Seit Dezember ist Bewegung in die ausständigen Zahlungen an NS-Opfer gekommen. Nachdem endlich „Rechtssicherheit“ erlangt wurde, kriegen Opfer des Nationalsozialismus eine Entschädigung. Grund zum Jubeln gibt es trotzdem keinen.
Von Hannelore Eckerstorfer
Ganz spät und ganz weit weg gab es vor kurzem zumindest ein Fünkchen Gerechtigkeit aus Österreich. Zwei hundertjährige Australier zählten vergangenen Dezember zu den Ersten, die von der Republik Österreich eine vorläufige Entschädigungszahlung für ihr von den Nationalsozialisten geraubtes Vermögen erhielten. Auch wenn nur ein Bruchteil ihres damaligen Vermögens erstattet wurde, freuten sich die Empfänger. Denn viele der mittlerweile sehr betagten Antragsteller können das Geld zur Begleichung offener Krankenhaus-, Pflege- und Arztrechnungen dringend brauchen. Doch nicht allen ist es vergönnt, diesen Augenblick zu erleben. Viele Antragsteller sind schon zuvor oder während des aufwändigen und langwierigen Restitutionsverfahrens verstorben. Die Zeit drängt. Moshe Jahoda von der Claims Conference wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass mit jedem Tag zwei Holocaust-Überlebende nicht mehr am Leben sind. Auch in Österreich beklagte Hannah Lessing, Generalsekretärin des Allgemeinen Entschädigungsfonds, mehrfach, „dass täglich ein Antragsteller verstirbt“. Doch die Bundesregierung wartete zunächst ab. Erst nachdem die 82-Jährige Dorit Whiteman und ihre Mitkläger den Anwalt Jay R. Fialkoff im Dezember 2005 baten, die von ihnen eingebrachte Sammelklage – gemeinhin bekannt als „Whiteman-Klage“ – einzustellen und damit die von österreichischer Seite eingeforderte Rechtssicherheit eingetreten war, handelte auch die österreichische Seite rasch. Am 13. Dezember 2005 verabschiedete der Nationalrat eine Novelle zum Entschädigungsfondsgesetz, die das Kuratorium des Allgemeinen Entschädigungsfonds im Einvernehmen mit dem Antragskomitee ermächtigte, die Erbringung vorläufiger Entschädigungen auszubezahlen. Die plötzliche Eile der Bundesregierung erklärt sich nicht dadurch, dass sie spät, aber doch erkannt hatte, dass schnelle Verfahren und Auszahlungen aufgrund des hohen Alters der Opfer des NS-Regimes notwendig sind. Im Gegenteil, es ging vor allem darum, noch – gerade noch –im Gedenkjahr 2005 verkünden zu können: Wir restituieren! Allerdings erhalten Vorauszahlungen nur Antragsteller, über deren Forderungen – ausgenommen gegebenenfalls Forderungen aus Versicherungspolizzen – bereits vom Antragskomitee entschieden wurde. Dies betrifft gerade einmal 3.500 Anträge (Stand Ende Februar 2006). Aus dieser Gruppe, erzählt Jürgen Schremser vom Entschädigungsfonds, erhielten bis jetzt nur 1.365 Antragsteller, also knapp sieben Prozent aller Anspruchsberechtigten, eine Vorauszahlung. Der Grund für die schleppende Auszahlung sind die aufwändigen und langwierigen Recherchen, die die Mitarbeiter des Büros des Allgemeinen Entschädigungsfonds vornehmen müssen (siehe auch NU 1/2005). Bei 200.000 Einzelforderungen von Menschen, die oftmals innerhalb weniger Stunden das Land fluchtartig verlassen mussten oder in Todeslager abtransportiert wurden, ist die Recherche über ihr damaliges Hab und Gut keine leichte Aufgabe. Anfangs kämpfte der Entschädigungsfonds auch noch mit personeller Unterbesetzung. Dieses Problem wurde zwar mittlerweile behoben, dennoch geht Lessing davon aus, dass die Antragsbearbeitung und -auszahlung erst im Jahr 2007 abgeschlossen werden kann. Obwohl die Dotierung des Allgemeinen Entschädigungsfonds mit rund 210 Millionen US-Dollar seit 2001 geklärt ist und die Regierung seit Mai 2003, dem Ende der Antragsfrist, weiß, dass es insgesamt 19.300 Anträge gibt, aus denen sich 200.000 Einzelforderungen ableiten, herrschte über die Höhe der Restitutionszahlungen bis zuletzt Unklarheit. Im Dezember vergangenen Jahres legte dann das Kuratorium die Entschädigungssätze für die Vorauszahlungen und damit in Folge auch für die späteren Zahlungen fest: Je nach Vermögensart und Beweislegung im Verfahren werden zehn bis zwanzig Prozent des vom Allgemeinen Entschädigungsfonds errechneten Gesamtvermögens restituiert, mehr nicht. Die Basis für diesen Prozentsatz bildeten laut Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) die Gutachten zweier Universitätsinstitute für Statistik. „Diese haben auf Grundlage der vorhandenen Entscheidungen und Daten Prognosen für die Endquoten erstellt“, erklärt der ÖVP-Politiker. Aber auch die höchstens zwanzig Prozent werden erst ausbezahlt, wenn die ehemaligen NS-Opfer eine Verzichtserklärung unterzeichnen. „Wie der Wert des beantragten zu entschädigenden Vermögens vom Entschädigungsfonds berechnet wurde, das erfahren die Antragsteller allerdings nicht“, kritisiert die Historikerin Eva Bliminger. Hier widersprich Nationalratspräsident Khol: „Die Antragsteller werden sowohl darüber informiert, wie ihre Forderungen bewertet wurden, als auch wie viel Prozent davon sie in der Vorauszahlung bekommen und wie hoch die Endquote voraussichtlich sein wird.