Mordechai Rodgold, israelischer Botschafter in Österreich, bereitet nach vier Jahren in Wien seinen Abschied vor. Angetreten ist er mit dem Anspruch, die Beziehungen zwischen den Ländern zu erweitern und zu vertiefen.
Von Danielle Spera (Text) und Barbara Nidetzky (Fotos)
NU: Herr Botschafter, welche Bilanz ziehen Sie, was ist in diesen vier Jahren gelungen?
Mordechai Rodgold: Die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind so gut und breit aufgestellt wie nie zuvor. Aus den Beziehungen im klassischen Sinn hat sich eine Freundschaft entwickelt, und zwar auf verschiedenen Ebenen, nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich, sowie in Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Gleichermaßen entwickelt sich der Jugendaustausch. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren sehr viel erreicht und das trotz der globalen Herausforderungen wie Covid oder dem Krieg in der Ukraine.
Gerade in der Covid-Krise gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen Israel und Österreich.
Schon im Februar 2020 gab es dazu die ersten Kontakte zwischen Premier Benjamin Netanjahu und dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz und diese Beratungen haben dazu geführt, dass Österreich sehr schnell auf die Herausforderung der Pandemie reagieren konnte. Israel war unter den Vorreitern und spielte eine starke Rolle neben den mittelgroßen Ländern in- und außerhalb Europas. Bundeskanzler Kurz hat dann die Gruppe der Smart Covid Länder aufgebaut, an der auch Israel beteiligt war.
Die Beziehungen sind so gut wie nie zuvor, was hat sich in diesen letzten Jahren verändert?
Die zwei Säulen der guten Beziehung sind das klare Bekenntnis Österreichs zu Israel und die Übernahme der Mitverantwortung für die Verbrechen in der Shoah, gepaart mit einer klaren Strategie gegen Antisemitismus, deren Umsetzung von Ministerin Karoline Edtstadler verantwortet wird, mit regelmäßigen Berichten und Maßnahmen. Da hat es in Österreich in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte mit einem klaren Diskurs gegeben, auch im europäischen Vergleich. Und andererseits die Anerkennung von Israel als jüdischer und demokratischer Staat und dessen Sicherheit als Staatsräson im österreichischen Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen. Der Höhepunkt war die Unterzeichnung der strategischen Zusammenarbeit im Juli 2022 beim Besuch von Bundeskanzler Nehammer in Israel. All das hat dazu beigetragen, dass sich das Bild der jeweiligen Länder im anderen Land positiv entwickelt hat. Ich bin überzeugt, dass Israel heute ein ganz anderes Image in Österreich hat und umgekehrt. Das spürt man in den Straßen Wiens sowie in den Bundesländern, wo man immer öfter Hebräisch hört. Wir verzeichnen heute mehr als eine Million Nächtigungen von Israelis in Österreich pro Jahr, Tendenz stark steigend. Es gibt mehr als 40 Flüge pro Woche zwischen Wien und Israel. Das alles zeigt, wie eng unsere Beziehungen auf jeder Ebene sind. Es gibt immer noch Herausforderungen wie die Bekämpfung des Antisemitismus, doch unsere Beziehungen stehen jetzt auf einer sehr starken Basis und wir arbeiten daran, dass es nachhaltig weitergeht.
Der Tourismus von Österreich Richtung Israel ist manchmal noch immer überschattet von Bedenken über die Sicherheitssituation in Israel. Wie kann man dem begegnen?
Hier hat sich auch viel entwickelt. Immer mehr junge Österreicher reisen nach Israel, oft auch nur über das Wochenende, der Flug dauert ja nur 3 Stunden. Junge Leute kommen nach Tel Aviv, für das mediterrane Flair, für die Gastronomie und die weltbekannte Party-Szene, oder auch nach Jerusalem, um die kulturellen und historischen Stätten zu besuchen. Unser Image hier wird immer noch sehr davon beeinflusst, wie Medien hauptsächlich über Israel in Krisenzeiten berichten. Das ist eine Herausforderung, denn das beeinflusst das Bewusstsein über Israel in der gesamten Bevölkerung. Wir bemerken aber auch, dass sich das positiv ändert. Israel wird als Startup-Nation, als Zentrum der Innovation und der technologischen Entwicklung wahrgenommen. Und auch im Bereich der Kunst und Kultur wird Israel heute anders betrachtet, insbesondere durch die wachsende Präsenz von israelischen Künstlern in österreichischen Museen, wie derzeit Ofer Lellouche in der Albertina, israelischen Sängerinnen in den Opernhäusern, israelischen Tänzern bei Performances, und den vielen Filmen und Serien aus Israel. Israel wird in Österreich heute immer mehr in seiner Vielfalt und Kreativität wahrgenommen. Ich glaube, das ermutigt immer mehr Österreicher, Israel nicht nur durch das enge Prisma der geopolitischen News zu sehen.
Auch die Programme für die Jugend können dazu etwas beitragen.
Israel hat viel Erfahrung im Austausch mit anderen Ländern, insbesondere mit Deutschland. Wir haben eine eigene Jugendaustauschstelle, die für jede Initiative aus dem Ausland den richtigen Partner in Israel findet, sei es im Bereich Schulen, Sport oder Kunst, sogar auf lokaler Ebene, wo wir selbst mit kleinen Gemeinden einen Austausch pflegen. Auch hier haben wir letztes Jahr beim Besuch von Staatssekretärin Claudia Plakolm in Israel ein Rahmenabkommen mit Österreich zu engerer Zusammenarbeit abgeschlossen. Hier soll es in vielen Bereichen, wie Sport, Freizeit, oder Forschung & Entwicklung zwischen Schülern, Studenten oder Young Professionals zu mehr Austausch kommen. Oder auch im Bereich der Kultur, wo es gerade ein Filmprojekt zwischen Studentinnen und Studenten aus Israel und Österreich gegeben hat. Dieser Film wird jetzt in österreichischen Schulen gezeigt. Solche Projekte haben auch einen nachhaltigen Wert.
