Der Industrielle Richard Neumann musste 1938 fliehen, seine Kunstsammlung wurde arisiert. Enkel Thomas Selldorff fordert nun von der Stadt Krems zwei Bilder zurück. Diese weigert sich – und lässt ein Gutachten anfertigen
Von Katja Sindemann
Dezember 06 hat der Streit Eingang in die Regionalmedien gefunden. Der Amerikaner Thomas Selldorff fordert von der Stadt Krems zwei Bilder zurück, die früher im Besitz seines Großvaters Richard Neumann waren. Konkret handelt es sich um zwei Heiligendarstellungen des Barockmalers Martin Johann Schmidt, genannt Kremser Schmidt: den Heiligen Florian und den Heiligen Nepomuk. Doch die Stadt weigert sich, die Gemälde dem Neumann-Enkel zurückzugeben. Mit dem Argument, sie sei nicht berechtigt, den Besitz der Stadt einfach zu verschenken. Damit würde sie sich eine Rüge des Rechnungshofes zuziehen. Und sie beruft sich auf den Bericht des Restitutionsbeirates vom 16. 3. 2005, in dem die Rückgabe von Neumann-Kunstwerken nicht empfohlen wird. Doch so einfach ist die Sache nicht. In Wahrheit ist die Rechtslage ziemlich verzwickt
Der Vorgeschichte erster Teil
1998 hatte Bürgermeister Franz Hölzl den Auftrag gegeben, die Bestände der Kremser Museen auf bedenkliche Erwerbsvorgänge in den Jahren 1938
bis 45 zu prüfen. Man stieß auf besagte Heiligenbilder: Sie waren 1938 von der „Sammelstelle der Beschlagnahme jüdischen Kunstbesitzes“ bzw. über das Kunsthistorische Museum (KHM) an die Stadt Krems geleitet worden. Die Stadtväter nahmen Kontakt zum KHM, dem Bundesdenkmalamt und zur Kommission für Provenienzforschung auf. Die Antwort: Man müsse erst die Unterlagen prüfen. Und: Rechtsnachfolger müssten gefunden werden. 2001 schrieb die Stadtgemeinde auf ihrer Homepage, dass sie die Rechtsnachfolger jüdischer Familien suche, um die Bilder zurückzugeben. 2002 meldete sich der Anwalt Dr. Alfred Noll und nannte den in Boston lebenden Thomas Selldorff, Enkel von Dr. Richard Neumann, als anspruchsberechtigten Erben. Doch vorerst wartete man auf den Abschlussbericht der Kommission für Provenienzforschung. Dieser lag im März 2005 vor und fand bis Mai 2006 seinen Weg nach Krems. Nun wandelte sich die Position des Bürgermeisters, des Vizebürgermeisters und des Kulturamtsleiters Franz Schönfellner. Dieser schrieb im Dezember 2006 kurz und bündig an Noll: „Aufgrund der vorliegenden Stellungnahme der Kommission bestehen keine Rückforderungsansprüche hinsichtlich der beiden Objekte.“ Doch damit wollten sich weder Noll noch Selldorff zufriedengeben. Für Selldorff ist die Rückgabe der Bilder eine emotionale Frage: „Die Liebe meines Großvaters und sein Wissen über Kunst und Philosophie waren eine große Inspiration für mich und in weiterer Folge für meine Kinder. Mein Großvater, meine Großmutter und meine Mutter flohen nach Kuba, wo mein Großvater ein bedeutender Kunstdozent wurde und 1943 das „National Institute of Art“ in Havanna gründete, welches von der UNESCO anerkannt wurde.“ Der Industrielle Richard Neumann war in Wien ein eifriger Kunstsammler gewesen, der über eine umfangreiche Sammlung verfügt hatte. Selldorff: „Ich möchte die Bilder zurückhaben, um das Andenken an ihn zu ehren. Und um das Familienerbe an meine Kinder weiterzureichen.“ Der noch in Wien geborene Tom Selldorff war vor einigen Jahren mit Frau und Tochter in Wien und Krems gewesen: „Man hat uns sehr höflich die Bilder gezeigt. Für mich war es eine emotionale Erfahrung, auf diese Art mit meinem Großvater verbunden zu sein.“ Unterstützung erhält Selldorff vom Leiter der Kommission für Provenienzforschung, Werner Fürnsinn. Er betont: „Die Kommission ist nur für Kunstgegenstände zuständig, die im Besitz des Bundes sind. Die Entscheidung über die Rückgabe der beiden Kremser Schmidt ist ausschließlich Sache der Gemeinde Krems, für die es keine gesetzlichen Verpflichtungen gibt.“ Die Empfehlung des Beirates vom 16. 3. 2005 hätte andere Neumann-Kunstwerke betroffen, und sei daher für die Entscheidung in Krems nicht verbindlich. Doch bei einer Sitzung des Kulturausschusses im Jänner 07 bekräftigte die Stadt ihre Position: Richard Neumann habe 1952 auf seine Rückforderungsansprüche verzichtet. Diese Erklärung bezog sich auch auf andere offizielle Stellen, die Kunstgegenstände aus der Sammlung Neumann übernommen hätten. Soll heißen: auf die Stadt Krems. Vizebürgermeister Wolfgang Derler: „Die Stadt ist daran interessiert, angemessen und rechtskonform zu handeln. Selbstverständlich verurteilen wir die Methoden der NS-Zeit zutiefst. In diesem Fall fehlt nach unserem Verständnis die rechtliche Grundlage für eine Rückgabe.“ Werner Fürnsinn widerspricht: „1952 ist ein Kuhhandel abgeschlossen worden, weil für einige Kunstgegenstände ein Ausfuhrverbot bestand. Neumann hat auf Kunstgegenstände verzichtet, um andere rausholen zu können.“ Was geschah damals wirklich?
