Von Thomas Schmidinger
Eine neue Biographie Isaac Bashevis Singers.
Isaac Bashevis Singer ist wohl der Exilschriftsteller schlechthin. In eine blühende jiddische Kultur Osteuropas geboren, emigrierte er 1935 noch vor dem großen Inferno, das nach der deutschen Eroberung Polens über die osteuropäischen Juden hereinbrach, in die USA, wo er weiter seine Romane und Erzählungen in jiddischer Sprache verfasste. Nach der Shoah, bei der die Deutschen und „Ostmärkler“ den Großteil seiner potentiellen LeserInnen ausrotteten, schrieb Isaac Bashevis Singer weiter in einer Sprache, die kaum mehr jemand verstand. Die überlebenden Jüdinnen und Juden Osteuropas wanderten großteils nach Israel aus, wo nicht mehr Jiddisch, sondern Hebräisch gesprochen, geschrieben und gelesen wurde. In der Sowjetunion erschienen zwar noch einige Bücher und Zeitungen auf Jiddisch, der Großteil der sowjetischen Juden, so sie vor den stalinistischen Verfolgungen nicht ebenfalls auswanderten, assimilierte sich jedoch sprachlich an das vorherrschende Russisch und auch in den USA wurde das Jiddische eher die Sprache der älteren Generation jüdischer Einwanderer, deren Kinder längst das Englische als Umgangssprache verwendeten.Singer schrieb in einer solchen Welt jedoch unbeirrt weiter in seiner Muttersprache. Im „Forverts“, einer linken jiddischsprachigen Zeitung, die noch heute in New York erscheint, veröffentlicht er seine Geschichten und Romane. Erst spät werden seine Texte unter seiner Mithilfe ins Englische übersetzt. Dabei werden die Texte jedoch auf seine Initiative hin vereinfacht. Vieles vom Reichtum des jiddischen Originals geht dabei verloren. Die deutschen Übersetzungen seiner Werke sind heute, wie alle Übersetzungen außer den japanischen, aus dem Englischen übertragen. Die jiddischen Originale sind kaum mehr erhältlich. Zu gering ist die Zahl der potentiellen LeserInnen, dass sich jiddische Bücher heute wirtschaftlich rechnen würden.Der Literaturnobelpreis, der ihm 1978 im hohen Alter verliehen wurde, war jedoch nicht nur eine Anerkennung seines Lebenswerkes, sondern auch eine Ehrung der jiddischen Sprache als Literatursprache. Für Singer selbst war der Preis auch „ein Sieg und eine Anerkennung aller Jiddischisten. Ich teile ihn mit der jiddischsprachigen Welt und meinen englischen Lesern.“ (S. 171) Seine Nobelpreisrede eröffnete er dann auch in seiner Muttersprache: „Die große Ehre, die mir die Schwedische Akademie zuteil werden ließ, ist auch eine Anerkennung des Jiddischen – einer Sprache des Exils, ohne ein Land, ohne Grenzen, durch keine einzige Regierung geschützt …“ (S. 174)Stephen Tree hat nun eine umfangreiche Biographie Isaac Bashevis Singers verfasst. Zwar ist dies nicht die erste Biographie des 1991 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers, allerdings ist es die erste, die auch der Kindheit und Jugend Singers in Polen intensiv nachgeht und dabei eine Menge neuer Aspekte seines Lebens zugänglich macht. Stephen Tree geht dabei nicht nur dem literarischen Schaffen Singers nach, sondern beschreibt auch den Frauenheld und den zunehmend senil werdenden alten Mann, der in seinen letzten Jahren ganz von der Pflege durch seine Frau Alma abhängig war. Die Schilderung der persönlichen Schwächen Singers verliert jedoch nie den Respekt und die Zuneigung zum literarischen Werk und zu „seiner“ jiddischen Kultur. Das flüssig zu lesende Buch beinhaltet auch einige Seiten mit Fotos, die von seinen Großeltern Temerl und Samuel bis zu seiner Antrittsvorlesung an der Universität von Miami im Februar 1979 reichen. Für jeden, der sich mit Singers Leben und Werk beschäftigen will, wird das Buch von Stephen Tree in Zukunft zur Pflichtlektüre werden.
Stephen Tree: Isaac Bashevis Singer;dtv; München, 2004; 200 Seiten Preis: Euro 15,–