Ein Gespräch mit der iranischstämmigen Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, Shoura Zehetner-Hashemi, über den Iran und die Einstellung der Iraner zu Israel, bringt einiges an Überraschung.
Von Martin Engelberg
NU: Eigentlich hatte der Iran mit Israel historisch gesehen sehr gute Beziehungen. Angefangen mit der Tatsache, dass der Iran und die Türkei die ersten muslimischen Länder waren, die Israel anerkannt haben. Unter dem Schah hatte der Iran sehr enge Beziehungen zu Israel. Das hat sich dann abrupt geändert, als Khomeini 1979 an die Macht kam. Er brach die Beziehungen zu Israel ab und gemeinsam mit den USA wurde Israel zum Satan erklärt. Wieso wurde Israel zu einem solchen Feindbild im Iran?
Zehetner-Hashemi: Weil es bei solchen Regimen immer einen externen Feind braucht, um innenpolitisch die Menschen zusammenzuhalten, zu mobilisieren. Und das ist in dem Fall Israel. Die USA als Feind zieht heute im Iran gar nicht mehr, aber Israel eigentlich auch nicht. Also die Vorstellung, dass im Iran die Menschen besonders kritisch gegen Israel eingestellt sind, das stimmt überhaupt nicht. Nämlich von ganz links bis ganz rechts stimmt es nicht.
Der Sohn des letzten Shah war ja sogar letztes Jahr in Israel zu Besuch.
Ja, wir haben einerseits die Royalisten, die wirklich die größten Fans von Israel sind. Für sie ist Israel wie ein großer Verbündeter und Reza Pahlavi, der älteste Sohn des ehemaligen Schah und designierter Kronprinz ist wie sein Vater ein großer Freund Israels.
Wie ist es mit den anderen Teilen der Opposition?
Man hat eine sehr positive Grundeinstellung gegenüber Israel, gegenüber dem Judentum als solches. Also einerseits, weil es eine Buchreligion ist, aber ich glaube, es hat auch damit zu tun – und ich meine das nicht abwertend – dass die Iraner ja keine Araber sind und sehr viel Wert darauf legen, dass sie nicht Teil des arabischen Kulturkreises sind. Die meisten Iraner haben das Gefühl – also die, die nicht dem Regime angehören – dass der Iran islamisiert wurde, dass das eine Art Besatzung ist. Und damit ist Israel der klassische Verbündete, den man einfach in der Region hat und dem man sich auch kulturell näher fühlt.
Das ist interessant. Die iranischen Revolution ist jetzt über 40 Jahre her, und das Regime hat es trotzdem nicht geschafft, die Stimmung in der Bevölkerung so antiamerikanisch, so antiisraelisch zu machen, wie das in arabischen Ländern wie Syrien, Jordanien, oder Ägypten der Fall ist.
Ja, das schaffen sie überhaupt nicht. Und ich finde, es schlägt eher ins Gegenteil aus. Dass es nämlich eine sehr proamerikanische, proisraelische Stimmung gibt. Man sieht öfter Videos, wo irgendwo eine israelische Flagge aufgelegt wird und die Leute gehen drum herum, damit sie ja nicht drauf steigen, weil sie wissen, das Regime nutzt derartige Dinge für Propaganda-Zwecke. Also nein, die Mullahs haben überhaupt keinen Erfolg damit und man hat jetzt auch nach dem 7. Oktober sehr gut gesehen, dass die iranische Diaspora sich total mit Israel solidarisiert hat, aber auch die iranische Bevölkerung. Ich könnte mich nicht an irgendwelche Demonstrationen im Iran erinnern, die gegen Israel gerichtet gewesen wären, die nicht direkt vom Regime aus organisiert waren.
NU: Das ist sehr eindrucksvoll. Es gibt sogar ein Video von einem vollbesetzten Fußballstadion im Iran, wo Aktivisten des Regimes mit einer palästinensischen Fahne herumfuchteln und daraufhin ziemlich despektierliche Sprechchöre dagegen laut werden.
