Das Phänomen „Queers for Palestine“ sorgt in den letzten Monaten zunehmend für Aufmerksamkeit und hitzige Debatten. Auf den ersten Blick erweckt es den Anschein linker, globaler Solidarität. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich jedoch tiefgreifende Widersprüche, die nicht nur irritieren, sondern auch die Frage aufwerfen, wie sinnvoll und konsistent so ein Bündnis tatsächlich sein kann.
Mark-Elias Napadenski
„Queers for Palestine“ ist eine Bewegung, die sich auf die Unterstützung des palästinensischen Volkes fokussiert und dabei darüber hinwegsieht, dass die meisten Gruppierungen, in die man sich einreiht, das Ziel haben, Israel von der Landkarte zu streichen. Gerade Israel, der einzige Staat in der gesamten Region, in dem LGBTQ+ Personen frei leben können. Die Bewegung tritt vermeintlich für die Rechte von Palästinenserinnen und Palästinensern ein, kritisiert die israelische Regierung für ihren angeblich kolonialen Geist, fordert Solidarität mit dem palästinensischen Volk und scheut gleichzeitig nicht davor zurück, das Ziel von radikal-islamistischen Gruppierungen zu unterstützen, Israel auslöschen zu wollen. Diese sind wiederum für ihre LGBTQ+ feindlichen Positionen bekannt. Dieser Widerspruch führt zu einer komplexen und oft kontroversen Diskussion vor allem innerhalb der queeren Gemeinschaft. Hier die gesamte queere Community über einen Kamm zu scheren wäre problematisch.
Queere Solidarität mit radikalen Islamisten
Doch wie können queere Aktivistinnen und Aktivisten eine Allianz mit Gruppierungen eingehen, die traditionell LGBTQ+ Feindlichkeit propagieren? Radikal-islamistische Gruppen wie die Hamas vertreten streng religiös motivierte Ansichten, die Homosexualität und andere queere Identitäten als Sünde und Verbrechen betrachten. In vielen Teilen der islamischen Welt werden LGBTQ+ Personen verfolgt, ausgegrenzt und in extremen Fällen sogar mit dem Tod bestraft. Berichten der New York Times zufolge wurde 2016 ein Hamas Kommandant wegen seiner Homosexualität exekutiert.
Es ist schwer nachzuvollziehen, wie sich eine Bewegung, die für die Rechte und die Befreiung queerer Menschen weltweit eintritt, gleichzeitig mit Kräften solidarisieren kann, die diese Rechte fundamental ablehnen. Dieses Paradoxon lässt sich kaum rechtfertigen. Es stellt nicht nur die Glaubwürdigkeit der Bewegung infrage, sondern birgt die Gefahr, dass wichtige queere Anliegen instrumentalisiert werden, um eine politische Agenda zu unterstützen, die den Werten der LGBTQ+ Community völlig konträr ist.
Globale Intifada
Ein besonders problematischer Aspekt dieser Bewegung ist die auf pro-palästinensischen Demonstrationen oft skandierte Phrase „Globalize the Intifada“. Die Intifada, die für palästinensische Gewalt gegen Israel mit hunderten toten und verletzten israelischen Zivilisten stand, wird in diesem Kontext verharmlost, internationalisiert und auf andere Proteste übertragen. Solidarität mit der Vernichtung Israels ist grundsätzlich keine Meinung, sondern dumpfer Menschenhass. Für die LGBTQ+ Community birgt daher die Verbindung zu einer „globalen Intifada“ erhebliche Sicherheitsrisiken. Veranstaltungen wie zuletzt das Taylor Swift Konzert in Wien, die einen safe space für queere Personen darstellen, zählen neben jüdischen Einrichtungen zu den Hauptzielen von islamistischer Gewalt. „Globalize the Intifada“ heißt daher, Gewalt gegen aufgeklärte, freie Gesellschaften zu billigen. Einige queere Organisationen verspüren daher momentan zurecht ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis.
Die Absurdität des Bündnisses
Bei genauer Betrachtung zeigt sich die Absurdität dieses Bündnisses in aller Deutlichkeit. Queere Aktivistinnen und Aktivisten, die sich mit radikal-islamistischen Gruppierungen solidarisieren, laufen Gefahr, ihre eigenen Werte und Rechte zu verraten. Solidarität darf nicht nur in eine Richtung gelebt werden. Vor allem nicht auf Kosten der eigenen Integrität und der Sicherheit der Community. Aus der „Queers for Palestine“-Bewegung ist immer wieder zu hören, es sei rassistisch zu glauben, dass ein künftiger palästinensischer Staat automatisch seine queer-feindliche Agenda beibehalten würde. Dieses Wunschdenken ist fatal. Damit werden Bomben auf Tel Aviv, Massaker auf Festivals und sexualisierte Gewalt nonchalant gerechtfertigt.
Im Gegenzug wird Israel „Pinkwashing“ vorgeworfen. Israel versuche, mit der Freizügigkeit für die queere Community von seiner Politik gegenüber den Palästinensern abzulenken. Tel Aviv als Hotspot der internationalen Kunst- und Kulturszene gilt, dank der liberalen Gesellschaft und seinem florierenden Nachtleben, zurecht als Mekka für Queere. Anstatt daher die Liberalisierung des bereits existierenden palästinensischen Staates zu fordern und gegen die queer-feindliche Politik der palästinensischen Autonomiebehörde zu demonstrieren, wird eine Phalanx gegen die bereits erkämpften Rechte queerer Personen gebildet. Und das absurderweise im Namen von antikolonialem Aktivismus. Fälschlicherweise wird davon ausgegangen, dass so bald Israel aus dem Weg geräumt sei, die queer-feindliche Hamas Regenbogenfahne schwingend die Eroberung Jerusalems feiern würde. Dieser Trugschluss riskiert schlussendlich die Sicherheit der eigenen Community.