Was waren denn die Höhepunkte während Ihrer Amtszeit in Österreich?
Trotz der Pandemie gab es viele Besuche in beide Richtungen. Staatspräsident Reuven Rivlin war zu Besuch in Wien, Bundespräsident Alexander Van der Bellen besuchte bereits zuvor Israel. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka kam im Mai 2022 zu Besuch und Bundeskanzler Karl Nehammer war im Juli 2022 in Israel zur Unterzeichnung der strategischen Partnerschaft, begleitet von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Innenminister Gerhard Karner. Auch Außenminister Alexander Schallenberg und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler haben Israel besucht, zwei israelische Außenminister, Yair Lapid und Eli Cohen, haben Wien besucht. Auch im wirtschaftlichen Bereich gab es mehrere Besuche: WKÖ-Präsident Harald Mahrer reiste im Jänner 2023 mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Israel, sowie im Februar Wirtschaftsminister Martin Kocher und Tourismus-Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler. Bereits im Jahr 2022 besuchten auch Gesundheitsminister Johannes Rauch und Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig Israel. Unsere Feier zum 75. Unabhängigkeitstag im Mai dieses Jahres wurde durch die Anwesenheit von Bundespräsident Van der Bellen geehrt, wie auch von Verteidigungsministerin Tanner, Klimaschutzministerin Gewessler, Wirtschaftsminister Kocher und Bildungsminister Polaschek. Wir haben außerdem einen Preis ins Leben gerufen, den Israel Friendship Award, den wir heuer an Nobelpreisträger Prof. Anton Zeilinger und WKÖ-Vizepräsidentin Martha Schultz überreichen konnten, für ihren Einsatz für die Förderung der Freundschaft und der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern.
Diese Feier und die hochrangige Beteiligung des offiziellen Österreich kann man auch als starkes Signal der Bedeutung Israels für Österreich bewerten.
Das war tatsächlich ein sehr starkes Zeichen der Freundschaft. Wir hatten 600 Gäste, jeder davon ist ein Freund Israels, und dies war für meine Frau Celine und für mich ein besonders bewegender Moment. Aber auch die israelische Flagge auf dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium im Mai 2021 war ein Meilenstein, der klar gezeigt hat, wie eng die Beziehungen heute sind und dass Österreich zu Israel steht, vor allem in Zeiten der Bedrohung. Wir sind für diese Solidaritätskundgebung gegen den Terrorismus sehr dankbar. So wie wir uns aus Solidarität als Wiener gefühlt haben, als wir den Terroranschlag im November 2020 in der Wiener Innenstadt miterlebt haben.
Sie kehren jetzt nach Israel zurück, in ein Land, das in den letzten Monaten von einem Tauziehen um die Justizreform, das von Protesten hunderttausender Israelis begleitet wird.
Es geht um das Gleichgewicht zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. Und dieses Gleichgewicht ist nicht etwas Statisches, sondern in einem demokratischen Prozess zu gestalten. Viele Demokratien führen immer wieder Änderungen in der Verfassung oder in den Grundgesetzen durch. Das ist nichts Außerordentliches. Es gibt natürlich auch eine politische Dimension von Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung vor dem Hintergrund der soziohistorischen Geschichte Israels mit der Komplexität der verschiedenen Bevölkerungsgruppen: Zentrum, Peripherie, Minderheiten, Mehrheiten, Religiöse und Säkulare, da zeigt sich die ganze Vielfalt des Staates Israel. Und wir können froh sein, dass wir so inklusiv leben mit all diesen unterschiedlichen Gruppen. Aber natürlich gibt es auch Spannungen. Das ist normal in einer demokratischen Gesellschaft. Die Debatten in Israel sind öfters hitzig, weil allen das Schicksal des Landes am Herzen liegt. Eine zusätzliche Dimension ist eine generelle Tendenz, die wir in vielen Demokratien erleben, sei es in den USA oder in Europa, das ist die Polarisierung der Politik. Aber am Ende darf man das Gemeinsame nicht vergessen. Und in diesem Sinn ist die israelische Gesellschaft stärker als die Polarisierung in der Politik.
Wie sieht es jenseits der offiziellen Termine aus, welche Eindrücke nehmen Sie von Österreich mit?
Österreich ist ein wunderschönes, vielfältiges Land. Meine Frau und ich haben alle Bundesländer besucht und viele neue Freundschaften schließen können. Die Berge haben mich als leidenschaftlichen Skifahrer besonders begeistert. Sehr berührt hat mich die Alpine Peace Crossing Initiative, in Erinnerung an die Flucht von 8000 Juden, die 1947 über die Krimmler Tauern nach Italien gelangt sind, um von dort nach Eretz Israel zurückzukehren. Diese Initiative ist auch ein Zeichen von Verbindung zwischen Vergangenheit und dem optimistischen Blick in die Zukunft. Mit einem konkreten Tun in der Gegenwart.
Wien wurde gerade wieder zur lebenswertesten Stadt aber auch gleichzeitig zur unfreundlichsten Stadt gekürt.
Das erste haben wir sehr geschätzt, das zweite habe ich nicht erlebt. Im Gegenteil: Wir haben in Wien viele Freunde, und allen voran Bürgermeister Michael Ludwig. Wir haben auch das vielfältige reichhaltige Leben der jüdischen Gemeinde in Wien sehr genossen, mit all seinen verschiedenen Organisationen, Synagogen und Aktivitäten. Celine und ich werden Wien und Österreich auch in Israel immer im Herzen tragen.