Ja, ja, es gibt sogar eigene Demos – und seit 2022 sind sie sehr häufig – bei denen Slogans gerufen werden, die sinngemäß übersetzt lauten: Wir wollen nicht, dass unser Geld für Palästina ausgegeben wird. Weil gerade der jungen Generation – aber eigentlich allen – völlig klar ist, welche Rolle der Iran in all diesen Konflikten in der Region spielt. Aber eben besonders, was jetzt Israel und Gaza betrifft, dass die Hamas finanziert wird vom Iran, ebenso wie die Hisbollah im Libanon, das ist allen total klar und das wollen die Leute nicht.
Und es ist wirklich so, dass in der gesamten iranischen Opposition – quer durch alle Lager – keine anti-israelische Haltung spürbar ist?
Absolut. Ich bin relativ gut vernetzt mit Untergrundgruppen im Iran und auch mit Leuten, die quasi als Einzelaktivistinnen unterwegs sind. Ich habe nichts in der Richtung mitbekommen. Und in der iranischen Diaspora sowieso nicht. Deswegen finde ich zum Beispiel auch die Diskussionen, die jetzt hier im Westen in linken Kulturkreisen stattfinden, so irritierend. Das gab es im Iran alles überhaupt nicht. Dort herrscht ein sehr positiv besetztes Israelbild, eine viel aufrichtigere, eine ehrliche Sympathie.
NU: Sogar bei der Solidaritätskundgebung für Israel nach dem 7. Oktober hier in Wien am Ballhausplatz war eine Gruppe mit einer iranischen Flagge dabei. Das hat kurz für einige Irritation gesorgt, weil manche Leute glaubten, das wäre eine Provokation.
Nein, nein, das war ein klares Zeichen der Verbundenheit. In Deutschland kommt das jede Woche vor. Iraner und Israelis demonstrieren oft gemeinsam. Ich glaube auch hier in Wien bei der UNO, bei der Mahnwache, hat es immer wieder proisraelische Transparente gegeben.
Im Iran gibt es ja ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen – Perser, Aseris, Kurden und noch viele mehr.
Richtig, Perser machen knapp 50 Prozent der Bevölkerung aus. Dann gibt es eben sehr viele andere Bevölkerungsgruppen, aber die sind dann alle – was Israel betrifft – gleich, da gibt es keine Unterschiede. Es gibt eine arabische Minderheit im Süden, die ist relativ klein von der Prozentzahl her. Auch da hätte ich nie mitbekommen, dass es in dieser Region Antisemitismus gibt. Auch bei den Belutschen nicht. Bei den Kurden im Nordwesten des Iran gar nicht. Die sind im Gegenteil sehr pro-Israel, weil Israel auch die Rechte der Kurden anerkennt. Da gibt es eine echte gegenseitige Sympathie.
Und dann ist da noch die große Bevölkerungsgruppe der Aseris. Es leben ja mehr Aseris im Iran als in Aserbaidschan selbst.
Ja, die Aseris machen zirka 20 Prozent der Bevölkerung des Iran aus. Es sind also nochmal viel mehr als Kurden. Diese stellen knapp 10 Prozent der Bevölkerung.
NU: Abschließend die Frage aller Fragen: Gibt es irgendeine Chance, dass diese doch sehr großen Oppositionsgruppen es in absehbarer Zeit schaffen, das Mullah-Regime zu stürzen? Es wäre ein echter Segen für den Iran und die ganze Region des Nahen Ostens.