“Trotzdem bleibt Grund zur Unzufriedenheit: „Wenn man ein Auto oder Fahrrad besitzt und es wird demoliert, will man auch, dass die Versicherung den gesamten Schaden ersetzt und nicht nur zehn Prozent“, kritisiert etwa Brigitte Bailer-Galander, Leiterin des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Aber auch wer mit dem vom Entschädigungsfonds errechneten Betrag nicht einverstanden ist, hat nahezu keine Chance, auf dem Rechtsweg einen höheren Betrag zu erstreiten, erklärt der Jurist Alfred Noll. „Für eine Klage sehe ich keine rechtlichen Chancen – das scheitert in fast allen Fällen schon an der Verjährung, die bestenfalls bei dreißig Jahren, in manchen auch nur bei drei Jahren liegt.“ In vielen Fällen würde ein solches Verfahren laut Noll auch daran scheitern, dass in den Jahren nach 1945 Rückstellungsverfahren stattgefunden haben, die durch Vergleich oder Urteil rechtswirksam beendet wurden. Aus diesem Grund unterschreiben viele die Verzichtserklärung. Rechtlich bedeutet dies Folgendes: „Wer eine Verzichtserklärung unterschreibt, dem werden allfällige Ansprüche durch den Auszahlungsbetrag abgelöst und es gibt dann nichts mehr zu wollen“, sagt Noll. Somit steht am Ende des Kapitels Restitution also eine persönliche Erklärung jedes einzelnen noch lebenden NS-Opfers, mit der die Republik Österreich einen institutionalisierten und endgültigen Schlussstrich unter den jahrzehntelangen Streit um eine Entschädigung für geraubtes jüdisches Vermögen ziehen kann. VON ANTRAG BIS ZAHLUNG FRAGEN UND ANTWORTEN ZUR RESTITUTION DURCH DEN BUND Wer bekommt eine Vorauszahlung? AntragstellerInnen, deren Anträge bereits positiv erledigt wurden, erhalten zuerst eine Vorauszahlung. Momentan betrifft dies allerdings erst 3.500 von mehr als 19.300 AntragstellerInnen. Ältere Jahrgänge werden jedoch bevorzugt behandelt. Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein? Eine Verzichtserklärung muss unterzeichnet an das Büro des Entschädigungsfonds gesandt werden, danach erfolgt innerhalb von 7 bis 8 Wochen die Auszahlung der Entschädigung durch den Bund. Wie hoch ist die Vorauszahlung? Die Höhe der Vorauszahlungen wurde vom Kuratorium des Entschädigungsfonds festgelegt. Die Rückerstattungssätze betragen – bei Versicherungen: 15 Prozent sofort, weitere 5 Prozent nach Erledigung aller Anträge – im Billigkeitsverfahren: 15 Prozent sofort, weitere 3 Prozent nach Erledigung aller Anträge – Im Forderungsverfahren: 10 Prozent sofort, weitere 3 Prozent könnten später dazukommen. Die beiden Verfahren unterscheiden sich durch das erforderliche Beweismaß, wobei berufs- und ausbildungsbezogene Verluste nur im Billigkeitsverfahren geltend gemacht werden können. Wann wird der Restbetrag ausbezahlt? Noch offene Ansprüche werden nach Bearbeitung aller Anträge getilgt. Die Geschäftsführung des Entschädigungsfonds (Hannah Lessing) geht auf Grund des derzeitigen Erledigungsstandes davon aus, dass im Jahr 2007 die Antragsbearbeitung und -auszahlung abgeschlossen ist. Wo befinden sich restliche Anträge und wann dürfen jene AntragstellerInnen eine Zahlung erwarten? Über 3.000 weitere Anträge wurden zwar bereits vom Büro des Entschädigungsfonds fertig bearbeitet, warten aber noch auf die Prüfung durch das Antragskomitee d. h. sie befinden sich im Umlaufverfahren. Die übrigen Anträge sollen bis 2007 fertig bearbeitet und geprüft sein. Darunter fällt auch die Prüfung, ob das Vermögen zum Teil schon durch vorangegangene Rückstellungen in gerechter Höhe zurückerstattet wurde. Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an den Allgemeinen Entschädigungsfonds, Postadresse Parlament, Dr.-Karl-Renner-Ring 3, 1017 Wien (Büroadresse Kirchberggasse 33, 1070 Wien). Tel. +43 1/408 12 63, Fax +43 1/408 12 63, E-Mail: gsf-sekretariat@nationalfonds.org Hannelore Eckerstorfer am 31.1.1981 in Linz geboren, studiert Politikwissenschaft und Publizistik an der Universität Wien. Davor besuchte sie die Handelsakademie in Linz. Erste Medienerfahrung sammelte sie im Europastudio des ZDF in Brüssel. Das Studienjahr 2002/03 absolvierte sie an der Erasmus Universität in Rotterdam. Seit dieser Zeit spricht sie neben Deutsch und Englisch auch fließend Niederländisch.