Der Vorgeschichte zweiter Teil
Schon der Beginn des Beiratbeschlusses macht klar, dass es ausschließlich um Neumann-Werke
geht, die sich im KHM – und damit im Bundesbesitz – befinden (zwei Altarflügel, zwei Bilder, zwei Statuetten). Dann zeichnet der Bescheid den historischen Verlauf nach. Richard Neumann floh 1938 mit seiner Familie in die Schweiz. Im Juli wurden bei der Anmeldung jüdischen Vermögens seine Kunstwerke inventarisiert. Am 3. 10. stellte die BH Döbling die Kunstgegenstände sicher und übergab sie dem KHM. Die zwei Heiligenbilder von Martin Johann Schmidt wurden – wohl aufgrund ihrer regionalgeschichtlichen Bedeutung – an die Stadt Krems weitergereicht. Tochter Dora Selldorff verhandelte daraufhin mit dem KHM über den Verkauf der Bilder: 18.000 Reichsmark für die Altarflügel von Martin van Heemskerck, 3.000 Reichsmark für zwei weitere Bilder. Dafür bekam sie im Gegenzug ein Gemälde von Pieter Lastman zurück. Nach 1945 bemühte sich Neumann um die Restitution der Altarflügel. Die Rückstellungsoberkommission war bereit, sie Neumann für 18.000 Schilling zurückzugeben. Aber das Bundesdenkmalamt erließ ein Ausfuhrverbot: „Derart qualitätsvolle Bildnisse von Heemskerck seien in Österreich sonst nicht vorhanden.“ Nun folgte am 6. 9. 1952 die Schlüsselszene: Neumann erklärte sich bereit, die Altarflügel dem KHM zu überlassen – gegen einen geringen Betrag und die Übergabe von im Ausland verwertbaren Objekten. Und: Er sei bereit, „auf seine Rückforderungsansprüche hinsichtlich aller sonstigen dem KHM oder anderen offiziellen Stellen übergebenen oder von diesen übernommenen Kunstgegenständen aller Art aus seinem seinerzeitigen Besitz zu verzichten.“ Das ist die Stelle, auf die sich die Stadt Krems beruft („1952 hat kein Zwang mehr bestanden“) und die Werner Fürnsinn als Kuhhandel bezeichnet.
Neumann erhielt 3.000 Schilling und ein anderes Bild (Heilige Anna Selbdritt) zurück. Gleichzeitig verzichtete er auf die Altarflügel, Bilder und Statuetten, die in den Besitz des Bundes übergingen. Ein Versuch von Neumanns Witwe 1966, die Kunstwerke zurückzuerhalten, scheiterte. Der Beirat hält fest, dass der Verkauf von 1938 nichtig war. Aber auch, dass „die Werke nicht Gegenstand einer Rückgabe nach dem Bundesgesetz 1998 sein sollen, weil sie mit Wissen und Willen des früher Berechtigten ins Eigentum des Bundes gelangt sind.“ Das Ausfuhrverbot sei sachlich begründet gewesen, der Bund habe die Gemälde 1952 durch ein angemessenes Entgelt erworben.
Streit geht in die nächste Runde
Auf diese Argumentation beruft sich die Stadt Krems bisher. Selldorff-Anwalt Noll hält dagegen: „Aus den Unterlagen geht hervor, dass die beiden Heiligenbilder Krems vor 1945 ‚zugewiesen‘ wurden, dass sich die Stadt ‚höchst entzückt‘ zeigte und dass 2.000 Reichsmark auf ein Sperrkonto bezahlt wurden. Dieser Betrag ist der Familie Neumann niemals zugekommen. Dieser Kauf begründete eine Entziehung im Sinne des § 2 Abs. 1 des 3. Rückstellungsgesetzes.“ Die Stadt Krems hat nun einen Provenienzforscher eines zeitgenössischen österreichischen Museums mit einer Expertise beauftragt. Diese soll demnächst vorliegen. Noll hingegen droht mit einer Selldorff-Klage in den USA. Und Werner Fürnsinn verweist auf das Beispiel der Stadtgemeinde Lienz, die ohne gesetzliche Verpflichtung per Gemeinderatsbeschluss die Restitution eines Bildes beschlossen hat.