Ich hoffe natürlich sehr, dass das passiert. Wir alle hatten im Herbst 2022 wirklich daran geglaubt, dass es jetzt möglich ist. Es hat leider nicht funktioniert. Das Regime war repressiv wie immer, brutal und rücksichtslos. Und gerade mit Beginn der Hinrichtungen hat man einfach gemerkt, dass das wieder abschwingt. Aber, ich glaube weiterhin ganz stark daran, weil diese Bevölkerung in ihrem Denken so anders ist, so weit weg vom Regime, von diesem Wasserkopf der Mullahs und ihrer Revolutionsgarde. Ich glaube, es bräuchte ein bisschen Hilfe von außen. Das ist das, was ich mir erhoffe.
Wie könnte eine solche Unterstützung aussehen?
Zum Beispiel schon mal damit, dass man die Beziehungen zum Iran jetzt nicht wieder normalisiert. Da war jetzt eine Zeitlang eine gewisse Eiszeit. Jetzt gibt es einen neuen Präsidenten im Iran, der sich als Reformer verkauft, was er überhaupt nicht ist. Es wäre gut, dieses Appeasement zu beenden, also vor allem von europäischer Seite. Mich hat gewundert, dass die Belieferung Russlands mit Waffen aus dem Iran, die gegen die Ukraine eingesetzt werden, in Europa nicht für mehr politischen Willen gesorgt hat, das zu ändern. Das war schon überraschend für mich, dass man das so ausblendet. Das verstößt ja gegen die ureigensten Interessen Europas.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich Europa, auch Österreich, so lasch gegenüber dem iranischen Regime verhält?
Ich glaube, dass die Entscheidungsträger in Europa noch immer der Idee nachhängen, man könne dieses System von innen heraus reformieren oder wie das die Deutschen sagen: Wandel durch Handel. Dann gibt es den nächsten „konstruktiven“ Dialog, Religionsdialog und Kulturdialog. Und dann gibt es nette Delegationen, die hin und her fahren. Aber das iranische Regime ändert sich natürlich nicht. Und die Iraner sind schlau. Die nutzen das aus, die machen ihre Inszenierungen und dann gibt es irgendwie überall was Gutes zu essen für eine österreichische Delegation da und dann werden die Menschen im Iran wieder hingerichtet.
Ist es vielleicht die Furcht der Europäer vor dem iranischen Regime?
Ja, da gibt es Angst vor dem Iran, vor dem Atomprogramm und eine gewisse Naivität, dass irgendein Deal mit dem Iran dann tatsächlich dazu führt, dass kein Uran angereichert wird und dann Freiheiten kommen. Und dann gibt es vielleicht noch diese obskure Angst vor einem Flächenbrand. Also wenn man den Iran einmal härter anfasst, dann explodiert alles drumherum. Obwohl man ja sieht, es explodiert so oder so alles drumherum. Man könnte den Iran ruhig härter anfassen. Aber das ist auch etwas, was sehr stark von so manchen Islamwissenschaftlern und Experten kommt, die warnen, den Iran zu hart anzufassen, weil es ja angeblich doch der stabilisierende Faktor im Nahen Osten ist.
Welchen Einfluss wird die Wahl in den USA haben?
Natürlich ist die Frage, was geschieht, wenn Trump gewinnt? Die iranische Diaspora in den USA fühlt sich Trump nahe und die haben jetzt gerade viel Hoffnungen, dass mit einer Trump Administration dieses wahrgenommene Appeasement aufhört. Schauen wir mal. Ja, das wäre schön!
Shoura Zehetner-Hashemi ist eine im Iran geborene, österreichische Juristin und Menschrechtsaktivistin. Schon ihre Eltern und Familie beteiligten sich aktiv in der Widerstandsbewegung gegen das Mullah-Regime. Im Jahr 1987 konnten ihre Eltern mit ihr als 5-Jährige aus dem Iran nach Österreich fliehen. Zehetner-Hashemi ging hier zur Schule, studierte Jus und absolvierte die Diplomatische Akademie. Nach ihrer 15-jährigen Tätigkeit im österreichischen Außenministerium übernahm sie 2023 die Geschäftsführung der österreichischen Sektion von Amnesty International.