Die erweiterte Antisemitismus-Ausstellung „Tacheles reden“ in der Parlamentsbibliothek fordert zu aktivem Handeln auf und will vor allem Jugendliche ansprechen – als ein Plädoyer für Zivilcourage.
Von Nini Schand
Nach der Wiedereröffnung des renovierten Parlamentsgebäudes und der Öffnung der Bibliothek für die Öffentlichkeit wurde die neu angebotene Antisemitismus-Ausstellung erweitert und aktualisiert im Frühjahr 2024 eröffnet. Didaktisch vielfältig aufbereitet bietet sie nicht nur einen historischen Überblick über die Judenverfolgung in Österreich und Europa und über deren Ursprünge, sondern thematisiert die verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus – und was jede Einzelne und jeder Einzelne dagegen tun kann. In enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem und der Israelitischen Kultusgemeinde Wien präsentiert das Parlament mit „Tacheles reden. Antisemitismus – Gefahr für die Demokratie“ ein ganz wesentliches neues Vermittlungsangebot.
Traurige Aktualität
Bemerkenswert ist dabei auch die traurige und bedrohliche Aktualität der von den Jugendlichen Yael, Michelle und Daniel in der Ausstellung geschilderten – zum Teil auch tätlichen – Angriffe gegen sie als Jüdinnen und Juden. Die Realität der seit dem grausamen terroristischen Überfall der Hamas auf Israel rasant gestiegenen antisemitischen Vorfälle wird sehr klar aufgezeigt und ist ein ständiger Begleiter durch die Ausstellung. Verschwörung ist immer eine Basis für Antisemitismus – einige Beispiele von typischen Verschwörungsmythen wie „Covid 19“, „Finanzkapital“ oder auch die Holocaustleugnung werden anhand kurzer Fragen und Medienstationen dargelegt. Neben der reinen Wissensvermittlung ist das erklärte Ziel der Schau daher auch, dieses Bewusstsein zu schaffen und zu schärfen. Jugendliche Besucherinnen und Besucher der Ausstellung sollen nicht nur dazu angeregt werden, die eigenen Positionen zu reflektieren und innezuhalten. So wird konkret dazu motiviert, antisemitische Übergriffe nicht zu ignorieren, sondern aktiv zu werden, sich zu Wort zu melden oder die Melde- und Beratungsstellen zu kontaktieren.
Likrat in Aktion
Als positiver Gegensatz zum erlebten Antisemitismus ist der zweite Schwerpunkt der Ausstellung konzipiert: die Darstellung jüdischen Lebens heute in Österreich. Auch hier nehmen die Jugendlichen, die im soeben mit dem Simon Wiesenthal Preis ausgezeichneten Projekt Likrat aktiv sind, wieder eine besondere Rolle ein. Anhand von einzelnen Gegenständen aus dem jüdischen Alltag erzählen Esther, Gabriel, Jessica, Naomi, Sharon und Zipora von jüdischen Festtagen und Bräuchen. Sie machen damit die Lebendigkeit und Vielfältigkeit jüdischen Lebens in Österreich sichtbar.
Ein weiterer Fokus wird auf die Schoa und deren Aufarbeitung nach 1945 in Österreich und damit verbunden an das Gedenken und den Umgang mit Antisemitismus gelegt. Peter Weibels für die Biennale 1993 konzipierte Videoarbeit Die Vertreibung der Vernunft steht als zentrales Werk in der Ausstellung, um die Gedenkarbeit an die Schoa aufzugreifen. In einem kurzen historischen Abriss österreichischer Zeitgeschichte wird insbesondere Österreichs zögerliche Aufarbeitung nach 1945 thematisiert: von der Affäre Borodajkewycz bis zur Waldheimaffäre, die beispielhaft für den langen Weg bis in die 1990er stehen, Verantwortung zu übernehmen.
Antisemitismus als Bedrohung
Gemäß des Credos der Historikerin und Antisemitismusbeauftragten der USA, Deborah Lipstadt, dass der Kampf gegen Antisemitismus nicht nur ein Akt der Erinnerung oder ein Einsatz für Restitution, sondern ein Kampf für Demokratie, für den Rechtsstaat und für die nationale Sicherheit sei, geht es in der Ausstellung darum, aufzuzeigen, dass Antisemitismus nicht nur eine Bedrohung jüdischen Lebens ist, sondern sich der Hass gegen Jüdinnen und Juden insgesamt gegen eine demokratisch verfasste Gesellschaft richtet und diese gefährdet.
Umso wichtiger ist es, im Parlament, im Herzen der Demokratie, über die Bedrohungen des Antisemitismus zu sprechen und dazu beizutragen, dagegen anzukämpfen. Tacheles reden ist sicher eine beachtenswerte Erweiterung des Demokratiebildungsangebots des Parlaments. Wenn man einen Wunsch äußern könnte: sichtbarer und größer könnte die Ausstellung sein – mit vertiefenden Modulen.