt, stimmt schon. Harris wurde auch vorgeworfen, sie hätte vor muslimischen Wählern gemeint, sie würde ein Waffenembargo gegen Israel erwägen. Zudem exponierte sie sich immer wieder besonders gegen den israelischen Premierminister Netanyahu. Auch ihre enge Beziehung zu den notorischen Israel-Hassern im US-Kongress, den berüchtigten Mitgliedern der „The Squad“ Gruppe, wurde ihr nachgetragen. Schließlich stand noch der Verdacht im Raum, dass sie den stark favorisierten Gouverneur von Pennsylvania, Josh Shapiro, nur deshalb nicht zu ihrem Vize-Präsidentschaftskandidaten machte, weil er ein Jude ist und sie fürchtete, das könnte sie Wählerstimmen kosten.
Die Tatsache, dass sich Israel in einem existenziellen Krieg an mehreren Fronten befindet, gab der Haltung der beiden Kandidaten zu Israel eine besondere Bedeutung. Da wurden Donald Trump insbesondere seine Verdienste aus seiner ersten Amtszeit zugutegehalten: Er verlegte damals die US-Botschaft nach Jerusalem, kündigte den Iran-Atom Deal, anerkannte die Annexion der Golan-Höhen durch Israel und erreichte die historisch bedeutungsvollen „Abraham-Accords“, die Friedensabkommen Israels mit mehreren arabischen Staaten. Auch wenn sich Trump im laufenden Gaza-Krieg nicht immer so eindeutig äußerte und sich auch mit muslimischen Communities traf, die sehr israel-kritisch sind, zweifelten die meisten US-Juden nicht an seiner klar pro-israelischen Haltung. Verstärkt auch noch durch die Tatsache, dass seine Tochter Ivanka, verheiratet mit Jared Kushner, zum Judentum übergetreten ist und ein modern-orthodox jüdisches Leben führt. Bemerkenswerterweise ist auch Kamala Harris mit einem Juden verheiratet, Doug Emhoff, der immer wieder versicherte, dass ihn seine Frau zu einem engagierten Kampf gegen den Antisemitismus in den USA ermuntert hätte.
Donald Trumps schärfste Kritiker warfen ihm vor, ein Faschist zu sein, die Werte der liberalen Demokratie zu verachten und in seinen Reden immer wieder antisemitische Topoi zu verwenden. Ein in New York lebender jüdischer Journalist bezeichnete ihn sogar als „philosemitischen Antisemiten“ und warnte, dass Trumps Judenfreundlichkeit bei Gelegenheit in ihr aggressives Gegenteil umschlagen könnte.
Erste Nachwahluntersuchungen vermeinten, dass dennoch – wie im langjährigen Durchschnitt – nur 21% der Juden den republikanischen Kandidaten Donald Trump wählten. Bei der Wahl im Jahr 2020 waren es doch 30% gewesen. Im Bundesstaat New York, mit seiner großen jüdisch-orthodoxen Community erzielte Trump jedoch 43% der jüdischen Stimmen.